Slowdive – Everything is Alive

von am 8. September 2023 in Album, Heavy Rotation

Slowdive – Everything is Alive

Vertraut und zuverlässig; aber dennoch: Sechs Jahre nach ihrem selbstbetitelten Comeback erfinden sich die Shoegaze-Veteranen Slowdive für Everything is Alive doch ein kleines Stück weit neu.

I thought it was going to be quite a dark record but once we got together as a band, I think some of that darkness lifted and some of the tunes became a bit lighter. We found that spot that we’re all comfortable with. I think we were a bit stumped about direction initially – we took the long way round to just making a record that sounds like Slowdive.” sagt Neil Halstead und hat mit diesem abschließenden Conclusio freilich Recht, doch klingt das Song-Sammelsurium Everything is Alive – dem man, um es gleich eingangs vorwegzunehmen, einzig vorwerfen kann, dass das Sequencing keinen restlos runden Fluss ergibt und das bandtraditionelle Ausfaden einiger Nummern in seiner überstürzten Hast diesmal einen oft mehr als nur frustrierenden Grad erreicht – dadurch, dass es aus ursprünglich für ein auf analogen Moog-Synths gebautes Elektro-Projekt ihres Haupt-Songwriters gedachten Ideen entstand, doch so anders, als jedes bisherige Slowdive-Album.

Der krautig dahinlaufende Space Rock der Trance Shanty könnte so etwa auch von The Notwist stammen, wo Chained to a Cloud an( und im Kontext gewissermaßen auch den Album-Kreis)schließt, als würden Beach House sich in einen transzendenten Hypnose-Groove weich zerfließend auflösen. Das verräumt, uneilig und introspektiv durch ätherische Felder der 80er laufende Alife könnte aus der sommerlichen Erinnerung von M83 stammen und das elegischer das Tempo zur ruhigen, meditativen Kontemplation drosselnde Andalucia Plays assoziiert vage die Ästhetik eines The Cure-Tauchgangs in unwirklicher Schönheit.
Es gibt Songs wie den somnambul tänzelnden Instant-Ohrwurm Kisses, der so unverbindlich durch das Gehör streichelt, oder den eher unscheinbar aus der Vergangenheit mit grummelnden Bass schwelgenden Nostalgiker Skin in the Game, die in ihrer Zugänglichkeit keinen Hehl daraus machen, dass Everything is Alive keinen solchen anachronistischen Überhit wie Sugar for the Pill besitzen muß, um mit einer fast überfallsartigen Euphorie zu gefallen, die angesichts der grundlegend subversiven Wirkungsweise der Musik geradezu paradox sein müsste – wäre sie nicht einerseits durch die Verbundenheit, die diese Herzensband Slowdive seit jeher kultiviert hat, und die hier trotz aller Modifikationen mehr als alles andere stets spürbar ist, erklärbar; und andererseits durch die süchtig machende Qualität des zur formoffene Struktur tendierenden, die Atmosphäre forcierenden Songwritings unabdinglich.

Man ist also sofort drinnen im typischen Slowdive-Feeling, das aber mit einer durchaus faszinierenden neuen, unverbrauchten und neugierigen Frische. In einem homogenen Charakter ist Everything is Alive weniger eklektisch und sowieso niemals unentschlossen in seiner Ausrichtung, implementiert in das reife, selbstsichere Mosaik seiner Identität jedoch neue Facette, adaptiert ambitionierte Impulse mit einer formvollendeten Unaufdringlichkeit – nein, man muss niemandem etwas beweisen und nichts erzwingen.
Alleine, wie wundervoll, unerwartet und befriedigend es ist, sich in die Perspektiven des melancholischen, bedächtig sanft pulsierenden Prayer Remembered als tröstend schimmernde Postrock-Welt zu verlieren, gehört zu den ganzheitlich erfüllendsten Erfahrungen der gesamten Band-Diskografie – Erwartungshaltungen umgehend und Ansprüche nichtsdestotrotz erfüllend.
Sobald der Closer The Slab als Epilog Anlauf zum Horizont nimmt und mit beschwörender Dramatik eine versöhnliche Aufbruchstimmung hinter den eigentlich bereits abgeklungenen Spannungsbogen der Platte ausbreitet, bleibt dennoch der Eindruck, es mit einem möglichen Übergangsalbum der Institution Slowdive zu tun zu haben.


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