Die Nerven – Fun
„Das ist mehr Albtraum als Traum“ und natürlich keine Platte voller Jux und Schabernack. Aber muss man Die Nerven angesichts der geradezu obszönen irritierenden Titelwahl auch tatsächlich gleich als hemmungslose Zyniker betrachten?
„Ich liege gut / ich liege weich“ skandiert Julian Knoth, während seine Band meistens immer noch so angepisst klingt als würde sie voller fiebriger Unruhe auf Nagelbetten einschlagen. Wer mitverfolgt hat was nach ‚Die Nerven‚ auf dem großartigen ‚Assoziale Medien‚ und dem noch großartigeren ‚Fluidum‚ aus dem Erbe von Ton Steine Scherben, EA80, The Jesus Lizard, Joy Division, Sonic Youth und Konsorten für eine kaum jemanden kalt lassende Melange aus 80er affinem Noise, Rock und Punk herangewachsen ist, der wird nun auch ‚Fun‚ unmittelbar sein Herz opfern oder sich missbilligend abwenden. Gift und Galle speiend, spucken, zwicken, kratzen und beißen: Die Nerven bleiben neben Kollegen wie Freiburg oder Die Heiterkeit die aktuell wahrscheinlich ungemütlichste Band Deutschlands, zu der man sich alleine der Ästhetik wegen brennende Kippen in die Handflächen drücken und berstende Glasflaschen fressen möchte, so einen Ekel vor allem und jedem und nicht zuletzt sich selbst artikuliert diese Band.
„Alles wie gehabt / Nichts hat sich verändert“ stimmt dennoch nur zum Teil, weil man irgendwann die Vermutung hegt: nur weil ‚Fun‚ den Rezipienten die Finger genüsslich in offene Wunden drückt, kann das Stuttgarter-Trio ja dennoch seine Freude an all dem Nihilismus, der vermeintlichen Misanthropie und unter brennenden Fingernägeln sinister brütenden Weltschwere haben.
Die Nerven fühlen sich hörbar wohl in ihrem dreckig schabenden, rohen Anti-Alles-Haltung, und ‚Fun‚ macht sich einen fiesen Spaß daraus, all die Vorzüge von ‚Fluidum‚ fortzuführen und im Detail weiter zu malträtieren, auszudehnen. Die Nerven nutzen ihre Gitarre wie in ‚Blaue Flecken‚ für noch atmosphärischere Soundarbeiten liebäugeln stimmungstechnisch mit ambientem Drone als Staffierung, finden pünktlich zum Refrain jedoch immer den Exzess im Krawall. Sie bauen in der kalten, angespannten Luft psychedelisch ausfließende Streuner mit gefletschten Zähnen (‚Und ja‚), und dazwischen haben Songs wie ‚Eine Minute schweben‚ oder ‚Angst‚ Platz, in diesem Kontext Hits, als getriebene Unruhestifter und dunkle Bastarde aus Madensuyu (minus Schamanengesang und Freundlichkeit) und Iceage (minus der arroganten Arschloch-Attitüde) – gemein bleibt da vor allem die Gewissheit, dass das der Soundtrack sein kann, zu dem persönliche und allgemeine Umbrüche außer Kontrolle geraten. Derart punk war seit ‚Im Schwindel‚ jedenfalls keine (deutsche) Platte mehr. Dass das martialische ‚Ich erwarte nichts mehr‚ wie eine reine Schlachthymne poltert passt da nur zu gut: ausgemergelt, aggressiv – und rhythmustechnisch gar nicht so weit von Marilyn Manson’s Interpretation von ‚I Put A Spell on You‚ verankert.
‚Fun‚ ist eine Platte, auf der sich Zeilen wie „Das ist immer noch Dein Leben / Auch wenn Du selbst nichts mehr entscheidest„, „Wer ich bin, ist nicht so wichtig / Hauptsache, man lässt mich in Ruhe,“ oder „Was auch immer wir jetzt lernen, ist mit Sicherheit egal“ drängen. Plakativ mag manch einer merken, letztendlich jedoch nur effektiv und konsequent. Ganz am Ende reißen Die Nerven dann aber selbst diese sorgsam aufgezogene Anti-Wohlfühlzone nieder und prügeln ‚Fun‚ in Hochform in die weite Welt hinaus: ‚Nie wieder scheitern‚ beginnt als leise pulsierendes Sprechgesang (warum muss man da nur an Thomas D. in Nicht-Beschissen denken?), bevor sich Die Nerven in einen Rausch spielen: „Wie ohrenbetäubend muss ich noch werden?“ brechen Julian Knoth, Max Rieger und Kevin Kuhn sofort wieder aus der Versöhnlichkeit, hinterlassen brennende Erde.
Im regelrecht intim reduzierten Gitarrenappendix ‚Girlanden‚ findet das „Kollektiv für Ohrenbetäubung“ dann nicht nur (zwar gewollt schiefen, aber immerhin!) Gesang, sondern auch eine ungekannte Verletzlichkeit, ohne Trotz und Wut: „In meinem Kopf wachsen Zeilen zu Girlanden/ Dort wo niemand sie sonst sieht/ Ich bin noch nicht gescheitert/ Nur gewachsen„. Stimmt wohl so. Aber mit einem Mal scheint dass niemandem mehr wirklich Spaß zu machen. Aus dem tonalen Fuck You-‚Fun‚ schält sich plötzlich die Resignation nach einem auslaugenden Noisekampf. Vielleicht sind sie also tatsächlich einfach nur eiskalte Zyniker, diese Nerven.
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