Die Nerven, Killed by 9V Batteries, Aivery [15.02.2014, Forum Stadtpark, Graz]
Die Nerven sind sowas wie die Band der Stunde, an ‚Fun‚ kommt man aktuell einfach nicht vorbei. Live kann das „beste Trio seit Trio“ (© Standard) im sehr gut gefüllten Forum Stadtpark dann im direkten Vergleich zum Tonträger sogar noch locker eins drauflegen.
Den Abend eröffnet knapp eine Stunde dem Timetable hinterherhinkend jedoch ein anderes Trio: Aivery, drei Damen aus Wien. Franziska Schwarz, Jasmin Maria Rilke und Doris Zimmermann spielen Riot Grrrl-Noiserock mit ordentlicher Grunge-Kante, die Platten von Bikini Kill, Wild Flag und Nirvana stehen gleichberechtigt im Plattenregal der Kombo. „Hör dir die an, die sind wirklich gut!“ rät Julian Knoth vor Konzertbeginn (im an dieser Stelle bald mal nachgereichten Interview) und liegt damit absolut nicht daneben. Wo die Vorbilder der Band manchmal noch etwas zu stark durchscheinen, kompensieren Aivery etwaiges noch nicht vollends ausgeschöpftes Potential durch eine ordentliche Portion rumpelnder Dynamik, roher Energie und spielwütigem Enthusiasmus. Besonders herausstechend bleiben dabei die Momente, wenn Rilke das Ruder an sich reißt und abseits ihres präzisen Gitarrenspiels kurzerhand auf einen herrlich angepisst gebrüllten Hardcore zusteuert.
Als von den Nerven handverlesener Anheizer machen Aivery einen vorzüglichen Job und geben dazu eine deutliche Empfehlung für die Zukunft ab – es wird also spannend sein zu hören, womit die drei aus der justament eingeläuteten Songwriting-Phase zurückkommen.
Während Aivery nach erledigter Supportarbeit also die Weichen für die Zukunft stellen, ziehen die längst als Institution des heimischen Noiserock durchgehenden Killed by 9V Batteries zwei Tage nach dem Gig unerwartet komplett den Stecker und verabschieden sich nach 12 Jahren. Man darf annehmen: wäre diese Entscheidung bereits vorab bekannt gewesen wäre der Forumkeller wohl noch stärker frequentiert gewesen. Doch auch so werden Wolfgang Möstl und seine Mannen ausgelassen für ihre über die Jahre absolut stilsicher zwischen Pavement und Sonic Youth grätschenden Songs gefeiert, schalten immer wieder mühelos zwischen aggressiv kratzend und versöhnlich melodisch um.
Dass da drei Gitarren im Spiel sind hört man nicht unbedingt, tut aber kaum was zur Sache, zumal der Funken zum Publikum nach spätestens zwei Songs Aufwärmphase überspringt. Wurden bei der Tweety Party Ende 2013 im Wakuum noch einige Schwankungen im Qualitätsgrad der Performance verzeichnet, läuft die Sache an diesem Samstagabend also bald durchwegs rund (obwohl mancher konzentrierte Gesichtsausdruck auf der vollbesetzen Bühne da rückblickend eventuell doch als Reserviertheit [miss]interpretiert werden wird) – ein Grund mehr, weswegen eine Abschiedstour eine durchaus willkommene Angelegenheit wäre.
Um kurz nach halb zwölf entern dann endlich auch Julian Knoth, Max Rieger und Kevin Kuhn die Bühne und nehmen von der ersten Sekunde an keine Gefangenen. Vom polternden Schlachtruf ‚Ich erwarte nichts mehr‚ an ziehen Die Nerven ein Rock-Gewitter der Sonderklasse auf, kicken ihre wütenden Attacken mit bestechendem Nachdruck aus den Boxen und perfektionieren mit einer gehetzten Version von ‚Eine Minute schweben‚ den Einstieg in eine atemlos rausgehauene Setlist, fokussiert auf Material von ‚Fun‚ und ‚Fluidum‚. Dass Rieger im Metz-T-Shirt (aber – wie auch Kuhn – barfuß agierend) schwitzt passt schon: Die Nerven impfen ihren Songs live eine zusätzliche Dosis an hochexplosivem Noise ein, der Bass gibt sich besonders giftig und die Assoziationen schweifen noch viel eher als auf Platte zu den Genregöttern McLusky als zu den ansonsten oft bemühten Referenzen wie Ton Steine Scherben und Co.
Enorm bestechend dabei auch das (bis auf einen charmant abgetanen Schnitzer am Beginn von – wenn die Erinnerung nicht trügt – ‚Rückfall‚ ) intuitiv getimte Zusammenspiel der Nerven, die sich als nahtlos ineinandergreifende Einheit präsentieren. Vor allem ‚Hörst du mir zu‚ wird da weit über die Studioversion gedehnt mühelos zum streunenden Exzess ausgebreitet ohne Ermüdungserscheinungen aufkommen zu lassen, ‚Angst‚ drückt noch hemmungsloser aufs Gaspedal, ‚Nie wieder scheitern‚ mutiert zur markerschütternden und ohrenbetäubenden Kakophonie in der Feedbackhölle.
„Wars gut?“ fragt Schlagzeuger Kuhn nach dem Konzert – und nein, das war schlicht sensationell. Die Nerven Live erleben zu dürfen, das ist ein Rausch, ein schweißtreibender Fiebertraum, eine intensive Ekstase und in diesem Metier neben Messer das beste, was man aus dem Nachbarland in den letzten Jahren sehen, hören und erleben konnte. Ganz ernsthaft: dagegen verkommen selbst die superben Platten der Nerven beinahe zum Kinderkram, und alle Superlative im momentan grassierenden Hype um die Band zur Untertreibung.
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