Eddie Vedder – Earthling

von am 1. November 2022 in Album

Eddie Vedder – Earthling

Knapp eine Dekade lang war Eddie Vedders persönliche Diskografie brach gelegen, bevor sie 2021 mit dem Kooperations-Soundtrack Flag Day wieder einen Eintrag erfuhr. Nun folgt kaum ein Jahr später mit Earthling sogar das dritte Soloalbum der Pearl Jam-Stimme.

Unter der Ägide des aktuell erstaunlich gefragten Szene-Produzenten Andrew Watt hat der 57 jährige Vedder mit der Unterstützung zahlreicher Helfer (unter anderem ehemalige und aktuelle Chili Peppers – Klinghoffer und Smith -, Ringo Star, Stevie Wonder oder David Campbell) einen irritierenden Clusterfuck von einem ambivalenten Album aufgenommen: mit einer immer mal wieder (gerade bei den Drums) nach billigem Plastik riechenden, austauschbaren Mainstream-Produktion frustrierend ist das Material ziemlich harmlos in der gemütlichen Wohlfühlzone platziert, stilistisch oft orientierungslos zwischen seinen Optionen ohne übergeordneten Spannungsbogen taumelnd, während all die erschöpfenden Wiederholungen der textlich enervierenden Refrains nerven können – und trotzdem ist eigentlich nur der Einstieg in Earthlings wirklich daneben gegangen.

Der unpackbare Ohrwurm Invincible bewirbt sich mit dem aufdringlichen Killers-Vorschlaghammer für einen Pixar-Film, in dem die Charaktere zur aufgehenden Sonne glückselig in der Euphorie des unbedingten Positivismus feiern, für den Vedder im sich aufschwingenden Studio-Rahmen noch zusätzlich aufdringliche Stimmung macht. Das komplett deplatzierte Power of Right will sich als druckvollen Rocker mit Handclaps, wilden Drums und angriffslustigen Gitarren beweisen, läuft in der glatten Inszenierung aber ins Leere – später wird die ebenso aus dem Nichts kommende Stafette aus Good and Evil (wie bemüht können die übertrieben dick auftragenden, giftig als Kraftlackl verkleidete Instrumente klingen, ohne ein tatsächliches Statement in Sachen energischer Power abzugeben?), dem schimmernden Rose of Jericho sowie dem (an sich nicht üblen, weil punkig mit der ausgelassenen Mundharmonika aufs Gaspedal tretenden, aber arg simplen) Try in die selbe desorientierte Kerbe schlagen, aber sich hinsichtlich der Konsistenz zumindest noch aneinander festhalten können.
Daher mit Long Way auf Power to Right aber ein netter, angesichts der beteiligten Musiker nicht von ungefähr an Tom Petty erinnernder Heartland-Ausflug in die radiotaugliche Verdaulichkeit folgt, der, grundlegend schon ebenso angenehm wie verdammt seicht, mit seinen unendlich oft repetierten „He took the long way/ On the freeway“-Zeilen doch noch untragbar wird, gestaltet sich der Beginn von Earthling als veritable Herausforderung für die eigene Toleranzgrenze – an der sogar die Fanbrille zu verrutschen droht.

Am folgenden Rest kann sich diese jedoch mit Wohlwollen doch noch festhalten. Brother The Cloud ist ein solider, zügiger Midtempo-Rock, der gut und gerne eine B-Seite von Binaural oder Riot Act sein könnte und auch das gefällige, unbeschwerte (und mit T Rex-Strom unterlegte) Fallout Today zeigt eine ähnliche barrierefreie Eingängigkeit – ist aber trotz Vedders immer wieder toller Stimme jedoch ebenso schnell vergessen wie auch The Dark (quasi ein jubilierender Springsteen-Windschatten): Earthling begleitet reibungslos, mit jedem Durchgang ein wenig annehmbarer, hinterlässt emotional jedoch kaum Wirkung.
Ungeachtet der (willkürlich wirkenden) Variabilität des Materials übrigens: The Haves beginnt als gefühlvolle Ballade am Klavier (und unbewusst auch als Kettcar-Reminiszenz?), deren Zurückhaltung sich ein bisschen Kitsch gönnt, sich nach und nach aber vor allem in der tranig schunkelnden Langeweile verliert. Das aus dem Nichts kommende Country‘eske Wiedersehen mit Elton John in Picture mutiert zur knödelnden Fete, deren Refrain  so oft über Gebühr bedient wird, bevor die catchy daherkommende Niedlichkeit Mrs. Mills beatlesk im durchaus liebenswürdigen orchestralen Pomp schwelgt. On My Way schließt den Rahmen des Albums danach anachronistische schwofend als Appendix, durchaus versöhnlich, mahnt aber auch: 15 Jahre nach dem Meisterwerk Into the Wild sollte man die eigenen Ansprüche an Vedders Solopfade vielleicht anpassen (aber mit einem zugedrückten Auge dennoch zwischen den Punkten aufwerten), zumal man mit den Pearl Jam-Ergüssen der jüngeren Vergangenheit ja eh ganz gut leben kann.

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