Kashmir – E.A.R.
Nichts gegen das durch David Bowie und Lou Reed geadelte ‚No Balance Palace‚ oder das souverän die Stärken von Kashmir bedienende ‚Trespassers‚. Dennoch wagen die Dänen jetzt erst, zehn Jahre nach ihrer Meisterleistung ‚Zitilites‚ mit ‚E.A.R.‘ den insgeheim seit damals nötigen Schritt nach vorne, um ihren erhabenen Rock mit neuer Magie zu versehen.
Das achte Kashmir-Album nutzt die Zäsion ‚Katalogue 1991 – 2011‚. Es ist keine Radikalkur geworden, keine absolute Abkehr von den so weltgebeutelten Schönheiten des erfolgsgeprägten dänischen Patent-Rock. Trotzdem legt das Quartett mit ‚E.A.R‚ sein bis dato schwierigstes Werk vor. Eines, das kaum einmal die eindeutig identifizierbaren Hits der Vorgänger forciert und sich stattdessen als luftiger Brocken lieber in einer allgegenwärtigen Atmosphärearbeit labt. Das markante Organ von Sänger Kasper Eistrup muß nicht mehr zu jeder Sekunde Anker- und Weltmittelpunkt der melancholischen Kompositionen sein, Songs dürfen so weit fließen, wie sie möchten. Mit diesen Freiheiten irrt beispielsweise ‚Trench‚ vier Minuten ohne Gesang und erkennbares Ziel durch ambiente Pianowelten, ‚Pedestals‚ ist über knapp die Hälfte seiner beinahe 9 Minuten Spielzeit mehr Soundscape als Song, danach eine unklar scheinende Spielweise der Melodien.
Synthesizer, Keyboards und Studio-Spielereien bestimmen weite Strecken von ‚E.A.R.‚: ‚Purple Heart‚ rollt auf Sequenzer-Schienen etwa die Route Gen Kraftwerk und aktualisiert ‚Surfing The Warm Industrie‚, ‚Blood Beech‚ sperrt sich förmlich dagegen, jene Art von Gitarrenrock zu sein, für den man die Band in den letzten zehn Jahren zumindest mögen musste: das militärische Schlagzeug dringt nur ansatzweise in die wummernden Welt aus modulierten Basstakten vor, Eistrup folgt auf schwerelosen Synthienebeln darüber. Ganz gemächlich nimmt die ureigene Magie hinter Kashmir gefangen. Im knapp 7 Minuten lang gen einfühlsamen Imprvisations-Verdichtung treibenden ‚Peace In The Heart‚ demonstrieren die „dänischen Radiohead“ gleich Eingangs die Gewissheit, sich ‚E.A.R.‚ bei allem einnehmenden Wohlklang auch erarbeiten zu müssen. Derart unvermittelt wie in der wunderbar strahlende Vorbote ‚Seraphina‚ streicheln die Dänen hier nämlich nur selten gewonnene Herzen. Weniger berührende Schönheit steckt allerdings in keinem der restlichen elf Songs.
Das zurückgenommene, tieftraurig-bezaubernde ‚Piece of the Sun‚ (könnte als der lange verschollene Weggefährte von ‚Since I Left You‚ durchgehen) begnügt sich mit der fesselnden Wirkung von Eistrups Stimme und einer sonnigen Frühlingsgitarre, bevor das Szenario behände antaucht, Kashmir in den romantischen Sternenhimmel starren und letztendlich gar den eleganten Tanz im Mondlicht wagen. Die ersten zwei Drittel der Platte geraten so zu einem überragenden Triumphzug, gen Ende fällt ‚E.A.R.‚ ein wenig zurück, bleibt dennoch nur den eigenen Standards Rechenschafft schuldig.
‚This Love, This Love‚ stellt Gospel in den Dienst des Pop, ‚Foe To Friend‚ gräbt mit dickem Bass wilde Furchen durch einen Song, der seine Melodien eher als Ahnungen anbietet, während das spartanische Kleinod ‚Peace In Our Time‘ zum Abschluss nicht viel braucht, um große Gefühle zu wecken. Der gespenstische Gestaltenwandler ‚Milk For The Black Hearted‚ fragt ganz unverhohlen „How am I supposed to lay/ Without the love that only you can give to me?“ und natürlich sind Kashmir wieder dann am eindringlichsten, wenn Eistrup Geschichten von der Liebe und Vergänglichkeit entwirft, auf den verlassenen Friedhof mitnimmt und Blumen auf Gräber von Freunden legt und die Welt ohnedies nicht schwerer wiegen könnte.
In all der anziehenden Zierung der Platte finden sich also nach wie vor genügend zugängliche Orientierungspunkte, um auch das vielseitige ‚E.A.R.‚ liebgewinnen zu müssen. Dass das achte Kashmir-Album in seiner fordernden Weiterentwicklung auch einige Längen im Gesamten zulässt, die eine oder andere Ambient-Passage wie auch der Buchsatbierwettbewerb des Titelsongs Straffung vertragen hätte können, sind kleine Wachstumsschmerzen, die man angesichts einer Platte wie dieser nur zu gerne in Kauf nimmt. Weil Kashmir-hören hiermit nicht nur weiterhin ungemein geschmackssicher ist, sondern endlich auch wieder Überraschungen parat hält. Und natürlich grundsätzlich Balsam für die Seele ist.
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