Southtowne Lane – Take Care
Satte acht Jahre nach ihrem vielversprechenden Debütalbum Give Up The Ghost verschmelzen Southtowne Lanes ihre Vorlieben für Midwest Emo, Indie Rock, Post Hardcore und Screamo auf dem Zweitwerk Take Care weite Strecken über entlang der Ideallinie.
Senza-Gitarristin Hellena Giles, Matt DeBellis und Tyler Giard artikulieren dabei die Trauerarbeit von Frontmann Matt Kupka, der auf Take Care den Tod seines Vaters verarbeitet: “On the surface, this record was written largely in dedication to my father, who passed away in a brutal and sudden manner in September of 2021. The album, song by song, dissects the stages of grief: how they relate, how they changed me, how I dealt with them, and how they led me down to the depths of my own mortality where it seed there could be no light.“ erklärt der Bandkopf zu der Platte.
Er fügt in den Linernots sogar jeder Nummer für sich ausführliche Hintergrundinformationen hinzu, um in Summe zu einem ganzheitlichen Ergebnis zu kommen: „In the end, Take Care, is about the shreds of hope that are found buried in the wreckage of loss and grief. It’s about peeling back the layers of hurt, and finding resilience in the human condition.”
In einem Kaleidoskop aus naheliegenden und doch nie ganz greifbaren Referenzen entstehen so über 39 ebenso vielseitige wie homogene – und vor allem enorm kurzweilige! – Minuten praktisch ausnahmslos aufregende Szenen und rundum tolle Songs, die schon beim ersten Durchgang reizvoll die Aufmerksamkeit wecken und in ihrer catchy Griffigkeit auch noch beim zehnten genug Reibungsfläche behalten, um interessant zu bleiben.
Zumal Kupka eine assoziative Variabilität am Mikrofon und als Songwriter beweist, die den Bogen von La Dispute mühelos zu Modest Mouse spannt – schon lange hat jedenfalls niemand mehr ähnlich liebenswert in bester Isaac Brook-meets-Davey von Bohlen-Manier gelispelt, wie wenn Witness seinen Indierock mit Blast-Attacken drangsaliert, die Mitsing-Stimmung Hand in Hand mit dem Austicken geht, und man harmonisch gegen den Strich keift: „With the past as our witness and the future our judge, we all will take the stand for the hurt that we’ve done/ Find your god, find your heart, find your innocence/ And then rip it out.„
„Take a good look/ Take a deep breath/ Take your last steps/ Walk it all back/ Walk the first day/ Walk your first steps/ See them grow up/ See them fall down/ See them move on“ bewegt sich der Opener Never Coming Home vorwärts und rückwärts außerhalb der Zeit zu wehmütigem Gitarrengeplänkel, das seine intime Aufbruchstimmung am Ende der Nostalgie mit hymnischer Tendenz auf das Gaspedal treten lässt, ruppig in die Bruchstellen gniedelt und rumpelt und poltert, sich melodisch aufreibt und immer wieder fleht: „Come Home!“
Eine Sehnsucht, die sich frühen Höhepunkt von Take Care längst als unerfüllbar erwiesen hat: „Last time I checked, there’s a stain where the rooms connect/ From the floor to the walls, you were never gonna give up your home“ platzt es es in der Killer-Hook von Go Cold aus Kupka heraus, wo Bubblegum-Eingängigkeit und nackenschmerzendes Post Metal-Gebrüll sich umarmen, nachdem der triumphale Refrain von Barely Hanging On eine Klavierballade als Rahmen für theatralischen My Chemical Romance-Punkrock gebildet hat.
Dass diese überragende erste Hälfte beinahe überdeckt, wie schmissig auch ein Reprieve oder (vor allem das hinten raus vertrackter frickelnd mit dem Math liebäugelnd auf einem jubilierenden Plateau brennende) Take the Flight im weiteren Verlauf jenseits von Pianos Become the Teeth agieren, während Find Your God so straight Dampf ablässt, schmälert das restliche Gesamtwerk kaum.
Disappear wirbelt ordentlich Staub in der Intimität auf, Hurt All the Time tut dies als zentrales Leitthema sogar noch exzessiver, als Finale der Katharsis würdig: „With the past as our witness and future our judge, we all take the stand for the hurt that we’ve done/ And as that time comes I do hope that you see that your love never left and you finally can be free.“ lässt Kupka seine Seele bluten und zieht mit abrupter Unmittelbarkeit den immer wieder überrumpelnden Cut, der mit dem Schmerz umzugehen gelernt hat. Plötzlich ist alles vorbei – und doch nicht. „Grief isn’t about finding a way to get rid of the hurt, it’s about learning to live with it.“ steht da. Und Take Care hallt insofern universell nach. Was ebenso zermürbend wie wundervoll ist, ebenso weh tut wie tröstet.
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