Nils Frahm – Graz
Keine Ausschussware, sondern eine wunderbare Oster-Überraschung zum diesjährigen Piano Day: Nils Frahm greift in seine Archive und spendiert das bereits 2009 entstandene Graz zum eigenen Feiertag.
„All music written and played by Nils Frahm at Mumuth, Universität für Musik und Darstellende Kunst Graz as part of the thesis Conversations for Piano and Room“, womit wir es hiermit in gewisser Weise mit dem Erased Tapes-Debüt des Berliners zu tun haben – stilistisch entsprechend auch unweit von The Bells angesiedelt.
Gerade Anhänger der (neo)klassisch konzentrierten Frühphase von Frahm kommen so bei Graz voll auf ihre Kosten, wenn keine elektronischen Elemente oder experimentellen Praktiken 39 essentielle Minuten fokussierter Klasse am Tasteninstrument voller atmosphärischer Sogwirkung eine stimmungsvolle, imaginative Welt erschaffen: so melancholisch, ruhig und wunderschön. Ein warmer Sound breitet aus, was sofort zugänglich und angenehm zu hören ist, aber bei genauerer Betrachtung tiefgründig zu erarbeitende Entdeckungen bietet. In gewisser Weise also eine frühe Formvollendung.
Nicht alles hiervon ist übrigens im vergangenen Jahrzehnt in der Mottenkiste verschwunden. Das brillante Because This Must Be etwa erschien beispielsweise bereits auf der Kooperation 7Fingers; das hier als versöhnlich und subversiv hoffnungsvoller Schlußpunkt agierende, die Melodik zumindest die Schwere der Nostalgie immer wieder lichten lassende Went Missing sowie eine schlüssigere Langform von Hammers (das besonders hibbelig auftritt und auch ausnahmsweise Vocal-Loops von Peter Broderick streift, im Albumkontext als belebendes Element auch Sinn macht, sich allerdings schon deswegen in der Dynamik ein wenig als Fremdkörper anfühlt, weil drumherum And Om gleichermaßen optimistisch wie unheilschwanger auftaut, um letztendlich den beklemmenden Abstieg zu wagen, bevor das jazz-nuancierte Crossings als besonders introvertierte Einkehr ebenso zurückhaltend auftritt) gab es 2013 auch auf der Live-Manifestation Spaces zu hören. Graz bietet jedoch sozusagen ihre pure, existentialistische Form an.
Tatsächlich aber ist alles hier dargebrachte Material schlichtweg zu gut, um derart lange in der Versenkung verschwunden gewesen zu sein. Lighter eröffnet weich und bittersüß, baut eine filigrane Intimität über der Dunkelheit, nimmt kompositorisch auch exemplarisch Umwege in Kauf, um die Langzeitwirkung und Tragweite zu fördern. O I End zeigt eine flächige Dramatik und aufwühlende Intensität, das minimalistischen Intermezzo About Coming and Leaving eine herzbalsamierende Anmut, während man sich in der tröstenden Traurigkeit der verträumt-luziden Traurigkeit Kurzum entgegen des Titels gefühlt auf ewig verlieren könnte.
Weswegen Graz sicher alleine für Chronisten und Komplettisten einen unbezahlbaren Wert haben dürfte, in erster Linie jedoch wegen der emotionalen Relevanz eines betörenden Kleinodes aus der Diskografie Frahms aufzeigt.
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