Rafael Toral – Spectral Evolution

von am 22. August 2024 in Album

Rafael Toral – Spectral Evolution

Dem 57 jährigen Klangbastler Rafael Toral gelingt mit dem so ideal betitelten Spectral Evolution exakt drei Dekaden nach seinem Debüt Sound Mind Sound Body ein neues, weiteres Referenzwerk.

Dass der Mann aus Lissabon die zwölf Passagen von Spectral Evolution nicht in einzelne Tracks unterteilt hat, sondern auf allen Plattformen als ein nur am Stück konsumierbares großes Ganzes vorlegt, ist sinnvoll: Zwar macht ein Wechsel des Szenenbildes die einzelnen Abschnitte eines homogenen Werks vage erkennbar, diese fliesen über 47 Minuten aber derart nahtlos als ganzheitlicher Metabolismus zusammen, dass ein Auseinanderdividieren der Segmente einfach unnötig gewesen wäre.
Auch wenn sich eine Art trillierende Klangmanipulation von Vogelgezwitscher dabei wie der rote Faden durch das Album zu ziehen scheint, entfaltet sich der aus selbst gebauten elektronischen Instrumenten, Bass und verfremdeten Gitarren gebaute Habitat von Spectral Evolution klar und flächig gefühlt doch außerhalb einer weltlichen Natur.
First Long Space scheint etwa zu Flöten-Modulierungen die Flora und Fauna eines fremden Planeten zu erforschen, bevor in Zeitlupe tröpfelnde Saiten melancholisch nachzudenken beginnen, und Your Goodbye wie Field Recordings als Dokumentation davon auftreten, als würden sich fremdartige Kreaturen verabschieden, während die Expedition wieder in dem Weltall abhebt.

Ein beruhigender Suspense scheint da manchmal neugierig in seltsam naiv-kindlich wirkender Abrasivität zu orgeln – ein ein aus Blinklichtern bestehender, fiepernder und blinkender Electroacoustic-Free Jazz, oder wie sich ein Kind eine Weltraum-Odyssee vorstellen könnte. Dann wieder scheinen somnambule Fantasien im Delirium eine neugierige Schönheit mit einer verdächtigten Desorientierung zu verschmelzen, zauberhaft nebulös. Phasenweise erzeugt Toral da Annäherung an konkreter wogende Soundtrack-Konventionen in malerischer Eleganz und unterschwelliger Nachdenklichkeit, wo Variationen bekannter Töne aus einer alternativen Realität zu stammen scheinen, die gerade so nah zu unserer Wirklichkeit aufgenommen wurden, dass alles einen vertrauten Beigeschmack hat, sich jedoch kaum ein Element oder Verhaltensmuster tatsächlich greifen lassen.
Die Transzendenz kommt da immer wieder nahe, und auch ohne Überwältigung erzeugt das einen individuell geprägten, atmosphärisch dichten Sog, der fasziniert und Spectral Evolution zu jener Art von Ambient Musik macht, die (in der richtigen Stimmung) die eigene Welt mit neuen Augen sehen lassen kann.

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