Rasha – Del​í​rio Altar

von am 10. November 2022 in Album

Rasha – Del​í​rio Altar

Zwei Jahre nach der EP I verlässt Atmospheric Black Metal-Maestro Caio Lemos für Delírio altar abermals seine Komfortzone, um gemeinsam mit Raíssa Geovanna Matos als Rasha dem reduziert aufgeräumten Synth-, Dark-, New- und Coldwave-Bildern zu frönen.

Boa sorte nimmt den Faden der 2020er-Vorstellung flott treibend im 80er Elektro-Pop auf, die Ethereal Wave-Vocals von Raíssa Geovanna Matos sind (in Richtung Gang Gang Dance-Avantgarde-Tanzbarkeit tendierend) leicht entrückt, ebenso distanziert wie anziehend. Der (exemplarisch für das aufgeräumte Sounddesign relativ simpel gehaltene) Beat eilt über das anachronistische Twin Peaks-Keyboard und man darf an aktuelle, aus der Vergangenheit inspirierte Assoziationen, die von Ulver oder Merchandise über No Devolution bis sogar hin zu Omar Rodrigues-Lopez (in songorientierter) reichen, denken – primär allerdings in ästhetischer Hinsicht.

Das brasilianische Duo sucht trotz bereits vorhandener eigenwilliger Zugänge noch nach seiner Nische, zelebriert dabei aber vorerst einen Eklektizismus. Weil man gewohnt ist, dass Lemos mit seinen anderen Projekten von vornherein eine eigene Handschrift parat hat, kann das Delírio altar vielleicht erst unterwältigender erscheinen lassen, als es die Platte tatsächlich ist.
Die Melodien sind sofort zugänglich, bleiben aber nur bedingt zwingend hängen, weil das Material zuerst als Mood Pieces anstatt anhand eines tatsächlich plotgetriebenen Narrativs funktioniert: Die Verbindung aus vertrauter Verortung und einem (durch die Vocals und die generell eher am minimalistischen  Lo-Fi ausgerichtete Inszenierung entstehenden) Eskapismus erzeugt Musik, über die man sich etwa als Rahmenhandlung zu einer The Cure-Show interessiert freuen würde, die aber über seine grundlegenden Reize erst nach ein paar Durchgängen auch die tatsächliche Klasse des Songwritings auf einem im Verlauf immer stärker werdenden Albums offenbar.

In Máquinas begleitet Lemos als zweite klare Stimme einsteigend die nach vorne gehende Nummer im gehauchtem Duett, sinnierend und doch in die Hüfte gehend, derweil Logo atrás eine postpunkige Strenge unter der Badalamenti-Dystopie vorstellt, sich im kaum wahrnehmbaren Wandel aber für die Melancholie entscheidet: Falsch macht das sehr kurzweilige Delírio altar schon zu diesem Zeitpunkt absolut nichts, man kann dem Album höchstens vorwerfen, dass die genial herausragenden Killer-Szenen fehlen.
Nach dem schwurbelnd im Groove dahinknubbelnden Instrumental Interlúdio schürft sich allerdings das individuelle Profil der Kompositionen, was das Gesamtwerk eine Stufe höher hebt. Das beherrschte Monorritmia agiert kontemplativer, in Trance schwelgend mit halluzinogener Anziehung – der auf den Dancefloor pumpende Twist ist eine Finte! – und auch Mal da palavra fesselt mit seiner ambienten, sedativen Stimmung. Das dunkle Continuum kreiert einen Hybriden aus Blade Runner, The Warriors, Carpenter Brut und Dreampop-Balsam, bevor der Closer Altar do delírio durch seine Acoustic-Gitarre und für zusätzlichen Raum und Luft sorgende Facette addiert – und ein hinterrücks ziemlich tolles Debüt entlässt, dass vielmehr eine enorm vielversprechende Aufwärmübung darstellt, als die Formvollendung – die Zukunft von Rasha in einem eigentlich übersättigten Genre-Umfeld allerdings vor allem erstaunlich interessant andeutet.

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