The Pineapple Thief – Your Wilderness

von am 21. August 2016 in Album

The Pineapple Thief – Your Wilderness

Wie wichtig Bruce Soords letztjähriger selbstbetitelter Soloausflug auch für die Entwicklung seiner Stammband war, zeigt sich auf dem neue Wege einschlagenden Your Wilderness unmittelbar: The Pineapple Thief waren niemals deutlicher Schmelztiegel aller Beteiligten, als auf ihrem elften Studioalbum.

Dass Your Wilderness mit der Ansicht aufräumen wird, dass Bruce Soord der alleinige Denker und Lenker hinter The Pineapple Thief ist, steht freilich nicht zu befürchten. Dafür ist die Ausrichtung seiner Band weiterhin zu deutlich geprägt von den Vorstellungen des Engländers, seine Zielvorgaben werden immer noch mit klar identifizierbarer Handschrift und Stimme vorgetragen: Soord bleibt in allen Belangen das repräsentative Sprachrohr und Gehirn seines Projektes.
Nachdem er 2015 erstmals tatsächlich auch formal im Alleingang unterwegs war, haben sich die Perspektiven für den Prog-Könner jedoch merklich geändert  – auch auf die von ihm angeheuerten Erfüllungsgehilfen und deren Rolle im theoretischen Bandkonzept. Denn aus dem eingefleischten Leader ist mit Your Wilderness bis zu einem gewissen Grad dann doch ein Teamplayer geworden, der Input von außen zulässt und sich nach diesem ausrichten kann.

Primäre Voraussetzung, um dieses Vertrauen von Soord geschenkt zu bekommen, könnten jedoch eine reichhaltige Reputation in Neo-Progkreisen oder zumindest eine heldenhafte Verehrung seitens des Mannes aus Somerset sein, hat der Pineapple Thief-Vorstand Kompetenzen doch nicht an beliebige Sessionmusiker abgegeben: Geoffrey Richardson von Caravan brachte ein Streicherquartett in den Kontext um Basser Jon Sykes sowie Keyboarder Steve Kitch und kümmerte sich um etwaige Arrangements; John Helliwell von Supertramp schuf mit [amazon_link id=“B000068FY0″ target=“_blank“ ]Crime of the Century[/amazon_link] nicht nur eines von Soords‘ erklärten Lieblingsalben, sondern steuerte für das unsterblich anmutig ausgeschmückte Fend for Yourself auch noch ein andersweltartig schönes Klarinettensolo bei.
Als noch gravierender erweist sich (erwartungsgemäß) den Eintritt von Schlagzeuggenie und Szenelegende Gavin Harrison (u.a. King Crimson, Porcupine Tree) in den Pineapple Thief’schen Kosmos: Er zieht Soords Kompositionen ab dem grandios eröffnende, filigran zur Monumentalität auswachsenden Opener In Exile mit seinem behänden, melodiösen Spiel in seinen Bann, modifiziert sie. Er verleiht auch den folgenden Songs einen makellosen Drive samt unkonventionellen Spannungsmoment, prägt sie mit seinem assoziativen Sound, ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Man hört einer Koryphäe dabei zu, wie sie so der ganzen Band eine revitalisierende Frischzelenkur verpasst, Akzente setzt und das (vorübergehend ohne ihren regulären Drummer Dan Osborne auskommende) Trio aus Yeovil über bisherige Grenzen pusht.

Den kreativen Prozess auf mehrere Personen aufzuteilen hat jedoch vor allem Soord selbst gut getan. Als wäre ihm eine Last von den alleinig zuständigen Schultern genommen worden, ringt sich Soord grandios tiefschürfende Texte ab, produziert mit herzerwärmender Vielschichtigkeit und lässt vor allem sein Songwriting unter den synergetischen Bedingungen förmlich aufblühen. Das bisher mit schwankendem Erfolg abgerufene Talent und Können des Briten entfaltet sich unter diesen Gegebenheiten mit zeitloser Grandezza und Understatement. Your Wilderness ist nämlichstets ein ruhiges Album geworden, das mit einer nach außen hin vielleicht unscheinbar wirkenden Akribie an der eigenen Dynamik und Intensität arbeitet, seine Energien mit feiner Klinge und wohlüberlegt absondert – und damit eben den Bogen des gerne unter Wert verkauften Bruce Soord eindrucksvoll weiterspannt.
Die unaufgeregte Sehnsucht und zurückhaltende Intimität seines Solodebüts wird nun auf den Bandkontext übertragen und optimiert. Soord erschafft ein entgegenkommendes Wohlfühlareal für eine ähnliche Melancholie, jedoch eben außerhalb seiner üblichen Komfortzone des Individualismus entworfen. Ohne unnötigen Ballast auskommend verschließt sich das kohärente Your Wilderness in dieser Nahtstelle als bescheiden anschwellende, unaufdringliche Kurzweiligkeit (ja, letztendlich sind 42 Minuten hier gefühltermaßen sogar zu wenig!), die einige der schönsten Momente in der Geschichte von The Pineapple Thief heraufbeschwört.

Das schwelgende That Shore deutet etwa an, wohin die Reise für Dredg hätte gehen können, wenn die Band im massentauglichen Expansionsgedanken ihre Stärken vor Augen behalten hätte Mit welcher Geduld sich das tieftraurige No Man’s Land aus der Piano-Reduktion zum gefinkelten Rocker erhebt oder das filgran-friedfertige Tear You Up sich in ausbrechende, mathematische Schübe fallen lässt entlässt hingegen mit enthusiastischer Glückseligkeit und wiegt den Fakt auf, dass Your Wilderness phasenweise (etwa bei Take Your Shot) dann doch etwas zu nahe an generische Genre-Schablonen kommt, die Intensität der Platte zudem nur selten in letzter Konsequenz bis an die Schmerzgrenzen gedehnt wird, man sich lieber in eine streichelnde Wohligkeit kuschelt.
Keine Luft nach oben bleibt hingegen beim knapp 10 minütigen Glanzstück The Final Thing on My Mind: Als würde Soord seine Band durch das Andenken von Oceansize dirigieren steigert sich die Nummer immer weiter, bevor ihr Harrison die anvisierte Explosion verweigert und den Song über nachdenkliche Innenansichten zu einem jazzig-beschwingten Groover mutieren lässt. 
Dass Pineapple Thief sich nicht zuletzt deutlicher denn je den Windschatten von Porcupine Tree, Steven Wilson und anderen stilprägenden Referenzen begeben, mag die Eigenständigkeit der frei atmenden Band ein wenig eingrenzen, nicht aber ihre Relevanz beschneiden. Genau genommen hat man nach Your Wilderness sogar den Eindruck, dass Soord nicht nur einen Lauf hat, sondern spätestens jetzt unter tatkräftiger Hilfe von Außen endgültig zu sich selbst gefunden hat.

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