Aphex Twin – Syro

von am 28. September 2014 in Heavy Rotation, Reviews

Aphex Twin – Syro

Beinahe die gesamten 00er-Jahre hat der „Mozart der Elektronik“ sein bekanntestes Alias zu den Akten gelegt und erteilt einem Gros der Szene 13 Jahre nach ‚Drukqs‚ und dem wohlverdienten Winterschlaf eine Lektion, obwohl – oder gerade weil! – er sich vordergründig damit begnügt Revue passieren lässt, warum Aphex Twin immer schon die Nase vorne hatte.

Syro‚ ist definitiv kein vorwärtsgerichtetes, perspektivenerweiterndes Album des Mannes, der die Elektronikszene in den 90ern so maßgeblich vorangetrieben hat. Vielmehr ist das je nach Zählweise sechste Studiowerk des Engländers eines, das vage an The Tuss von 2007 anknüpft, vor allem aber auf beinahe retrofuturistisch-selbstreferenzielle Art zusammenfasst, was man in den letzten knapp eineinhalb Dekaden so schmerzlich an Aphex Twin vermisst hat – und sich dabei sogar den Luxus leisten kann, genau genommen absolut nichts besser zu machen, was James nicht bereits noch intensiver, mutiger, fordernder, anmutiger – revolutionärer -hinbekommen hat.
Es hat nun aber absolut nichts mit aufgestauten Entzugserscheinungen zu tun, dass dieses weitestgehende Desinteresse am Fortschritt ‚Syro‚ keineswegs in den Rücken fällt, sondern dem Comebackalbum viel eher (einen durchaus nostalgisch angehauchten) Auftrieb gibt, wenn es darum geht die Klasse von ‚Syro‚ einzuschätzen – ein Faktor, der bereits der letztjährigen Boards of Canada-Platte in die Hände spielte. Denn das erste Aphex Twin-Album nach der langen Abstinenz zeigt kurzerhand – und ohne jede offenkundige Anstrengung – vor allem den Vorsprung auf, den Aphex Twin seit jeher hatte, indem es sich wie schon ‚Drukqs‘ in gewissem Masse in die eigenen Hohheitsgebiete zurücklehnt, wenn auch mit einem anderen Zielbestreben: Wo das Elektrogenie 2001 erschöpfen wollte, reicht nun die Hand.

Nach 65 (kurzweiligen!) Minuten Comeback zeigt sich, dass James, als er davon sprach dem Fan mit ‚Syro‚ ein Geschenk machen zu wollen,  dies auch tatsächlich so meinte und anstelle des (durchaus möglichen) alles erschlagenden Hirnfickbrockens ein erstaunlich freidfertiges, ja, geradezu versöhnlich entgegenkommendes Werk vorzulegen. ‚Syro‚ ist dabei mit Trademark-Siegel erbaut auf synkoptischen Beats und vertrackt ausgeschmückten Rhythmen, flirrenden Keyboardeffekten und Synthesizerwellen, Ambientsprengseln und verfremdeten Vocalspuren, ganz so, wie man das von Aphex Twin erwarten konnte. Die Art und Weise, wie James aber unter all die Bits und Bytes permanent verschleierte Melodiebögen einflicht, durch die unheimlich detailiert texturierten Szenarien kaum fassbare Ahnungen von Harmonien  gleiten lässt, minimale Details immer wieder mit großer Tragweite wachsen lässt und aus gefühlten tausenden, brutzelnden und bratenden kleinen, zerstreuten an High-End-Computern eingescannten Einzelteilen ein so eng verflochtenes, homogenes Ganzes formt – das hinterlässt in seiner Versiertheit und doch verfolgbaren Komplexität bisweilen sprachlos.

Das vorab bekannte, eröffnende ‚minipops 67 [120.2]“ (source field mix)‚ hat dabei die konsistente Ausrichtung der Platte durchaus adäquat vorgegeben. Raum für Variationen bleibt dennoch mehr als genug: ‚180db_‚ ist etwa ein treibendes Brett vor dem Herrn, ‚CIRCLONT6A (Syrobonkus Mix)‚ beginnt als potentieller, aggressiver Nintendocore-Remix und mündet dann in schillernd fiepender Ekstase sowie dystopischen Soundscapes, während das verstolpernde ‚Produk 29‚ wie so vieles auf der Platte Richtung Steckdosen-Jazz schielt.
Das epileptische ‚Syro u473t8+e (Piezoluminescence Mix)‚ verschmilzt dagegen sphärische Klangwelten mit einem zappelnden Rhythmusboden, ‚PAPAT4 (Pineal Mix)‚ schrubbelt sich zwischen manischen Junglebeats und Synthiepopfächern zu einem relativ konventionell verfolgbaren Electroausflug und in ähnlicher Gangart zappt auch ‚S950tx16wasr10 (Earth Portal Mix)‚ wie wildgeworden durch sein Beatarsenal.
Dennoch: wenn das ‚CIRCLONT14 (Shrymoming Mix)‚ einen hektischen Breaksprint in den Raum stellt und dabei dennoch das erschlagende, durchaus die Hörgewohnheiten anstrengende, erschöpfende und nervös aufstachelnde Element vergangener Aphex Twin-Alben auf gewisse Weise ausklammert, verdeutlicht dies nur, dass ‚Syro‚ abseits gerissener Nervenstränge das wahrscheinlich ideale Album ist, um auf zuvorkommende Art in Erinnerung zu rufen, wieviel Unterhaltungswert ein Ausflug in die Welt des Richard D. James doch haben kann. Das prolongierte erste (und zugänglichste) Album in einer nun folgen sollenden Veröffentlichungswelle zahlreicher bereits fertig gestellter Werke ist also kein Höchstleistungssport, sondern  durchaus als Einladung zu verstehen. Wenn das abschließende ‚Aisatsana‚ als wunderbar stille Pianoelegie die Seele streichelt kann das deswegen wohl durchaus als trügerische Ruhe vor dem Sturm gedeutet werden. Kaum auszumalen jedenfalls, was sich bei dem im stillen Kämmerchen tüftelnden James in den letzten Jahren sonst noch angestaut hat.

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