2018: 20 Kurzformate
Wegen spielzeittechnisch zwar auf EP-Ebene operierender, aber nominell als Alben geführter Veröffentlichungen wie Bad Witch, FM!, B.E.D, Some Rap Songs, Criminal Body oder eben der kompletten Kanye West-Pentalogie (DAYTONA, YE, KIDS SEE GHOSTS, NASIR, K.T.S.E.) waren die Grenzen zwischen Langspieler und Kurzformat 2018 gefühltermaßen so fließend/absurd wie selten zuvor.
Wo sich über die Aktualität oder gar Sinnhaftigkeit konventioneller Kategorisierungen im Streaming-Zeitalter aber wohl mittlerweile grundsätzlich diskutieren lässt, haben die vergangenen 12 Monate ungeachtet dessen unzählige starke (tatsächlich auch als solche firmierende) EPs herausgebracht.
20 unserer liebsten Platten aus diesem Pool gibt es nachfolgend in alphabetischer Reihung – Splitsingles außen vor lassend.
218 Songs | HM | Kurzformate | 50 – 41 | 40 – 31 | 30 – 21 | 20 – 11 | 10 – 01 |
André 3000 – Look Ma No Hands
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Auch wenn André Lauren Benjamin weiterhin ein gefragter Feature-Partner im Rap-Business bleibt, ist spätestens seit The Love Below klar, dass seine Interessen längst anderswo, zumindest aber in stilistisch deutlich vielseitigeren Spektren liegen.
Auf Look Ma No Hands – nominell übrigens sein (bisher ausnahmslos digital veröffentlichtes) Solodebüt – versucht er sich mit Bass-Klarinette bewaffnet am Jazz. Unterstützung erhält er von James Blake am Piano, bevor er sich mit Me&My (To Bury My Parents) wieder in etwas angestammt-verdaulichere Bahnen bewegt. Ein feines Muttertags-Präsent!
Aphex Twin – Collapse
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Collapse ist beileibe nicht die einzige EP, die Richard D. James seit seinem 2014er-Comeback Syro vorgelegt hat – es ist aber die erste seit vier Jahren, die den hohen Aphex Twin-Standards mühelos standhält. Schließlich klingt der Signature Sound des Iren hier endlich wieder gewohnt herausfordernd und inspiriert, ist zielstrebig und fokussiert, transportiert sogar eine relativ schmissige Zugänglichkeit, die man im Aphex Twin Werk und Kontext nicht erwarten darf. Eine verdammt kurzweilige Angelegenheit also, in ihrem Gewicht jedoch enorm leichtgängig.
Black Thought – Streams of Thought, Vol. 2
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Man kann sicherlich darüber diskutieren, ob nun Volume 1 (mit 9th Wonder am Produzentenstuhl) oder Part 2 (mit Salaam Remi als Betreuer) der EP-Reihe vom The Roots-Co-Kopf Black Thought stärker ausgefallen ist – wir entscheiden uns im Zweifelsfall für den jazzigeren, organischen zweiten Teil der Reihe.
Kein Streitpunkt sollte allerdings ohnedies sein, dass Tariq Luqmaan Trotter im Rapgame 2018 kaum jemand das Wasser reichen konnte, die Beats über einem beispiellosen Flow sitzen und eine hungrige Dringlichkeit ausstrahlen, die ihresgleichen suchen. Einigen wir uns also auf pure, ganzheitliche Machtdemonstration – dessen wahre Glanztat vielleicht sogar anderswo passierte.
Boygenius – Boygenius
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Tun sich renommierte, namhafte Musiker zusammen, überschätzen sie die Ambition und Tragfähigkeit ihrer Talente in der immer unter schwierigen Sternen stehenden Konstellation einer prolongierten Supergroup ja gerne – das Endergebnis kann da letztendlich selten mit der Erwartungshaltung konkurrieren.
Beim formidablen Trio-Verbund aus Phoebe Bridgers, Julien Baker und Lucy Dacus passiert im Grunde genau das Gegenteil, indem seine Debüt-EP als pure Synergie (neben der einen oder anderen soliden Routinearbeit) das mitunter beste Material der Musikerinnen aufbietet, indem sich alle Parteien gegenseitig ergänzen und die jeweiligen Vorzüge verstärken. Im Gegensatz zu einen Gros etwaiger Allstarkombos macht Boygenius also verdammt viel Lust auf mehr!
Converge – Beautiful Ruin
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Converge lassen die Konkurrenz mal wieder Staub fressen: Die lange angekündigte „Resteverwertung“ der The Dusk in Us-Sessions klärt zwar hinsichtlich der kompakten Strukturen auch darüber auf, weswegen die vier Songs von Beautiful Ruin nicht auf dem Studioalbum von 2017 enthalten waren, unterstreicht aber vor allem, dass die unfehlbare Institution aus Boston auch heute noch in knapp sechs Minuten mehr Zerstörungskraft fokussiert, als andere Bands in ihren gesamten Karrieren.
Dungen & Woods – Myths 003
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Der dritte der Teil Myths-Reihe bietet eine Kooperation, die alleine aufgrund ihrer Grundkonstellation in den Hype-Modus versetzt – und dann ohne große Überraschungen in der anachronistischen Schnittmenge der Hohheitsgebiete der beiden Qualitätsgaranten zwischen Stockholm und Brooklyn abholt: Sieben Songs lang treiben Dungen und Woods im Canterbury-Sound durch formlosen Neo-Psychedelic-Folk, der mit seinen friedvollen Melodien und liebenswerten Harmonien bis zum Pink Floyd-Feeling driftet. Gelegentlich schärfen sich gar poppige Konturen aus dem unverbindlichen Fluß.
Thomas Erak and the Shoreline – The Whole Story
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The Whole Life ist der variantenreiche Intervall-Sprint, den man sich insgeheim seit Jahren von Thomas Erak erhofft hatte: Indem er mit seiner prolongierten Backingkombo The Shoreline qualitativ einerseits endlich wieder an die besten Momente von The Fall of Troy anknüpfen kann, diese aber darüber hinaus vor allem in verschiedene Auslagen weiterdenkt. Wohin ihn das auf seiner Solospielwiese in weiterer Folge führen wird, bleibt insofern zwar vorerst offen – aber seit langer Zeit fiebert man diesen Entwicklungen und dem Output von Erak nun wieder gespannt entgegen.
The Flatliners – Mass Cadescence
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„Auf Mass Candescence machen wir da weiter, wo wir mit [amazon_link id=“B06W2KWMCK“ target=“_blank“ ]Inviting Light[/amazon_link] aufgehört haben – und lassen dieses Licht heller denn je scheinen. Dies sind die Sommersongs über die Probleme Deines Lebens und den Herzschmerz des Erwachsenwerdens.“ sagt Hot Water Music-Aushilfsgitarrist Chris Cresswell und hat seiner eigenen Band tatsächlich drei optimistisch durchstartende, absolut catchy anholende Punkrockohrwürmer auf den Leib geschrieben, die auch auf deren jüngsten Studioalbum zu den hittauglichsten Highlights gezählt hätten.
Green Lung – Free the Witch
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Während Devil’s Witches über Porno Witches and Vietnam Veterans primär damit beschäftigt waren Singleveröffentlichungen der vergangenen Monate zu versammeln, Windhand sich aktuell ein bischen in der Komfortzone zu verlieren drohen und von Electric Wizard offenbar längst nur noch wenig zu erwarten ist, haben sich mit Green Lung schon die nächsten Experten in Sachen psychedelischer Heavyness zwischen Stoner- und Doom-Bauplänen positioniert – hier mit okkulter Perspektive aus das Erbe von Black Sabbath. Keine Revolution, aber treffendes Genre-Handwerk mit fetten Riffleads und guten Melodien.
mewithoutYou – Untitled
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Bevor mewithoutYou ihr sehr feines siebtes Studioalbum [Untitled] auftischten, gab es einen ebenso namenlos betitelten Herold in EP-Form, ein Companion-Piece: 25 Minuten lang schwelgt die sprechsingende Band im kontemplativen Tempo hier durch eine Geborgenheit, mit unaufgeregten Akustikgitarren, warmen Melodien und viel tröstender Ruhe.
Aggressiv wird der Indie-affine Post-Hardcore der Amerikaner dabei nie, dafür aber phasenweise sogar nachdenklich in den Ambient wehend – und wunderschön. Weswegen man (mal wieder aufs neue) sein Herz an mewithoutYou verlieren darf.
Oneohtrix Point Never – Love in the Time of Lexapro
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Was für ein Veröffentlichungsrausch: Einen Soundtrack ([amazon_link id=“B0756C2KBC“ target=“_blank“ ]Good Time[/amazon_link]) hat Daniel Lopatin 2018 veröffentlicht, dazu mit Love in the Time of Lexapro sowie mit dem das Aushängeschild wechselnden Klon-Doppel The Station und We’ll Take It je nach Auffassung auch noch drei zusätzliche EPs. Subjektiv übertrumpft er dabei mit diesen Nebenbausellen sein ohnedies sehr überzeugendes, zwischen genialen Ausnahmemomenten und starkem Füllmaterial pendelndes Hauptwerk [amazon_link id=“B07CBDJP1X“ target=“_blank“ ]Age Of[/amazon_link] in Sachen Kohärenz.
Inwiefern, soll mal einfach beispielsweise der wuchtig schiebende Druck von Monody, die Slow’eske Grandezza Babylon in seinen Ryuichi Sakamoto-Asia-Umfeld oder Blow by Blow, diese Ghibli-Streicheleinheit aus der Metal-Perspektive, erklären.
Panda Bear – A Day With the Homies
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Spoiler: mit dem kommende sechsten Studioalbum Buoys entfernt sich Animal Collective-Fremdgänger Noah Lennox überraschenderweise bereits wieder ziemlich vom Sound, den er auf A Day With the Homies erst vage zu erforschen begann. Das ist schon auch ein bisschen schade – gerne hätte man Panda Bear noch konsistenter auf der Tanzfläche erlebt.
Protomartyr – Consolation
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Protomartyr haben sich im Jahr nach dem triumphalen Relatives in Descent nicht nur mit Preoccupations für Telemetry at Howe Bridge zusammengetan und mit Spray Paint für Irony Prompts a Party Rat durcheinandergewürfelt, sondern auch noch einmal Breeders-Schwester Kelley Deal als Rückendeckung für ihren schlauen Postpunk an Bord geholt. Das ist so gut, wie es schon auf dem Papier klingt.
Thou – Ceremonies of Consolidation
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Thou hätten diese Liste zu einem Viertel auch komplett im Alleingang verdientermaßen füllen können, denn jede einzelne der drei EPs und zwei Kooperationen der Doom-Allmacht ist brillant. Dass hier das unter dem Banner Ceremonies of Consolidation versammelte Trio The House Primordial, Inconsolable und Rhea Sylvia sowie die beiden Kooperationen Let Our Names Be Forgotten (mit Ragana) und der Nirvana-Tribut mit dem HIRS Collective nicht allesamt aufgelistet sind, ist dann primär der Wettbewerbsfairness geschuldet.
The Tidal Sleep – Be Kind
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[amazon_link id=“B06Y5NNYV3″ target=“_blank“ ]Be Water[/amazon_link] war im Jahr 2017 eine zuverlässige Wohltat der deutschen Melodic Hardcore-Garanten, das Sahnehäubchen dazu folgt allerdings erst jetzt: Die vier Songs von Be Kind strahlen auf sich gestellt nicht nur eine immense Energie aus, sondern mutieren praktisch unmittelbar zu Hochkaräter im Repertoire der Band, wenn etwa Cures. zur Hymne wächst oder das absolut überragend euphorisierende Triggers. auch der Genre-Speerspitze um Touché Amoré und Modern Life is War die neidischen Schweißperlen auf die Stirn treibt.
Eine absolut würdige Jubiläumsveröffentlichung für This Charming Man Records.
Tomb Mold – Cerulean Salvation
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So stark ihre grandiose zweite Studioplatte [amazon_link id=“B07CG1R3DL“ target=“_blank“ ]Manor of Infinite Forms[/amazon_link] nur wenige Monate vorher auch gewesen sein mag – der Nachzügler Ceruluean Salvation ist sogar noch besser, weil es den traditionsbewussten Death Metal der Kanadier vollkommen ohne Leerlauf über zwei Highlightsongs einer makellosen Diskografie fokussiert.
Und das ansprechendere Artwork hat die frei via Bandcamp verfügbare Angelegenheit außerdem.
Visor – Opposing Sides
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Die erste (und wohl auch einzige) EP der Schotten hat es zugegebenermaßen auch deswegen auf dem letzten Sprung noch in diese Liste geschafft, weil der angekündigte Abschied von Craig B aus dem Musikbusiness mit dem kommenden A Mote of Dust-Zweitwerk bereits jetzt schmerzt.
Aber auch, weil es einen ziemlichen Reiz hat, die sanfte Stimme des Ausnahmemusikers unfasbare elf Jahre nach dem Ende von Aereogramme noch einmal zu derart harten (auch zu langen, repetitiven und ziemlich catchy) Brechern mit knackigen Riffs und massiven Blastbeats aus der Metalecke hören zu können und Opposing Sides mit jeder Nummer ausgefeilter, epischer und besser wird. Wohin diese Reise vor allem auch zukünftig hingehen hätte können – was würde man dafür geben, es erfahren zu können!
Yndi Halda – A Sun-Coloured Shaker
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Gut, es ist nur ein Song, der sich über knapp zwölf Minuten streckt – aber aktuell gehen die Dinge bei Yndi Halda nahezu rasant von statten. Lagen zwischen dem Debüt [amazon_link id=“B000OMD48Y“ target=“_blank“ ]Enjoy Eternal Bliss[/amazon_link] und seinem Nachfolger Under Summer noch satte elf Jahre, sind es zwischen dem Zweitwerk und dieser EP gerade einmal an die 23 Monate.
Kein Schnellschuss: A Sun-Coloured Shaker konnte 2016 nicht rechtzeitig zum Release der regulären Studioplatte fertig gestellt werden, denkt nun eben mit etwas Verspätung das Wesen seines großen Albumbruders konsequent mit den typischen Violinen, Rhodes-Piano und überraschend viel Gesang weiter. Ein mystisches Breitwand-Schmankerl in einem durchwachsenen Postrock-Jahrgang.
Warthog – Warthog
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Die Sammlung früher The Men-Songs auf Hated: 2008 – 2011 warf durchaus die Frage auf, was deren ehemaliger Bassist und Brüllwürfel Chris Hansell derzeit so treibt. Die Antwort ist denkbar simpel: Er veröffentlicht (unter anderem) mit Warthog immer noch (beinahe ausnahmslos) selbstbitetelte, (meistens starke) EPs (ausschließlich, übrigens), die mit metallischer Kante ordentlich Druck im Punkrock ablassen und weiterhin eine rohe Dringlichkeit kanalisieren. Im Falle dieser 12 Minuten eventuell sogar zwingender als zuvor bereits.
Kamasi Washington – The Choice
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Der Stunt ist gelungen: Neben der quantitativ überwältigenden Ladung von [amazon_link id=“B07CBYKNH4″ target=“_blank“ ]Heaven & Hell[/amazon_link] hat Kamasi Washington auch noch eine angenehm kompakt gehaltene EP im Artwork seines (je nach Zählweise) zweiten bis fünften Studioalbums versteckt – inklusive wundervoller Coversongs von Will You Love Me Tomorrow und Ooh Child im bedächtigeren Fluss dieser anschmiegsamen 40 Minuten Schaulaufen.
(Als Video gibt es mangels Alternativen an dieser Stelle dennoch ein Video vom schneller übersättigen könnenden, megalomanischen großen Langspiel-Bruder).
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