Chromatics – Kill For Love

von am 7. April 2012 in Album

Chromatics – Kill For Love

Wenn ein Album bereits im ersten Song mit derart eigener Handschrift Neil Young zitiert und das nachfolgende eigene Material kaum schlechter ist, kann eigentlich nichts mehr schief gehen – sondern die Sache höchstens eine Spur zu lange werden.


Von 36 geschriebenen Songs haben es schlussendlich „nur“ 17 auf ‚Kill for Love‚ geschafft, gut ein Drittel davon Instrumentalstücke, welche den Albumfluss zwischen all diesen Genrehits unterstützen sollen: Das ergibt beinahe 80 Minuten an atmosphärisch dichter Musik. Das ist nach der langen Wartezeit natürlich nachvollziehbar, etwas zu gut hat es Mastermind Johnny Jewel damit auf dem ersten Album seiner Band seit 5 Jahren dann aber doch gemeint, weil ein in sich durch und durch stimmiges Album trotz all dem grandiosen Songwriting tatsächlich seine Längen mitbringen kann. Und trotzdem: Ihre Metamorphose weg vom stylischen Rock, hin zum eleganten Synthie-Pop, die haben Chromatics spätestens hiermit aufs meisterlichste abgeschlossen.

Kill for Love‚ hat wieder all diese reverbverhangenen Gitarren, all die zart-unnachgiebigen Beats und all die flirrenden Neonkeyboards in peto, die man schon auf ‚Night Drive‚ lieben musste, die durch den Einsatz von ‚Tick of the Clock‚ in Nicolas Winding Refn’s ‚Drive‚ dessen Soundbild maßgeblich prägten und definierten. So wird man in Kenntnis des cineastischen Meisterwerks wohl kaum eine Sekunde von ‚Kill for Love‚ hören können, ohne Assoziationen an Ryan Goslings gewaltige und gewalttätige  Odyssey zu knüpfen.
Selbst wenn dieser Fall nicht gegeben ist, gilt natürlich immer noch die Faustregel: Wo M-83 für den Synthie-Pop der strahlende Sommertag ist, sind Chromatics dessen dunkle Nacht. Melodramatisch und noch mehr als das melancholisch, drückend und bedrückend, nachtwandelnd, wunderschön. Der Blick von der lichtverschmutzten Großstadt auf den Vollmond. Chromatics forcieren diese Gedankenbilder: ‚l Watch The Moon Hang In The Sky/l Feel The Traffic Rushing By/Freight Train Engine In The Night/I’m Still Here Waiting For You‚ singt Ruth Radelet verträumt, betörend. Und bringt das transportierte Lebensgefühl einer Platte damit auf den Punkt.

Einer Platte, die so gar nicht auf den Punkt kommen möchte. Weil zwischen der eröffnenden Neil Young Adaption ‚Into the Black‚ und den zitierten Passagen eben mehr als sechzig Minuten Musik liegen, die sich gleichförmig um den Hörer ausbreiten, durch schmeichelnde Gefilde und flirrende Keyboardergüsse streifen, gelegentliche Streicher bleiben vage, Anrufbeantworter schmiegen sich an die wenigen von Jewel gesungenen Songs, die Szenerie bleibt unwirklich. Jewel hat darum herum erhabene Songs gebastelt, Ohrwürmer wie das schmeichelnde ‚Lady‚, den markanten Titeltrack und ‚Back from the Grave‚ – im idealen Zwischenreich von elektronischer Musik und ungezwungenem Indierock, niemals aggressiv aneckend: Kanten flimmern und bleiben Illusionen, bleiben entrückt majestätisch. Wo am Cover und in der Ästhetik My Bloody Valentine Tribut erwiesen wird, blickt ‚These Streets Will Never Look the Same‚ am Ende bis hin zu ‚Rocky 3‚: Dass ‚Kill for Love‚ seine stärksten Momente in der ersten Hälfte hat und nach schwächelnder Phase erst am Ende zur Form zurück findet, kann dies nicht übertünchen.
Davon abgesehen treibt und driftet das vierte Chromatics Album aber makellos und konsequenter als vieles, was das reich beackerte Feld ansonsten ausspuckt. ‚Kill for Love‚ wächst in seinen besten Momenten zu einer halluzinierenden Reise durch die Finsternis heran, einem Paradebeispiel genretreuer Musikkunst. Mit ein bisschen mehr Stringenz, ein wenig mehr Zurückhaltung und Mut zur Kompaktheit – wäre das gar noch mehr geworden.

[CD auf Italians Do it Better]

Print article

3 Trackbacks

Kommentieren

Bitte Pflichtfelder ausfüllen