Dredg – Vault
Dredg bereiten sich laut eigenen Angaben ja schon ziemlich lange auf ihr Comeback in Form ihres sechsten Studioalbums vor. Mit der Veröffentlichung des Liebhaberstücks Vault sollen endgültig die (finanziellen) Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden.
„Dredg Vault – a bold, very limited collection of previously unreleased and recently sourced works of art, music, video and relics spanning 28 years time. The centerpiece is a 340 page hardcover book (10″ x 13″) signed and numbered, encapsulating the entire career of the band, from childhood to today. Other articles and relics include re-releases of early music, unreleased documentary studio footage, conceptual letters, maps, lyric books, as well as never released music. Each vault is delivered in a custom artwork printed box personalizing the experience from the moment it arrives. All proceeds go towards funding the new dredg album, LP #6.“ heißt es auf der von der Band eingerichteten Website, zudem wurden alle Ingredienzien des Vault auf der Facebookseite von Dredg ausführlicher aufgezwirbelt.
Obwohl also an sich schon klar ist, was den geneigten Anhänger erwartet, folgen an dieser Stelle ein paar Gedanken zu dem Package für nach wie vor unentschlossene Fans – die auf 1000 Stück limitierte Box ist noch nicht ausverkauft, die Anschaffung mit knapp 208 Euro (sofern man sich nicht gleich für eine der vielen, vielen weitaus kostspieligeren Tier-Optionen entscheidet) aber auch alles andere als günstig, zumal dazu noch ein horrender Versand (rund 60 Euro) sowie kaum weniger verlockende Einfuhrgebühren (die sich zumindest in Österreich auf weitere 60 Euro belaufen) kommen.
Ein sich summierender Spaß. Ob der Vault derart absurde Anschaffungskosten rechtfertigt, muß letztendlich zwar freilich jeder für sich entscheiden – subjektiv genügt als Rechtfertigung für die hohen Ausgaben vielleicht allerdings ja alleine schon die Tatsache, dass die ewige Herzensband Dredg die generierten Einnahmen für ein neues Studioalbum nutzen wird und man dazu gerne beiträgt – eine kleine zusätzliche Sichtung aus weniger nüchterner Perspektive kann aber zumindest nicht schaden.
Die „custom artwork printed box“, die stimmig designt ein deklarierter Teil des Vaults ist, ist nach der Lieferung erwartungsgemäß relativ unbrauchbar, weil sie rund um die Welt gereist alles andere als sauber geblieben ist und zudem mit allerlei Frachtpapierkram beklebt eintrifft. Zum Wegwerfen dennoch zu schade.
Untergebracht ist in der Inhalt allerdings ohnedies alles relativ sicher in einem dick verarbeiteten, durchaus wertigen Tote Bag, das zugebenermaßen einigen redundante Kram – wie Sticker (plural) und Pin (singular), eine Pariah-Postkarte und schickem Patch – mitführt, grundlegend aber vor allem essentielles enthält: Das auf Digipak-DVD gepresste Making of von El Cielo (eine knapp 70 minütige Collage aus unkommentierten kurzen Filmschnipseln, die eine feine Stimmung generieren und geradezu instinktiv in den Entstehungsprozess der Platte saugen), ein 34 seitiges Leitmotif Storyboard Zine oder Auszüge aus Gavin’s Lyric Journals, den Fahrplan zu El Cielo und natürlich mehr als alles andere das schwere Vault-Hardcover-Buch, das die Geschichte der Band von 1994 bis 2022 zusammenfasst, und in dem man sich stundelnag schmökernd verlieren kann. Erwähnenswert fein übrigens das Vorwort von Jochen Schlieman – und wie grandios seinerzeit übrigens auch die erste große Visions-Story zu Dredg war, darf an dieser Stelle ruhig in Erinnerung gerufen werden.
Grundlegend – und gerade aus musikalischer Sicht – geht es ohne Fanbrille betrachtet im Vault allerdings schon auch ambivalent zu, weil gefühlt viel Potential liegen gelassen wurde.
Die erstmals seit 1997 wieder verfügbar gemachte Orph EP ist auf CD vorhanden und stellt eine gelungene Metamorphose von der (leider nicht enthaltenen) Conscious EP aus dem Nu Metal hin zum Stil von Leitmotif dar. Casio Without Arms zeigt, wie es klingt, wenn Drummer Dino Campanella das 2005er Album der Band alleine auf einem Casiotone MT-500 nachspielt (nämlich auf 41 Minuten destilliert überraschend kurzweilig und unterhaltsam, die feinen Melodien der Platte durch die ungewohnt anachronistische Reduktion hervorhebend und gleichzeitig ganz neue rhythmische Impulse setzend). Mit Halong Bay gibt eine eine unveröffentlichte B-Seite von El Cielo auf Flexidisc, die als verdientes, aber nichtsdestotrotz gelungenes Outtake in selige MySpace-Nostalgie versetzt und auch aufzeigt, dass eine komplette Raritätensammlung (für die ja mehr als genug Material vorhanden ist!) erfüllender gewesen wäre, als dieser einzelne Song.
Noch frustrierender kommt insofern der geradezu willkürlich ausgewählt für sich alleine stehen müssende (erhabene, allerdings etwas zu hastig angegangene) Mitschnitt von Cartoon Showroom (aus dem Konzerthaus Dortmund am 1. November 2009) auf Mini-CD daher, weil das grandiose Konzert seinerzeit schließlich zur Gänze mitgeschnitten und beispielsweise auch dem Visions Magazin einst hat als DVD beigelegt wurde.
Dabei wäre auf dem Vault-inkludierten USB-Stick doch Platz gewesen. Stattdessen begnügt sich das Speichermedium damit, hinter ein paar leidlich motiviert abrufbaren Bildern mit überschaubarem Mehrwert ein etwas unglücklicher Clusterfuck voller grandioser, aber kaum exklusiver Momente zu sein. Das tolle Catch Without Arms-Making-of 3 Hour Banana (das knapp 42 Minuten dauert und längst bekannt ist) hätte sich etwa auch ein separates physisches Release verdient gehabt, derweil die Pariah-Doku The Leaflet auf 18 kurze Snippets aufgeteilt eher unglücklich erscheint und der Coachella-Auftritt von 2008 so verpixelt wie etwaige YouTube-Version ist – und damit eigentlich ungeniesbar.
Die Demo von Where I End Up agiert verträumt perlend in sanfter Psychedelik über einem stoisch-differenziert dahinlaufenden Drumbeat, der wie aus der Büchse arbeitet, entrückter und unwirklicher – beinahe im LoFi-Shoegaze/Dreampop – als die poppig saubere Studioversion und lässt damit einen durchaus interessanten alternativen Blick auf Chuckles & Mr. Squeezy zu – wirkt hier aber ohne jeden Kontext komplett verloren und nahezu versehentlich auf dem Stick gelandet. Sehr irritierend.
Ebenso ärgerlich, dass die Dateien der USB-Musik wirklich sorgfältig benannt hätten werden können – wer sich die Titel beispielsweise auf iTunes spielen will und Wert auf Ordnung legt, sitzt angesichts der hingerotzten Alibi-Sortierung mal eine Zeit am enervierend unnötigen Umbenennen.
Bei Do Pivnice (einer bisher unveröffentlichten 16 minütigen Collage zum gleichnamigen Film aus dem Jahr 1983 entlang loser Skizzen im Ambient voller Elektronik, Tribal Drums, Synth-Flächen und Stamp of Origin-Wurzeln) fällt das natürlich kaum ins Gewicht, schon aber bei El Cielo Brushstrokes (Blueprints) – 18 instrumentalen Bindemittel über 58 Minuten, die ein wunderbar atmosphärisches Companion Piece zum Meisterwerk-Mutterschiff bieten und dessen Interludes fragmentarisch vorwegnehmen.
Dass Dredg dabei das seit Jahren kursierende Material doch merklich beschnitten haben – absolut verschmerzbar. Weil der Band nicht nur hier der Spagat gelingt, das Andenken der Vergangenheit ungeachtet einiger Schönheitsfehler veritabel aufzuwärmen und damit die Vorfreude auf das kommende Comeback mit der Erkenntnis anzuheizen, dass selbst die Fußnoten zu den magischen Momente von Gavin Hayes, Drew Roulette, Mark Engles und Dino Campanella eigentlich unbezahlbar sind.
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