Einstürzende Neubauten – Alles in Allem

von am 29. Mai 2020 in Album

Einstürzende Neubauten – Alles in Allem

Alles in Allem eine erstaunlich gefällige Angelegenheit, selbst wenn das erste reguläre Studioalbum seit über zwölf Jahren die Evolution der Einstürzende Neubauten genau genommen doch nur so schlüssig fortsetzt.

Es ist wahrscheinlich sowohl falsch von einer gesetzteren Altersmilde zu sprechen, wie es auch daneben liegen dürfte, den Neubauten das aktive Bewusstsein zu attestieren, ohnedies einen Platz in den Annalen der Musikhistorie sicher zu haben, und deswegen nichts mehr riskieren zu müssen, keine Anti-Musik in aller Avantgarde-Unverträglichkeit machen zu „müssen“, die gefühltermaßen primär von Künstlern für Künstler entsteht, quasi immer auch Kreativität provozieren wollte. Denn dass die Neubauten auf Albumlänge noch nie derart weit vom Mythos ihrer Anfangszeit, vom Krach und dem Schrottplatz, waren, noch nie derart hörbar und zugänglich waren, darf zwar eigentlich nur jene überraschen, die die zumindest letzten eineinhalb Dekaden dieser Band verpasst haben.

Aber dennoch: Ein derart angenehmes, entspanntes, nachdenkliches und eben auch wirklich durch und durch leicht verdaulich zu konsumierendes Werk, das sich bisweilen (etwa im Harmonika-klackernden, schunkelnden Am Landwehrkanal oder dem ähnlich bedächtig schippernden Titelstück) nicht einmal vor dem Schlager (also: Schlager, wie Element of Crime ihn spielen) fürchten dürfte, ist in dieser Konsequenz wohl einfach nur der nächste radikale Schritt einer Band, die ihre Komfortzone erfolgreich verlagert hat.
Harmonien, Melodien und auch der Pop haben mittlerweile das Verlangen auf Provokation, Noise, Krach, Krawall und auch Herausforderung abgelöst, ohne in eine gefällige Idylle abzudriften oder den eigenwilligen Ansatz für Unverwechselbarkeit aufzugeben. Die Grundlage jedes Songs ist vom treibenden Opener Ten Grand Goldie weg, der über Mülltonnen-Percussion poltert und peitscht und über eine enorm nachhallende Hook zu Fanfaren findet, ein Rhythmus, mag er aufgeräumt in den oft reduziert möblierten Kompositionen stehen (deren Streicher-Versionen man sich für die Bonus-Sektion aufgehoben hat).

Trotz allem songdienlich inszenierte Nummern wie das gemächlich oszillierende Grazer Damm oder das beschwingter zurückhallende Wedding sind gewissermaßen geschmeidig schwofende Ohrwürmer mit viel Grandezza, die Bargeld mit seiner Zuckerstimme intoniert, und doch ist das abstrakte Klangexperiment nicht nur mehr zwischen den Zeilen zu finden.
Möbliertes Lied treibt ätherisch und kontemplativ, Zivilisatorisches Missgeschick löst Formen und Strukturen sogar noch weiter auf, während das ruhige Taschen mit minimalistischer Zurückhaltung in orchestraler Majestät badet.
Dass die Stille und Subversivität auf Alles in Allem eine mindestens ebenso gewichtige Rolle einnimmt, wie der komfortable Schönklang, wird dann nicht erst am Ende überdeutliche, wenn Tempelhof als verträumter Score-Ambient von meisterhaften Arrangements lebt, diese aber stets als Übung in Sachen Reduktion inszeniert – und ausgerechnet diese behutsam verglühende Unscheinbarkeit den Closer gibt (während das außerhalb der regulären Trackliste stattfindende, für das Totale Tanztheater komponierte Si Takka Lumi sich aus dieser Ausgangslage noch einmal üppiger aufgeschwungen hätte). Dass man dabei außerhalb von Berlin nicht immer auf emotionaler Ebene von Bargelds Poesie berührt werden muss, das eine oder andere überraschende Risiko die Intensität erhöht hätte, und die Ästhetik des Plattenartworks sowieso die Stirn runzeln lässt, fällt kaum ins Gewicht – zu einnehmend sind die Ergebnisse: Wer sich jemals mit der Band aussöhnen wollte, findet hier seine Auftrittsfläche.

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