Jungstötter – One Star

von am 1. November 2023 in Album

Jungstötter – One Star

Fabian Altstötter hat sich als Jungstötter mit Love Is 2019 und Massifs of Me (2021) vor allem den Ruf als absolut würdiger Fackelträger in der Dunkelheit hinter Scott Walker verdient. One Star strebt nun aber noch einmal merklich über diesen Status hinaus.

Bevor hier darüber dischkariert werden soll, warum One Star nicht in die Kategorie einer Übergangsplatte fällt, sondern ein in seiner Entwicklung eher absolut rundes Wachstumsalbum darstellt, oder wie faszinierend die tieftönende Stimme von Altstötter dabei immer noch ist, sei vorab erst einmal explizit hervorgehoben, wie fabelhaft das Ensemble an fabelhaften Musiker hinter Jungstötter zaubert, um (mit dem mittlerweile in Wien lebenden, Teile der Platte im Corona-Zeitalter auch noch im Alleingang zusammengebastelt habenden Ex-Sizarr-Frontmann) eine aus kleinteiligsten, akribisch konstruierten Details eine im großen Ganzen aufgehende Platte erschaffen hat, die bei jedem Durchgang Neues entdecken lässt und selbst dann fesselt, wenn das Songwriting hier und da die reine Zweckdienlichkeit verlässt: alleine musikalisch und soundtechnisch ist One Star grandios!

Für sein Zweitwerk wandert Jungstötter nun jedenfalls mit weiter hin zum ambienten Pop mit verstärkt elektronischer Ästhetik jenseits des rotweinschweren Avantgarde-Jazzkellers, sucht und findet Perspektiven, wo das Klavier nicht mehr das primär tragende Element neben Altstötters leidendem Crooner-Bariton ist, die Arrangements elaborierter und akribischer ausgestattet über das Ausschmücken der Atmosphäre hinausgehen, und den ganzen Klangraum elementar mittragen, um One Love in eine Zwischenwelt legen, die gleichzeitig breitenwirksamer zugänglich und sich dem Konsens doch klar entziehend ist, die Homogenität der Jungstötter’schen Ästhetik kontrastreicher inszeniert und die grazile Erhabenheit der Konstruktionen stet durch entrückte, vertrackte Schattierungen kontrastiert.
Zu erschließen ist das alles nicht sofort, aber da ist doch eine unmittelbare Vertrautheit – wegen des eklektischen, assoziativen Wesens der stets greifbar scheinenden Referenzen, aber natürlich auch aufgrund des Nachwirkens von Love Is.

Know übernimmt schließlich gefühlt relativ direkt beim Vorgängeralbum, kultiviert einen knarzigen Suspense in den vom sehnsüchtigen Vibrato geworfenen Schatten, bevor der Opener in Schüben erblüht, eine orchestrale Grandezza in der  apokalyptische Dramatik entwickelt, dabei jedoch unwirklich weich und flehentlich umgarnend bleibt: alles scheint schon hier trotz der anmutigen Haltung stets eine latent kaputte Schräglage zu haben, die parallel zu einer immanenten Schönheit läuft – auf sperrige Weise anziehend, kunstvoll eine wohldosiert prätentiöse Extravaganz zur Schau stellend, die sicherlich mehr noch als bisher polarisierende Geschmacksache ist.
Sensation klingt dann so, als wären die Arrangements von Lanas Salvatore zu einem Bond-Theme in der Arctic Monkeys-Lounge als Elegie entglitten, die sich ungefällig dem barrierefreien Konsum entzieht, und das herausragende Nothing Is Holy hat eine schnaufende unter Sedativa köchelnde Hektik, in der die bauchig-bräsigen Bläser wie bei These New Puritans um die Rückkoppelungen eines Spielzeug-Walkie-Talkies klackern, und der seine simple Melodie herabgleitend lassende Refrain plötzlich einen so unwahrscheinlichen wie umso nachhaltiger fesselnder Ohrwurm beschwört: eine gespenstische Magie!

Die Streicher und Percussion in Air klingen dagegen, als würde man in einen dunklen Raum leichten und dabei allerhand insektoides Getier aufscheuchen, während Altstötter träumend flaniert und seine eigene Version von Múm’schen Trip Hop konstruiert. Ribbons schlurft über seinen Beat sogar noch weiter in diese Richtung, landet auch durch den ätherisch-weiblichen Backing-Gesang sowie den fantasievollen Streicher näher – und vor allem gekonnter! – bei Björk, als man das Nicht-Isländern an sich zutrauen würde, um eine organische Künstlichkeit in den Kosmos zu schicken.
Das Doppel aus You (Everywhere) und Burdens bietet eine beklemmende Alternative Realität an, in der Depeche Mode mit David Sylvian erst von Haxan Cloak in kammermusikalischer Opulenz verführt werden und dann subkutan wummernde in den Händen von James Blake bombastisch in den Industrial abtauchen. Der Abgrund bleibt allgegenwärtig.

Und trotzdem ist One Star kein trostloses Abschotten, sondern ein Blick nach vorne. Gut, ein Thrashers Swath wäre als elegantes Klavier-Stück in anderen Händen ein schwarzes Loch der Melancholie, doch hier ist es tatsächlich eine Art hoffnungsvolles Durchatmen im Optimismus, bevor My Fear Is But a Looting Game als eine morgentauende Folk-Acoustic-Ballade vor dräuenden Americana-Texturen den Horizont als verliebter Balsam wahrhaftig und ohne Relation lichtet, womit der folgende Titelsong nicht nur wie eine versöhnliche Erinnerung daran funktioniert, wo der vor einem souligen Background stehende Nick Cave mit den aktuellen Einstürzenden Neubauten zusammenkommen könnte, sondern die beiden Albumtitel auch irgendwo als schlüssige Einheit auflöst, nach dem symptomatisch nur ein vorerst unerfüllt flehender Blick nach vorne bleiben kann: „Why don’t you let a star fall down onto me/ I’m standing here with my open arms ready to catch it/ Ready for an embrace/ Why don’t you give me that star?

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