Lorde – Solar Power

von am 27. August 2021 in Album

Lorde – Solar Power

Lorde hat mit Solar Power einen innerlich aufgewühlten, äußerlich jedoch entspannenden Wohlfühl-Eskapismus aufgenommen, der die Erwartungen an moderne Pop-Konventionen elegant untertaucht. Dass man sich primär an das Cover ihres dritten Studioalbums erinnern wird, ist jedoch symptomatisch.

Kaum auszumalen, wie unbedingt Solar Power einen wohl erst packen könnte, wenn man die Platte im richtigen Moment kennen lernt – etwa einem hippiesken Tag am Meer in der Sonne, in einer einsamen Bucht dösend, fernab der Realität oder zumindest dem Alltag. Vielleicht kann man die 45 Minuten sogar nur über diesen Zugang verstehen.
Auch jenseits dieser Perspektive ist das Comeback der Lorde jedoch ein wirklich unheimlich angenehmes Sommeralbum als ätherische Begleitung im Hintergrund geworden. Ästhetisch so verführerisch, sanft und elegant, unendlich luftig und sonnig, ruhig und unaufgeregt melancholisch. Im reduzierten (aber durch Phoebe Bridgers, Matt Chamberlain, Marlon Williams oder Clairo prominent besetzten) Klangspektrum aus Stimme, ein paar Gitarren und Drumspuren, wirkt die latent psychedelische Weichzeichner-Welt aus 70s-Folk und Dreampop wie ein Ambientwerk, dessen Hintergrund von Jack Antonoff fast schon karg und doch so warm ausgeleuchtet wird, als flüchtige, ausgewaschene Erinnerung an die Tugenden von Norman Fucking Rockwell und mehr noch Chemtrails over the Country Club. Das viele der besten Melodien von Solar Power sogar praktisch wie abgestreifte Gewänder von Lana Del Rey wirken, hinterlässt allerdings einen ambivalenten Beigeschmack.

Grundlegend ist Solar Power wegen seines konsequenten und auch schlüssigen stilistischen Paradigmenwechsel, seiner anziehenden Stimmung und dem soghaften Vibe alleine von der Intention und künstlerischen Ambition, auch als endgültiges Freischwimmen von Erwartungshaltungen einer auf den Nachfolger von Melodrama wartenden Welt, ein Erfolg für die Musikerin geworden.
Dennoch bringt diese Wirkungsweise auch ein explizite Schattenseiten mit sich – ausgerechnet in kompositioneller Hinsicht.. Gerade in der zweiten Hälfte der Platte bleibt außer dem bittersüß gehauchten Big Star und dem rundum tollen, geschmeidigen Beach-Ohrwurm Mood Ring (der die Aufmerksamkeit wieder geradezu sprunghaft fesselt) schließlich wenig abseits der Atmosphäre hängen.
Im fragmentarischen Clusterfuck The Man With the Axe, den fließenden Passagen von Secrets from a Girl (Who’s Seen it All) – das übrigens von Robyn gelandet wird – , Dominoes, Leader of a New Regime oder dem mäandernden Oceanic Feeling schwächelt das Songwriting einfach, lässt zwar einzelne bittersüße aufblitzende Hooks Eindruck schinden, kann jedoch als Ganzes nicht gegen die Gleichförmigkeit des in sich geschlossenen Sounds aufzeigen, und verliert sich in die austauschbare Easy Listening-Beliebigkeit, unverbindlich plätschernd. Anstatt eine assoziative und imaginative Tiefe zu schaffen, klingen die Bagatellen so wie kontemplative Innenansichten, die Lorde vor allem für sich selbst aufgenommen  und deswegen übersehen hat, dass externe Beobachter in einer latenten, wenngleich niemals unangenehmen, Gleichgültigkeit baden.

Hält das Material aber genug Substanz parat, was gerade in der ersten Hälfte der Platte unangestrengt der Fall ist, überzeugt Solar Power jedoch nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch. California zelebriert als Highlight einen wundervollen Minimalismus, dessen zeitloses Wesen so filigran zu sein scheint, dass man die kostbare Essenz der Nummer nicht wieder verlieren will, bevor das nette Stoned at the Nail Salon (wie soll man die hartnäckige Titelzeile wieder aus dem Kopf bekommen?) und ein mit seiner Vorliebe für Gitarren und Harmonien ausgestattetes Fallen Fruit markant und auch ein bisschen egal berieseln.
Dass The Path und (das bessere Update) Solar Power (der Song) mit ihren verträumten,  sehnsüchtig vom greifbaren in die schleierhafte Nostalgie entrückt gezupften Akkorden und später zurückgenommen in das Geschehen gleitenden poppigen Drum-Beats strukturell nach den selben Mustern gestrickt sind, ist zwar dezent eindimensional, zeigt in der Eingängigkeit aber dennoch ein entwaffnendes Charisma – und im Falle des Titelstückes eben auch eine gehörige Portion Chuzpe, den Katalog von George Michael betreffend.
Ergreifende, berührende Emotionen bleiben dabei auf dem proklamierten „weed album“ ebenso außen vor wie Synthies, dafür gibt es allerdings viel Eklektizismus, kultivierte Natur, Klimasorgen und Solipsismus, ein Echo auf Lordes Trip zur Antarktis samt viel Freizeit und Müßiggang in Neuseeland: den forcierten Abschied vom eigenen Star-Dasein auf einem Werk, das weiß was es warum will, seine Ziele allerdings nur selten restlos befriedigend erreicht.

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