Metallica – 72 Seasons

von am 22. April 2023 in Album

Metallica – 72 Seasons

Der Autopilot im Heavy Metal-Hardrock-Thrash funktioniert: Metallica haben hinter dem potthässlichen Artwork von 72 Seasons ein potentiell (sehr) gutes 40-Minuten-Album zu einer solide auslaugenden 77 Minuten-Sitzung aufgeblasen.

Halten wir uns jedoch gar nicht zu lange mit all den offensichtlichen Mankos der Platte auf – wie eben unter anderem dem selbst für Metallica-Verhältnisse schockierenden Augenkrebs-Cover; der wirklich ärgerlichen Unfähigkeit der Band, ihr Material songdienlich zu editieren, anstatt es zu wichtig zu nehmen und in einer mäandernden Überlänge zu überhöhen – zumal der nervige Hang, Passagen in den Strukturen einfach repetitiv zu loopen, diesmal so penetrant auffällt, wie sonst nur auf St. Anger; oder die Entscheidung, das grotesk eindimensionale Schlagzeugspiel von Ulrich mit all seinen limitierten Klischees trotz allem auch noch wieder einmal derart weit in den Vordergrund zu mischen, dass es den Kompositionen eine zusätzliche Schippe an Langeweile injiziert, derweil all die drumherum agierenden Riffs ohnedies eher versierte Stangenware darstellen, die immer gleichen Wah-Wah-Soli von Hammett höchstens leidlich inspiriert absolut enttäuschend wirken, und die dafür tatsächlich sehr erfreulich fitten Vocals von Hetfield eine gefühlt schon hundertmal gehörte Litanei aus dem selben Formelheft liefern.

Lassen wir diese frontal ins Auge springenden Schönheitsfehleralso hinter der Fanbrille ein wenig außen vor – auch auf die Gefahr hin, 72 Seasons ebenso wie das viel zu wohlwollend bewertete, letztlich kaum Nachhaltiges hängen lassende Hardwired…to Self-Destruct zu positiv zu betrachten.
Der Einstieg gelingt mit dem flotten Titelsong schließlich auch über den Erwartungen, erinnert an die Basis von Death Magnetic (auch wenn weder dessen grundlegender Level, geschwiegen denn solche Highlights a la All Nightmare Long im Verlauf von 72 Seasons keineswegs erreicht werden), und hält das Niveau trotz einer latent abfallenden Qualitätskurve auch vorerst stabil, wenn über Shadows Fall, das knackiger riffende Aushängeschild Screaming Suicide, ein melodischer gedrosseltes Sleepwalk My Life Away (mit seinem trügenden Bass-Groove-Beginn) und You Must Burn! (mit seiner fast doomigen Tendenz) die hardrockigen (Re)Load-Elemente im Verlauf des Baukastens stärker gewichtet werden: das Songmaterial bis hierhin ist trotz leidlich negativer Amplitude nach dem Beginn eigentlich konstant überzeugend, allerdings hat sich am Stück konsumiert dann eben doch auch schon eine gewisse Übersättigung ob der hier und da zur enormen Gleichförmigkeit neigenden Sounds eingeschlichen.

Lux Æterna injiziert dem Spannungsbogen an der Talsohle als wohl bestmögliche Imitation der 80er-Metallica insofern ideal platziert das nötige Momentum und nutzt die Stereotypen als kurzweiligen Impuls, um 72 Seasons hinten raus (und über das als Finte martialisch pochende Crown of Barbed Wire als einziges wirklich verzichtbares Eingeständnis in Sachen Trägheit) noch einmal anzutauchen: Chasing Light ist ein vitaler Standard im besten Sinne und If Darkness Had a Son Post-00er-Stimmungsmache mit Oldschool-Pastische, wie man sich einen von der kompetenten AI generierten, trendkonsistent-aktuellen Metallica-Song vorstellt.
Trotzdem: warum die Band nicht immer derart auf den Punkt findet wie im knackig und zügig angelegten, straight und flott pointierten Too Far Gone? oder dem ebenso dringlichen Room of Mirrors, bleibt ein Rätsel, das sich durch die Ambition des elfminütigen, so weit in die atmosphärische Ruhe stierenden und unbedingt episch sein wollenden, aber niemals ikonisch werden könnenden Closers Inamorata nicht lösen lässt – aber durchaus symptomatisch für die Ambivalenz dieses auslaugende, wenig individuellen Charakter in der Diskografie erzeugenden Schaulaufens steht. Die Ansprüche, die man mittlerweile an Metallica stellt, haben sich freilich schon lange geändert – wie zufrieden man mit einem die Euphorie ignorierenden Komfortzonen-Autopilot ohne Originalität letztendlich sein kann, ist dann aber doch auch diesmal wieder durchaus überraschend.

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