Mord’A’Stigmata – Like Ants and Snakes

von am 12. November 2022 in Album

Mord’A’Stigmata – Like Ants and Snakes

Like Ants and Snakes vollzieht eine Metamorphose, die so nach Dreams of Quiet Places keineswegs vollständig aus dem Nichts kommend geschieht, die in ihrer zäsurhaften Konsequenz dann aber doch komplett überrascht.

Schließlich erfindet sich die polnische Band für ihr sechstes Studioalbum stilistisch zwar nicht vollständig neu, sondern denkt eher Motive weiter, die bereits spätestens auf dem drei Jahre alten Vorgänger installiert wurden, doch bedeutet die sukzessive Unbedingtheit, mit der Mord’A’Stigmata dies tun, dann schon (wenn nicht den Bruch mit dem bisherigen Schaffen) dezidiert den Beginn eines neuen Kapitels in der eigenen Historie.
Like Ants and Snake is a record of the changes that we have gone through as people and as a band during two years of an absence from touring and partial isolation. This period helped us to find the ways of expression that have been present in us for a long time, but only this slowdown in our pace of life allowed us to find these ways. It is a road of burnt bridges, burning your own barriers, endless internal struggle.” erklärt das Kollektiv und gibt sich der prolongierten Evolution mit Haut und Haar hin.

Der essentielle, aber ohnedies niemals mit rasendem Hass zelebrierte Avantgarde Black Metal ist als Teil der kollektiven DNS über 40 Minuten endgültig nur noch vage erahnbar, viel eher als an Deathspell Omega denken lassend suhlt die Band sich in Assoziationen, die von Impure Wilhelmina über Type 0 Negative und The Cure bis hin zu The Mission und Sisters of Mercy oder Fields of Nephilim, reichen, derweil der nunmehr nie mehr brüllende, sondern mit leicht gallig-hüftsteifen Pathos wie Iceage-Frontmann Elias Bender Rønnenfelt in die Nacht ruf-singende Łukasz Dziamarski, nein nicht mehr Ion, lebemännisch croont.
Blood of the Angels lässt sich im fast jazzig rollenden Schlagzeugspiel über zurückgenommenen, finster nachhallenden Gitarrenklängen treiben. Die sinister rezitierenden Vocals tauchen in ein latentes Goth-Flair, das grimmig als entschleunigter Dark Wave wandert, skandieren gepresst im knödelnden Klargesang, wobei der Opener hinten raus eher wie elegischer, sphärischer Postmetal a la Neurosis zu The Eye of Every Storm-Zeiten.
Die Band labt sich an der (sparsam und zurückhaltend inszeniert wirkenden,) düsteren Atmosphäre im getragenen Tempo und mitternächtlichen Ambiente, die Balance mit aggressiven Attacken ist entlang einer geradezu mystischen Faszination förmlich aus der Gleichung genommen worden, es gibt keine heftigen Ausbrüche mehr. Was man so durchaus schade finden kann, denn nach dem grundlegenden Twist der Ausrichtung erweist sich Like Ants and Snakes leider nicht so spannend, vielschichtig oder facettenreich wie das unberechenbare Dreams of Quiet Places.

We Dance lässt sich in einen tranceartigen, sedativen Groove gleiten, folgt einer halluzinogenen Sehnsucht, die plötzlich eine stoische Strenge aufsetzt, dabei den traumhaft entrückten Sound behält. Dziamarski steigt predigend zur Kanzel auf, sein Vortragsstil bleibt distanziert kühl, greift mit keiner unmittelbar packenden Intensität ein, und auch der Song an sich löst trotz einer in den Nachthimmel zelebrierten Hook nicht die Handbremse, sondern läuft in seiner Gangart konstant weiter. Nicht nur hier wäre manchmal eine Eskalation der Dinge wünschenswert gewesen, anstatt dem – schon auch ein bisschen wie ein mutiges Korsett wirkenden – Konzept der stilistischen Ausdrucksform derart dogmatisch zu folgen. Der Sturz in ursprünglichere, archaische Wellen bleibt angesichts der zugeknöpften Dramatik und Dynamik aus. Als gewisses Etwas fehlt also entweder das harsche Momentum, die finale Katharsis und Epiphanie, oder einfach die eine oder andere geniale Idee – oder als würde die gediegenere Band nun in feinen Anzügen spielen, die man ihr zumindest phasenweise vom Leib reißen wollen würde, um den immer noch erahnbaren Berserker frei zu lassen.
Trotzdem bleiben letztendlich viele starke Szenen hängen, fesselt vor allem die ganzheitliche Anziehungskraft des Albums.

Das Titelstück flaniert wie somnambul hypnotisierende Madrugada über einen weit einladenden Instrumentalteil, der sich auf den sanften Sog seiner Atmosphäre verlassen kann, Dziamarski erzählt irgendwann ruhig darin gebettet, und schwingt sich dann mit der Band erhebend auf, um den Album- und Songnamen mit exemplarisch simplen Melodiebögen hartnäckig in die Gehörgänge zu fräsen, der Stimmung und Ästhetik als primären Reiz auch die kompakte Hook beizubringen.
I Am The Arm wirkt danach, als würden Bambara für einen postapokalyptischen Western im Roadhouse von Twin Peaks trostlos schwelgend ein jüngeres Scott Walker-Experiment verdaulich gestalten, weswegen die Konturen hinten raus ein Tremolo-Flimmern und polternde Drums bekommen, der Klimax wiewohl aber als Coitus Interruptus zahm bleibt. Constant Sway pflegt das wunderbare Zusammenspiel aus klarer Gitarre und (ein im nirgendwo verschwindendes) Klavier, das über den allgegenwärtigen Abgrund des Raumklangs betörend, bis am Ende ein Bariton-Saxofon in die Welt eintaucht und der Rahmen sich als schaurige Schönheit schließt, sich verführend auflöst und nach Gaststimme Patrycja Kaczan als dezentes Element auch Roman Głowacki vorstellt. Genau dort setzt Voluntarily Gone als potentielle Sivert Høyem-Romantik an, baut auf jazzigen Facetten schärfere Konturen auf, kippt in den doomigen Darkjazz-Kraut mit synthetischen Texturen, doch der Exzess wird in allen Segmente der episodenhaft aneinandergefügten Nummer umgangen.
Trotzdem fühlt sich Like Ants and Snakes zu keiner Sekunde wie ein Irrweg, geschweige denn eine Sackgasse an, sondern eher wie ein Übergangswerk in einer noch nicht formvollendet angeschlossenen Metamorphose an, dass sich mit ein bisschen Abstand ähnlich wie Infinite Granite als beständiger Grower beweisen könnte. Soll heißen: nicht nur die unmittelbar nahe Zukunft im Vorprogramm von Ulcerate und Mgła dürfte für Mord’A’Stigmata interessant werden.

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