Nick Cave and The Bad Seeds – B-Sides & Rarities (Part II)

von am 26. Oktober 2021 in Compilation

Nick Cave and The Bad Seeds – B-Sides & Rarities (Part II)

B-Sides & Rarities (Part II) versammelt Raritäten und Unveröffentlichtes von Nick Cave and the Bad Seeds aus den Jahren 2006 bis 2020, erreicht dabei aber quantitativ und qualitativ nicht ganz das beeindruckende Gewichtder Vorgänger-Compilation.

Eben jene Zusammenstellung ist nun im Verbund mit Part II übrigens erstmals auch auf Vinyl erschienen – und nimmt einen Gutteil des (auch preislich) erschlagenden Gesamtpaketes von insgesamt 7LPs ein: Wo die erste B-Sides & Rarities-Compilation noch mit 56 Songs entlang 2019 Minuten Spielzeit auffuhr, tun es nun vergleichsweise schlanke 27 Tracks über 92 Minuten und zwei Vinylplatten.
Die Ausgangslage ist aber freilich auch eine andere: Wo Part 1 eine Zeitspanne von 20 Jahren und 13 Studioalben abdeckte, erschienen in den knapp eineinhalb Dekaden der zweiten Compilation gerade einmal vier – wovon auch nur das 2008er Werk Dig, Lazarus, Dig!!! klassische B-Seiten anzubieten hatte. Neben einem Tribute-Beitrag, dem Material zweier Non-Album-Singles sowie einem Soundtrack-Song und einer Liveaufnahme besteht B-Sides & Rarities (Part II) insofern vornehmlich aus inklusive unveröffentlichten Nummern, inklusive vier Quasi-Demo-Aufnahmen, die vor allem für Anhänger rund um die Trilogie Push the Sky Away (2013), Skeleton Tree (2016) und Ghosteen (2019) interessant sein wird.

Der Einstieg gehört aber eben noch der kurzen, von Grinderman verseuchten Phase davor (die übrigens auf diesen Nebenschauplätzen hier mehr kann, als das Gros von Dig, Lazarus, Dig!!! selbst). Hey Little Firing Squad ist ein kurzweilig rumpelnd-stampfender Indierock-Ohrwurm, der in seinem reduzierten schrammelnden Sound, den schrägen Backingvocals und einer simpel aus dem Takt dängelnde Gitarrenmelodie im Refrain frappant an The Walkman erinnert. Accidents Will Happen  hätte dort unaufgeregt und entschleunigt nach vorne gehend mit souligem Chorus, Handclaps, Gemeinschaftsgefühl und knarzendem Solo direkt übernommen – stattdessen setzt der Einstieg der Platte unvorteilhafterweise aber noch auf eine chronologische Ordnung. Rein vom Spielfluß der Compilation wäre es idealer gewesen, sich hier nicht sklavisch an den Releasetermin der entsprechenden Ursprungs-Singles zu halten, wo B-Sides & Rarities (Part II) sich auch im späteren Verlauf ein wenig wie die insuläre Sammlung einzelner zusammenhängender Songketten anfühlen wird, anstatt von Cave und Ellis bei aller Homogenität zu einem restlos runden Ganzen kuratiert worden zu sein.
Anstatt idealerweise die Positionen mit Accidents Will Happen zu tauschen nimmt also jedenfalls erst einmal gleich Fleeting Love als klassisch schwofende Ballade an Gitarre und Klavier gemütlich alle aufgebaute Spannung heraus und streichelt die Seele, bevor sich die (warum auch immer hier aufgefahrene) Jeffrey Lee Pierce-Verneigung Free to Walk als still gezupftes Folk-Duett mit Debbie Harry der ruhigen Ader frönt, den traurigen Cohen-Reiz Avalanche mit sparsamer Violinen-Begleitung an den Tasten sitzend den Raum einnimmt und Vortex als bescheiden bleibender, in sich gehender Rocker mit weit geöffneten, erhebendem Refrain das Momentum anhebt.

Danach wird der Verlauf wieder fragmentarischer, beginnt sich von konventionellen Strukturen und traaditionellem Songwriting zu entfernen. Das avantgardistische Distortion-Loop-Noise-Meditations-Doppel aus Needle Boy (das beunruhigend pulsierend zum postapokalyptischen Walzer im Ballsaal zu drehen beginnt) sowie Lightning Bolts (eine brodelnd-pulsierende Alptraum-Katharsis) hat als Bonus-Beigabe zu Push the Sky Away bereits den stilistischen Weg der Nachfolgeplatte vorweggenommen, doch die zwei darauf folgenden Stücke kehren ästhetisch irritierenderweise erst einmal wieder zum 2013er Werk zurück: Animal X rezitiert zu fiebrigen Groove und deliriant verformten Psychedelik-Streicher-Arrangements eine sedative Hektik von entrückter Epik, das introspektive Give Us a Kiss schließt imaginativ gar nautisch den Bogen zu We Know Who U R, worauf das Sky-Titelstück mit dem Melbourne Symphony Orchestra behutsam intoniert majestätisch anwächst, Cave und der Chor keine nahtlose Einheit, aber einen schönen, nicht zu dick auftragenden Schlusspunkt der ersten Platte bilden.

Neben den etwas wahllos in das Gefüge geschmissenen, aber zauberhaften und doch merklich von den späteren Versionen abweichenden First-Varianten der Albumsongs – (ein weniger schwer am Klavier geborenes Skeleton Tree), das demoartige Bright Horses, Girl in Amber (atemberaubend andersweltartig) und dem noch zerfahrenen, ominös torkelnden Waiting for You – beleuchtet die zweite Seite von Part II danach, was in den Sessions zu den beiden jüngsten Studiowerken noch an Material entstand, aber bisher in der Mottenkiste darben musste – allesamt hochqualitative, wenngleich niemals geniale Substanz übrigens, um es gleich vorwegzunehmen.
Die Klavier-Grandezza King Sized Nick Cave Blues wird subtil von esoterischen Synth-Texturen begleitet, das perkussiv mit tief hängendem Bass brodelnde Opium Eyes lichtet seine Waits’eske Goth-Geisterbahn immer wieder kurz für eine aus dem Piano tröpfelnde Eleganz. Dagegen ist das auf einem Klangteppich in Gesellschaft angerissene Big Dream (With Sky)  als schamanistische Litanei eine zu simple Idee, die prätentiös auf Songlänge aufgebläht wurde.
Auch das ambiente Instrumental #33 wirkt für sich genommen kaum essenziell und als fragmentarisch bimmelnde Score-Skizze im Kontext, geht aber zumindest eine bimmelnde Symbiose mit Hell Villanelle ein, das abgedämpft sinister die intrinsische Spannung einen Strom-Blues aufgehen lässt, alleine der Bassound so abgründig untrennbar mit dem ikonischen Skeleton Tree verbunden ist. Die nächste Stafette besteht aus Euthanasia (ein tröstendes Stück Piano-Schwermut a la Jon Brion, bekannt seit vergangenem Jahr), dem dort direkt mit noch unkaschierterem Text übernehmenden Life Per Se (das sich später im Loungelicht einer Lavalampe sowie eines sachtes Ellis färbt, langsam verglüht) und dem Badalamenti-Spoken Word Steve McQueen, bekannt aus One More Time With Feeling.
Das ätherische Glacier bildet ein angenehmes Interlude, auf dem Heart That Kills You mit bedächtiger Erzählstimme und vorsichtigem Chor aufbaut, bevor Sudden Song intim schimmernd über kurze Distanz wärmt und Earthlings einen absolut bezaubernden, eigentlich unverzichtbaren Epilog auf Ghosteen geboten hätte. Dass dieses Finale gefühlt auch noch ein wenig von der Gegenwart des den Bad Seeds mit Carnage, Grief und Shyness mittlerweile auch nominell enteilenden Duos Cave & Ellis passiert, schließt (das absolut befriedigende, aber niemals überwältigende) B-Sides & Rarities (Part II) zudem auf sehr versöhnliche Weise.

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