Die Alben des Jahres 2016: 10 bis 01
Honorable Mentions | MV(E)P | 50 – 41 | 40 – 31 | 30 – 21 | 20 – 11 | 10 – 01 |
10.
Oranssi Pazuzu
–
Varahtelija
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Oranssi Pazuzu dehnen ihr Stilamalgam auf Varahtelija über jede Konvention hinaus und brauen damit ihr ureigenes, so unendlich eigenwilliges Süppchen, das einem schwindelerregenden Trip gleich kommt, lösen hier alle Versprechen ein, die die Vorgänger Muukalainen puhuu, Kosmonument und Valonielu in Aussicht stellten. Man muss trotz der darauf gelegten Vorzeichen noch lange nicht verstehen, wie dieses Genre-Konglomerat 2016 all seine Teilbereiche zu einem derart selbstverständlichen Gesamtgewächs verbindet, um sich in diesen wilden, unwirklichen, verstörenden, wunderschönen Trance-Husarenritt zu verlieren. Oranssi Pazuz haben sich hiermit in ihren eigenen Kosmos geschossen – und jede Wette: Auf absehbare Zeit werden sich auf kein anderes Album mehr Bands berufen, die sich auch nur ansatzweise dem Black Metal zugehörig fühlen.
09.
Shura
–
Nothing’s Real
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Im Titeltrack von Nothing’s Real diagnostizieren Ärzte Alexandra Denton alias Shura, dass ihre – sehr reale – Panikattacke keine medizinischen Gründe hatte, und hängen sie an ein EKG, auf dem die 25-jährige ihren „heartbeat inside a television screen“ sieht. Eine Distanz zwischen Fakt und Gefühl, wie sie auf dem so fulminant wie erhofft ausgefallenen Debut der Engländerin noch öfters aufscheinen soll, wobei das bessere Wort für Fakt wohl Angst wäre. Für das Gefühl sorgt eine Wagenladung schillerndes 80s-Flair, über zwei Jahre seit Shuras erstem 0-auf-100-Lebenszeichen Touch herausgebacken.
Dabei destilliert Shura ihren unwiderstehlichen Songwriting-Cocktail aus den eingängigsten Momenten von Kylie Minogue bis Ladyhawke, und kreiert nonchalant einen Reigen an (un)Hit-Singles, dem eine Madonna seit zwanzig Jahren schon hoffnungslos hinterherläuft. Der Sound der ihr dabei von London-Grammar-Produzenten Joel Pott aufgedrückt wird, ist dabei bemerkenswert unaufdringlich, befreit Shuras doch recht intime (und gerne durch atmosphärische Soundeskapaden aufgelockerte) Musik von jeglicher Pop-Oberflächlichkeit, und malt jede Seite dieses facettenreichen Bilderbuches stilsicher, aber nicht nach Zahlen, aus. Mit Nothing’s Real hat Shura eine tiefe Kerbe in den übersättigten Synthpop-Zirkus geschlagen, und ist damit mehr als nur gut angekommen.
08.
Weezer
–
Weezer (White Album)
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Nein, man sollte es nicht wie anderswo behauptet als Symptom eines schwachen Musik-Jahrgangs ansehen, dass Weezer plötzlich (oder eigentlich gar nicht so plötzlich!) wieder einen Platz in etwaigen Jahresbestenlisten nehmen. Man muss es vielmehr als die Bestätigung dessen sehen, dass endgültig wieder mit Rivers Cuomo und Co. zu rechnen ist. Dass endlich wieder niemand sonst derart schmissig am Wellenbruch von Powerpop zu Alternative Rock seine kurzweilig-schrulligen Songs aus dem Ärmel schüttelt, der ohne Unterlass gleichzeitig an die Heydays rund um das blaue Album, Pinkerton oder die grüne Selbstbetitelte erinnert und dazu einige der stärksten Songs der Discografie hervorkramt, bevor im überragenden Schlusspunkt Endless Bummer die Brian Wilson’eske Konzept-Atmosphäre kulminiert. Dass dank der geschliffenen Klasse von Produzent Jake Sinclair hinter dem Fandienst erstmals auch die fetten Mainstream-Ambitionen mittels potentieller Formatradiogeschenke zu Ende gedacht werden, schließt da sogar irgendwo den Entwicklungskreis über dem Abgrund des schlechten Geschmacks.
Kurzum: das viertbeste Weezer-Album überholt im internen Ranking alles inklusive der Grünen und kettet in zügigen 34 Minuten Ohrwürmer noch und nöcher aneinander – ja, selbst die mitunter arg skurrilen Bonustracks der Deluxe Edition fallen da nur verschmerzbar ab Dass Weezer sich einen Platz in den Jahrescharts erarbeitet haben, hat also rein mit der Qualität ihrer Arbeit – dieser Bestätigung des zuletzte eingeleiteten Comebacks – zu tun. Dass sie es mit dem weißen Album an dieser Stelle sogar in die Top Ten geschafft haben, ist also nur verdient. Die hier versammelten zehn Hits ergeben in der Runden, bittersüßen Summe das ultimative Sommeralbum 2016 – das auch mit etwas Abstand ohne nennenswerte Abnutzungserscheinungen in seinen nostalgischen Sonne, Strand und Surfer-Bann zieht. Noch unterhaltsamer ist da nur die zusätzlichen Aktivitäten Cuomos im Netz zu verfolgen.
07.
Vektor
–
Terminal Redux
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In der Flut an hochtechnischen Thrash-Bands der frühen 2010er sind Vektor schon immer unter den herausragenden gewesen: beeinflusst von Watchtower und Voivod (mit Blick auf ihr Logo wohl mehr, als sie zugeben wollen), wären Sci-Fi-Themen und progressive Kompositionen schon Alleinstellungsmerkmal genug, Vektor knallen dem genigten Hörer allerdings immer schon mehr um die Ohren, als auf Anhieb zu verdauen ist. Terminal Redux nun – obendrein auch noch ihr erstes Konzeptalbum – stellt so etwas wie ein How to Vektor dar.
Von Anfang an ist es offensichtlich, wie viel Arbeit und Talent in diesem einschüchternden Brocken steckt, wie gebannt hängt man von den ersten Minuten an dem, was im Genre jetzt schon als Meilenstein gilt – und wie oft ist man da schon dabei? Jeder einzelne Musiker auf Terminal Redux ist an der Spitze seines Könnens, vor allem die Gitarristen David DiSanto und Erik Nelson sowie Drummer Blake Anderson spielen – ganz Themengetreu – wie von einem anderen Planeten. Und so überambitioniert und abgehoben Terminal Redux ab Charging the Void klingen mag, Vektor ziehen ihr übermächtiges Ding mit der Ernsthaftigkeit eines Sci-Fi-Blockbusters durch, und präsentieren formvollendet eine Art von Metal, die vielleicht generell mehr Ernsthaftigkeit – garantiert aber mehr Ausnahmeerscheinungen wie Vektor – gebrauchen könnte.
06.
Joe Volk
–
Happenings & Killings
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Beinahe drohte das Zweitwerk von Joe Volk zu einer Art Chinese Democracy des Folk zu werden. Immer und immer wieder wurde der Nachfolger zum vergessenen Meisterwerk [amazon_link id=“B000E8R9RU“ target=“_blank“ ]Derwent Waters Saint[/amazon_link] verschoben; ein endloser Prozess, der sich angeblich permanent auf der Zielgeraden befand, abseits einer grandiosen Splitveröffentlichung mit Boris aber keine Ergebnisse zeigte. Und dann umgeht das tatsächlich fertige Happenings & Killings den Eindruck der ewigen Sisyphusarbeit doch so geschickt wie zangsläufig. Weil die knapp 9 Jahre Wartezeit plötzlich zu jeder Sekunde dieses so akribisch und detailiert produzierten Nachfolgers fühlbar wurden, indem der Mann aus Bristol die angestammten Singer/Songwriter/Folk-Muster des Debüts hier nur noch als Grundgerüst bediente und sich und seinen Sound mit Hilfe alter Kumpels wie der Invada-Riege um Barrow, Salisbury, Utley und Barr so grandios auf das nächste Level hob.
Volk umstreift mit seiner schmeichelweichen Zauberstimme umliegende Genres ebenso mühelos, wie er sein feines Gespür für zarte Melodien auch bisweilen in die sphärische Umlaufbahn katapultiert, Mathrock-Versatzstücke andeutet oder pure Schönheit mit kantigen Ideen immer mehr Charakter abringt. Er holt ab, lässt aber offen, wohin die Reise geht. Happenings & Killings ist unter einer kaum zu verortnenden Fülle an Eindrücken ein wunderbares Kaleidoskop der Gefühle und Einflüsse geworden, inszenatorisch sowieso State of the Art und ein klangtechnischer Leckerbissen voller mysteriöser Nuancen und spannender Facetten. Diese Geduldsprobe entlohnt jede Sekunde Wartezeit, gerade weil so so selbstverständlich nicht der einfachst mögliche Nachfolger zu Derwent Waters geworden ist – wie aber bereits sein Vorgänger eine dieser Platten darstellt, die einen still und heimlich ein Leben lang begleiten werden.
05.
Nick Cave & The Bad Seeds
–
Skeleton Tree
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Wo Nick Caves Songs immer schon ein Grenzgang zwischen emotionaler Dunkelheit und fahlen Hoffnungsschimmern waren (und selbst in diese wurde immer mit einer gehörigen Portion morbiden Zynismus gestolpert), und die vermeintliche Einleitung des Spätwerkes der Bad Seeds Push The Sky Away bereits Anstalten machte, das Pendel zwischen diesen Extremen endlich auszuloten, war seit dem 14. Juli 2015 wieder alles anders: während den Arbeiten zum Nachfolger des Meisterwerkes von 2013, stürzte Caves Sohn Arthur bei Brighton von Klippen in den Tod.
Zurück in die tiefsten, kargsten Schattenseiten menschlichen Seins, in die Schwerelosigkeit der Trauer. Der zuvor schon halb erklommenen Gipfel der Leichtfüßigkeit scheint auf Skeleton Tree jedoch immer noch durch, vor allem die Instrumentierung unter Kapellmeister Warren Ellis hat sphärische, ungreifbare Qualitäten, einer der größten Songs des Jahres, Jesus Alone, gibt da mit breiten Pinselstrichen schon den Ton an, wenn es auf Skeleton Tree auch kaum mehr destruktiver wird. Die Bad Seeds stärken einem gebrochenen Cave den Rücken, dessen Stimme gegen Ende von Skeleton Tree erstmals schwer vom Alter ist, dessen sonst so ungreifbare bis surreale Poetik eine unangenehm direkte und nachvollziehbare Ebene erhält. So geriet Skeleton Tree zum schmerzvollsten und zwangsläufig auch menschlichsten Album Caves, vibrierend von einer Art von Liebe, die wohl wenige Künstler so gefasst in ihrer Musik konzentrieren können.
04.
Nails
–
You Will Never Be One of Us
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Nur zu behaupten, dass Nails die wohl momentan angepissteste, kompromissloseste und asozialste Metalband der Welt sind, würde You Will Never Be One Of Us nicht gerecht werden. Zwar werden alle Erwartungen des geneigten Misanthropen anstandslos erfüllt – natürlich werden wie gehabt die dunkelsten Ecken des Hardcore mit einem Besen aus Ablehnung gegen alles, dass sich nicht im Banduniversum befindet, ausgefegt – und Hassbomben über 2 Minuten Spieldauer bleiben nach wie vor die Seltenheit, bei all ihren bisher veröffentlichten, konzentrierten Kotzbrocken (52 Minuten netto macht die Albumdiskographie bisher aus), die Nails bisher veröffentlicht haben, ist You Will Never Be One Of Us trotzdem mit Abstand das unnahbarste und den Hörer kasteiendste Stück Ablehnung.
Bereits mit dem Titel und der eröffnenden Startrampe wird deutlich, dass die Todd Jones und Mannen umgebende Dunkelheit etwas komplizierter Nachvollziehbar geworden ist, als auf Unsilent Death und Abandon All Life noch, und selbst wenn sich Produzent Kurt Ballou alle Mühe gibt, Jones Gebrüll richtig in Szene zu setzen, wird bei fortlaufenden Hören in erster Linie eines klar: Fuck your trends, fuck your friends […]Nobody wants what you’ve fucking got. Überzuckert mit einer cartoonartigen Ästhetik von Pantera auf gestrecktem Speed, wird vor allem in der musikalischen Versiertheit klarer als je zuvor, wie ernst es Nails meinen – nicht nur im abschließenden, 8-Minütigen They Come Crawling Back, vielmehr in der vorangehenden, andauernd atemlosen Barrage aus Riffstürmen mit verdrehtem Kreuzzeichen gen Slayer, ungebändigten Doublebass-Irrsinn und malmendem Bass wie aus den besten Nasum-Zeiten. Tut leid, Nails, ihr macht Laune.
03.
Radiohead
–
A Moon Shaped Pool
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Und wenn A Moon Shaped Pool nichts anderes gekonnt hätte – nach der VÖ-Stunt-Perfektion der plötzlich erscheinenden In Rainbows und The King of Limbs haben Radiohead dem 8.Mai 2016 einen regelrecht anachronistischen Zauber verliehen. In der Ära der vorzeitigen Leaks und Guerilla-Releases fieberte man da plötzlich wieder (alleine oder besser noch mit Freunden) einem exakten Zeitpunkt und Album entgegen, dass es mit zwei furiosen Vorabsingles (sowie begleitenden Twists wie gelöschten Social Media-Plattformen) immense Erwartungshaltungen aufzubauen verstand. Man rätselte etwa, ob Pannen bei GooglePlay tatsächlich bereits Cover und Trackliste gespoilert hätten, fühlte sich fast schon in eine Zeit versetzt, da man sehnsüchtig vor dem noch geschlossenen Plattenladen (wie paradox, in diesem Fall!) auf die angekündigte Veröffentlichung wartete. Was heute selten geworden ist, was der Fall: Nervosität lag in der Luft. Kurzum: Radiohead haben ihrem neunten Studioalbum so etwas wie einen charmanten Ereignischarakter eingeimpft, für dessen digital aufgemotzte, nostalgische Tiefenwirkung alleine man der Band kaum dankbar genug sein konnte.
Als kurz nach 19.00 Uhr Abend das Datenpacket entpackt ist und sich A Moon Shaped Pool (von Burn the Witch weg, diesem als übermannende Streicher- Hystery verkleideten Rocksong, bis hin zur unendlich traurigen Pianoelegie True Love Waits) als Triumphzug der Engländer zu entpuppen beginnt, ist die Euphorie freilich perfekt – die Vorfreude mündet in purer Glückseligkeit. Weil sich das Quintett in bittersüßer Melancholie suhlt wie in den Heydays, bedrückender (und wie man mittlerweile weiß: leider endgültiger) Trennungsschmerz und Niedergeschlagenheit in purer, packender, unverkopfter Schönheit mündet. Niemand sonst leidet wie diese Band, und niemals bisher klang sie dabei unaufgeregter und stiller. Radiohead räumen mit den Dämonen der Vergangenheit auf, arbeiten Songmaterial auf das bis 1995 zurückgreift und bündeln elf wundervolle Songs zu einem vielseitig agierenden Album, wie man sich das nach The King of Limbs und Yorkes Soloausflügen kaum klassischer und erhabener erträumen hätte können. Vielleicht stimmt es also: Radiohead sind mit A Moon Shaped Pool wieder die größte Konsens der Musikwelt geworden.
02.
40 Watt Sun
–
Wider than the Sky
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Patrick Walker vs Doom Metal – nicht nur musikalisch könnte man den Werdegang von Warning über 40 Watt Suns fulminanten Vorgänger zu Wider than the Sky, The Inside Room, als bewusstes Aushebeln der Konventionen zur geliebten, aber doch gelegentlich schal zu werden scheinenden, Kuttenmusik bezeichnen. Nicht nur, dass Walker den Dreh- und Angelpunkt in seiner Musik immer schon in den Texten sah, auch die Enttäuschung über sein vorheriges Label (Even just their insistence on marketing us as ‘doom metal,’ despite my pleading with them not to, that straight away pressed my work right back into the same corner that I’d just quit my previous band to get out of.) führte letztendlich wohl zu dem Opus Magnum, dass nach langem Warten mit Wider Than Sky 2016 endlich Vollendung gefunden hat: Walker erzwingt förmlich einen Paradigmenwechsel, indem er dröhnende Riffwände gänzlich durch die warmen Klänge unverzerrter Gitarren ersetzt, seine viertelstündigen Epen direkter und nahbarer als je zuvor fast besinnlich an die Ohren des verdutzen Hörers trägt, und die dem Doom oft angelastete, mäandernde Repetition dabei wie eine übergestülpte Käseglocke fast an eine schmerzhafte Grenze treibt.
Vom einnehmenden Sound früherer Veröffentlichungen befreit, offenbaren sich Walkers Songwriting-Skelette mehr denn je als die wunderschönen, breit angelegten Epen zur Dämonenaustreibung, die oberflächlich vielleicht mehr bei den dunkleren Folk-Kollegen von Sun Kil Moon als bei Jeansjackenträgern wie Pallbearer anzusiedeln ist, bei genauerer Betrachtung jedoch eine intime, direkt die Synapsen ansprechende Urkraft inne haben, die eigentlich jeder Kategorisierung entbehrt. Die tranceartige Rückenstärkung durch Walkers Mitmusiker mutet dabei schon fast wie eine Selbstverständlichkeit an, und hift maßgeblich dabei, jeglichen Genreschubaden zu entspringen. Wenn Metal Emotion, Direktheit und Melancholie ist, dann ist Wider Than Sky metal as fuck.
01.
David Bowie
–
Blackstar
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Um es gleich vorwegzuschicken: Blackstar stünde auch an der Pole Position dieser Charts, wenn David Bowie nicht zwei Tage nach der Veröffentlichung seines 25. Studioalbums – respektive seines 69. Geburtstages – von uns gegangen und damit das Seuchen- und Todesjahr 2016 in so vieler Hinsicht vorweggenommen hätte. Schließlich gelang es dem unvergleichlichen David Robert Jones hier ein weiteres, ein letztes Mal, sich neu zu erfinden und stilistische Hoheitsgebiete zu beackern, das sich vage verhaftet irgendwo zwischen Scott Walkers Avantgarde-Jazz und den Artrock-Exkursionen eines Low bewegte. Das Bowie nach der selbstreferentiellen Vergangenheitsbewältigung The Next Day wieder als in der Zukunft lebendes Mysterium in Szene setzte und wie niemanden anderen da draußen klingen ließ. Blackstar ist ein zwielichtig-spannendes, fiebriges Album geworden, dass seiner Zeit trotz aller Hommagen voraus zu sein scheint, mehr noch, außerhalb aller Trends und zyklischen Moden existiert und bei jedem Durchgang neue Facetten und Ideen Preis gibt, um letztendlich dennoch ebenso unergründlich geheimnisvoll zu bleiben wie die dazugehörige Vinyl-Aufmachung.
Addiert man dazu den Faktor, dass Bowie mit seinem abschließenden Studioalbum auch vorausgegriffen und seinen nahenden Krebstod anhand eines formvollendeten Konzeptalbum inszenierte, verleiht das Blackstar natürlich erst recht eine künstlerische und persönliche Ebene, die sich anhand dieser sieben so unendlich bestürzender, schmerzhafter, unterhaltsamer, intensiver und überwältigender Meta-Songs kaum gravierend genug ermessen lässt: Im Kontext seiner Lebensgeschichte betrachtet ist die gravierende Bedeutung von Blackstar schlichtweg kaum einschätzbar.
Womit Bowie vielleicht kein weiteres Jahrhundertalbum gelungen ist, wie er rund um The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders from Mars oder Hunky Dory ja bekanntlich einige vorzuweisen hat. Aber im Jahr der Abschiedsalben hat Bowie wohl das ultimative Abschiedsalbum geschaffen und ein finales Meisterwerk vorgelegt, das sich wie die besten Veröffentlichungen des extraterrestrischen Engländers nicht und nicht abnutzen will, das mit zeitloser Klasse über allem schwebt und als letzter Geniestreich einer Ausnahmeersheinung der Menschheitsgeschichte so verstörend nachdenklich entlässt. Auch, indem es die eigene Vergänglichkeit in Relation setzt und den Tod in der Popkultur mit Lynch’esker Unwirklichkeit zum Kassenschlager macht.
Blackstar ist eines der stärksten Werke von Bowie überhaupt, ein überdauernder Epitaph für die vergangenen zwölf Monate und darüber hinaus, ein abschließender Baustein im eigenen Denkmal. Wäre Bowie nicht längst unsterblich gewesen, wäre er es hiermit geworden. So long 2016, und RIP Leonard, Prince, Michael und alle Legenden, die da gehen und dem ewigen Visionär Bowie folgen mussten.
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Dirk - 26. Januar 2017
Danke für die die Veröffentlichung Eurer Jahrescharts 2016.
Bin dadurch auf „40 Watt Sun“ aufmerksam geworden.
Ich finde das Album sehr beeindruckend – meine Platte des Jahres!
Nebenbei ist dies für mich ein Grund, das Gesamtrepertoire von Codeine auch mal wieder zu hören – an diese erinnern „40 Watt Sun“ mich nämlich mehr als nur einmal!
Grüße aus Düsseldorf
Dirk