Real Estate – Atlas

von am 22. Februar 2014 in Album

Real Estate – Atlas

Vielleicht haben Real Estate auf den ersten Blick noch einmal weitestgehend das selbe Album aufgenommen. Stimmt letztendlich natürlich nicht, aber selbst wenn: was macht das schon, wenn diese ansatzweise Verneigung der Band vor Wilco und The Field Mice in aller Schönheit abermals derart zurückgelehnt strahlt, dass sie den Sommer 2014 praktisch im Alleingang ausrufen wird?

Mindestens das erste halbe Dutzend an Durchgängen plätschert ‚Atlas‚ durchaus elegant, aber enorm unaufdringlich, sogar ziemlich unspektakulär vor sich her, verweigert offenkundige Widerhaken geradezu hartnäckig. Man kennt das von der Band aus Ridgewood, wenn auch nicht in solch ausformuliert anmutiger Nebensächlichkeit: Real Estate spielen ihren sanften aber gar nicht so sorglosen Indierock eben so entspannt wie kaum jemand (hier sogar entspannter denn je!), verwickeln ihre wunderbar kontemplativ perlenden Gitarrenfiguren mit sich beiläufig anschmiegenden Melodielinien und relaxten Rhythmen, Martin Courtney’s verträumten und ungebundenen Gesang voller melancholischer Romantik („And the only thingAnnotate that really matters/Is the one thing I can’t seem to do„).

Man kennt das: Die Band lehnt sich an der Oberfläche zurück, wartet ab – und man tut es ihr gleich, lässt allen tröpfelnden Wohlklang ohne Sorge einwirken, die Seele baumeln, denn man weiß ja: Real Estate Songs schlagen ihre Wurzeln erst unbemerkt aus, wachsen aber – wenn der Knoten erst einmal aufgegangen ist – beständig und nachhaltig. So ist das auch bei ‚Atlas‚, dem Album nach dem Erfolgswerk ‚Days‚, dem neuerlichen Ducktails-Intermezzo, dem ersten auch mit Schlagzeuger Jackson Pollis und Neuankömmling Matt Kallman am Keyboard. Ein Wechsel am sporadisch auftauchenden, soulig bettenden Atmosphäreinstrument aus der zweiten Reihe, den man bei aller Liebe nicht mitbekommt, auch wenn das federleicht stacksende ‚Horizon‚ um sein fröhliches Schlagzeugspiel anfängliches Pianoklimpern auffährt und hinten raus psychedelische Schleier anhängt.

This is not the same place I used to know/ but it still has the same old Sound“ singt Courtney im nachdenklich treibenden ‚Past Lives‚, und liegt damit so richtig wie daneben: grundsätzlich betrachtet hat sich bei Real Estate kaum etwas verändert – es gibt neben der identen Zutaten wie bisher auch wieder den obligatorischen Instrumentalsong (‚April’s Song‚ lächelt trotz Schwermut) oder den Ausreißer mit Matt Mondanile am Mikro (das neofolkig angehauchte ‚How Might I Live‚ gerät mit gerade einmal zweieinhalb Minuten viel zu kurz) – , aber im Detail hat das Quintett sein Songwriting doch dezent variiert, dazu ist der Einfluss Produzent Tom Schick und des Wilco-Lofts als Aufnahmeort klar erkennbar.
Real Estate machen nicht unbedingt einen Schritt zurück, aber zumindest einen zur Seite: ‚Atlas‚ ist deutlich näher bei ‚Days‚ als bei ‚Real Estate‚, hat die unangestrengt aus den Ärmeln geschüttelte Unschuldigkeit des Debüts gegen eine ergrübelte Leichtigkeit getauscht, das Wissen um das eigene Können; schweift durch die Wüste und nicht über den Strand, verzichtet aber trotz der noch einmal kristalliner gewordenen produktionstechnischen Klarheit gleichzeitig ein wenig auf das unmittelbar Griffige, dass das Zweitwerk über Strecken zum besten Shins Album seit ‚Chutes too Narrow‚ hat werden lassen. Die Kompositionen streunen allesamt ein klein wenig mehr, flirten mit Jeff Tweedy-tauglichen Countryansätzen (besonders im jammenden ‚Primitive‚, einem Song der gefühltermaßen wie vieles hier ewig weitergehen könnte)  kommen weniger direkt zum Punkt, schwänzeln lieber um charmante Melodietänzchen und wirken damit noch klassischer, schlichtweg zeitloser.

Einen ähnlich frontalen Hit wie ‚It’s Real‚ haben Real Estate deswegen diesmal auch nicht in der Auslage stehen, dafür aber – haben sich die 10 Songs von ‚Atlas‚ erst einmal in den Gehörgängen eingenistet – auch keinen einzigen Song der sich nicht als sympathischer Ohrwurm mit reichlich Understatement auszeichnet. Dann sind Nummern wie das schwelgende ‚Had to Hear‚ mit seiner Nels Cline Verbeugung, der umwerfende Vorbote ‚Talking Backward‚, das tropical urlaubende ‚The Bend‚ oder der mit aller Zeit der Welt dösende Pop von ‚Navigator‚ neue friedfertige Lieblingssongs aus der Real Estate Schmiede ohne Ablaufdatum, vollgepackt mit liebenswerten Hooklines und großartigen Gitarrenlinien.
Dass die Ausbrüche nach oben diesmal nicht gar so eklatant und aufsehenerregend ausgefallen sind wie auf den beiden Vorgängeralben hat nichts zu bedeuten: ‚Atlas‚ ist ein rundes, betörendes Werk voller Schönheit und ohne einen Funken Effekthascherei. Das volle Wirkungspotential dieser 38 Minuten Herzlichkeit werden Real Estate zwar erst an den warmen Sonnentagen des Jahres ausspielen – spätestens aber sobald dieses Album der Soundtrack des herannahenden Frühling und Sommer geworden ist, wird der Grower ‚Atlas‚ nicht mehr aus den Jahresbestenlisten wegzudenken sein.

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