Sky Ferreira – Night Time, My Time

von am 4. November 2013 in Album

Sky Ferreira – Night Time, My Time

Night Time, My Time‚ ist das Debütalbum der erst 21 jährigen Sky Ferreira, und dennoch schon so etwas wie ein (soundtechnischer) Reboot, der beinahe nicht mehr für möglich gehaltene (Neu)Start ihres Dasein als Musikerin. Bei der Vorgeschichte eigentlich kein Wunder, dass dieser das Hype-Barometer in die Höhe schießen lässt und die Sängerin/Schauspielerin/Troublemakerin zum aktuell ultimativen It-Girl zwischen Mainstream und Indie hochstilisiert.

Wer da allerdings nur die nächste durchs Hype-Dorf getriebene Sau vermutet, könnte aber doch auch übersehen, dass ‚Night Time, My Time‚ abseits des immensen Hipster-Brimboriums und hinter dem von „Skandalregisseur“ Gaspar Noè geknipsten Brachial-Instragram-Nippel-Schnappschuss-Cover durchaus seine Pop-zentrierten Reize einzusetzen mag. Oder anders gesagt: ‚Night Time, My Time‚ ist eine angenehm angepasste, aber ungebügelte Konsens-Überraschung geworden, mit der man nach unzähligen Verschiebungen (ursprünglich war Ferreiras Debütalbum für Anfang 2012 angekündigt) und noch mehr Umbenennungen (‚Wild at Heart‚, ‚I’m Not Alright‚, ‚I Will‚,….) praktisch nicht mehr – und vor allem nicht derart – zu rechnen wagen wollte. Dennoch ist ‚Night Time, My Time‚ nicht das ‚Chinese Democrazy‚ des 80er-affinen Electro- und Synthiepop geworden.

Einerseits natürlich, weil Ferreira zwölf weitestgehend hochwertige Songs auffährt, von denen sich genau genommen zumindest zehn Zwölftel  förmlich als potentielle Single aufdrängen (nur der Titeltrack driftet im Orchesternebel über seine stolpernde Rhythmiklieber in anderen Sphären, ‚Kristine‚ zelebriert zerschossene militärische Strenge mit einem immer weiter die Psychosenspiralle hinabtanzenden Lächeln); andererseits aber vor allem, weil die Amerikanerin mit ihrem Debüt nicht der Vergangenheit nachhängt, sondern einen Neuanfang unter den ungezogenen Schlußstrich setzt: die 46 versammelten Minuten stammen nicht mehr von der selben Sky Ferreiera, die als 14 jährige vom schwedischen Produzentenduo Bloodshy and Avant (Britney Spears, Kylie Minogue, Madonna, Jennifer Lopez, Katy Perry, etc.) unter Vertrag genommen wurde, um als neue Hochglanz-Bubblegum-Popprinzessin Anstelle von Erlebnissen im Mickey Mouse Club von der Freundschaft mit Michael Jackson erzählen konnte.  Dass die portugisisch/brasilianisch-stämmige Kalifornierein die nächsten 4 Jahre mit ebenso vielen Singles nach eigenen Werten den Vorstellungen ihres Entdeckerduos zu entsprechen versuchte, nur um daraufhin knappe 12 Monate bis zur ersten vollwertigen EP (‚As If!‚) zu benötigen und ein weiteres Jahr bis zur zweiten (in den stillen Momenten grandiose, drumherum anbiedernde ‚Ghost‚) deutete das Branchenbarometer guten Gewissens als Karrieretorpedierung – trotz des designierten Bedroom-Hits ‚Everything Is Embarrassing‚.

Alles vergessen, ‚Night Time, My Time‚ kappt nun ohnedies die Reißleinen, hat jedwede Unsicherheiten hinter sich gelassen, ist selbst in den verletzlicheren Momenten nachdrücklich und selbstbewusst auftretend – alleine mit welcher Vehemenz die Drums das Geschehen antreiben, dem Uptempo-Reigen (keine balladesken Momente mehr!) den nötigen Druck verleihen, in dem Sky ihr untrügliches Gespür für stets massentaugliche, aber niemals zu plumpe Hooklines und Melodien nach Belieben ausspielen kann: ein Statement. Quasi ein Angebot das Hirn bei absolut mainstreamtauglichem Pop vor Schamgefühl nicht abschalten zu müssen, ein Gegenentwurf zum Sumpf der hochnotpeinlichen Selbstdemonatge als austauschbare Stangenware. Ein bisschen so, wie Chvrches das unlängst erst vorgemacht haben: nur ohne den Homerecording Charme, dafür aber der vielleicht nötigen Society-Vehemenz und weniger Filler-anfällig.
Wobei hier natürlich auch Faktoren abseits des Songwritings eine Rolle spielen. „You put my faith back in boys“ singt Ferreira gleich im mit bratenden Gitarren und pumpenden Wave-Bässen immer wieder neu Anlauf nehmenden Ohrwurm ‚Boys‚ – und lässt sich dann gemeinsam mit Lebensgefährte und DIIV Sänger Zachary Cole Smith mit einer Karre voller harten Drogen erwischen. ‚Night Time, My Time‚ umgibt dem folgend stets eine dunkle Anziehungskraft, eine kaputte, verbotene Süße, die Amerikanerin scheint ihren infektiösen Poptanz stets am Rande des Abgrundes zu vollführen. Der von Ariel Rechtshaid und Justin Raisen karg geschliffene Sound besorgt den Rest, gibt sich gerne kratzig und noiseverliebt, darf dröhnen ohne zu schmerzen und sorgt damit für ein kantigeres, weniger gefälliges Umfeld für die runden Songs.

Ain’t Your Right‚ arbeitet deswegen geradezu maschinell nach vorne, Industrial-Pop ist das trotzdem noch nicht – ‚24 Hours‚ dafür ein flirrender 80er-Geniestreich an der Schwelle zur hymnischen Discopforte (ja, der Drive OST natürlich)und ‚Nobody Asked Me (If I Was Okay)‚ das surrende Update zu Ida Marias ‚Oh My God‚. ‚I Will‚ und vor allem ‚Love in Stereo‚ sind nicht mehr oder weniger als die makellosen Hits, die Robyn so nicht mehr hinbekommt. Das pulsierende Kopfhörerpochen ‚Omanko‚ („Oh, Japanese Jesus, come on/ I’m gearing up for a Japanese Christmas“) wird als frivole Atempause den Yeah Yeah Yeahs imponieren, ‚You’re Not the One‚ mit seinem Hip Hop Beat und der grätschenden Postpunk-Gitarre vielleicht ebenso. Als Rückblick auf die eigene Vergangenheit geht der glatte und schmeichelweiche Electrosingalong von ‚I Blame Myself‚ dafür beinahe etwas zu sehr auf Nummer sicher, zeigt aber auch, dass Ferreira ihre Ziele nun direkter anstrebt, sie gleichzeitig eigenwilliger und weniger penetrant nervend inszeniert, sich eine schmutzige Fuck You-Attitüde angeeignet hat und ihr Songwriting damit auf eine neue Ebene hebt- weswegen ‚Heavy Metal Heart‚ die Bohrmaschine dann auch guten Gewissens auf den Dancefloor schleppt. Denn eben: ein kleines bisschen neben der Spur liegt ‚Night Time, My Time‚ immer – da darf man durchaus von einer eigenen Handschrift, einem eigenen Charakter sprechen. Dass Sky Ferreira hiermit natürlich viel eher dem Moment, dem Zeitgeist folgt als ihn zu definieren oder voranzutreiben: geschenkt! Die Frau weiß seit jeher wie man Ohrwürmer und Hits schreibt, und mittlerweile auch, wie man ihnen Glaubwürdigkeit und (Alternative-)Bodenhaftung verleiht. ‚Night Time, My Time‚ musste man so nicht auf der Rechnung haben – aber 2013 ist sowieso ein gutes Jahr für kleine Synthiepop-Sensationen.

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