The Decemberists – I’ll Be Your Girl

von am 12. März 2018 in Album

The Decemberists – I’ll Be Your Girl

The Decemberists suchen wieder einmal neue Ansätze für ihre Musik und finden sie diesmal in der Schere aus Form und Inhalt: Pessimistisch sich selbst bemitleidende Texte tänzeln auf I’ll Be Your Girl zu einer erstaunlich optimistisch und frohlockend-gelösten Annäherung an Glam-Motive, den Synthpop und die 80er.

Colin Meloy stellt dem Indie-Folk und Baroque-Pop seiner Decemberists mit I’ll Be Your Girl also den New Wave vor und gibt Bands wie New Order oder Depeche Mode als prägende Inspirationsquelle an, meint aber vor allem auch jüngere Platten von Arcade Fire.
Die gute Nachricht dabei: Zu keinem anderen Zeitpunkt laufen die Portlander auf ihrem achten Studioalbum derart Gefahr, die Nervenstränge so plump zu malträtieren, wie im unendlich repetierten Refrain der grausamen Lego-Umkehrung Everything Is Awful; einer catchy Brechstange, die mit penetranter Hand übersättigt und durchaus stellvertretend für eine neue Banalität im Schaffen der Band steht, welche sich auch in den durchsichtigen Melodien und eindimensionalen Texten verfolgen lässt.

Die schlechte Nachricht insofern: Dass die Decemberists den Synthesizer als ausschmückendes Element für sich entdeckt haben , macht das geundlegende Songwriting des Quintetts nicht unbedingt besser. Es sorgt als ästhetischer Faktor eher für mehr Glätte, zudem mal für ein subtileres Discoflair (Cutting Stone) und stampft dann wieder markanter auf die Tanzfläche (Severed hat als Singlevorbote bereits viele Befürchtungen die Platte betreffend geschickt relativiert), bleibt aber wie in der flachen Single Once In My Life letztendlich vor allem leicht verdauliches Beiwerk in einer vertrauten Umgebung, die Meloy alleine mit seinem Timbre unmittelbar einnimmt.
Es gibt also nette Lagerfeuer-Nummern mit militärisch ins Nirgendwo getriebener Strenge (Starwatcher), ziellose Intimitäten mit stellaren Horizont (Tripping Along), galoppierenden Kammermusik-Western (Your Ghost), klassische Bagatellen und eindruckslos bleibende Füller (Sucker’s Prayer und der Titelsong-Closer) sowie mit enthusiastischen Beatles-Harmonies zu Slogans stampfende Kinderchöre samt Saxofonausbrüchen (We all die Young).
Nicht, dass die Amerikaner sich in diesem Feld tatsächliche Ausfälle per se leisten würden – aber gerade in Gegenüberstellung zu den beiden Meisterwerken der Band geht das Material auf I’ll Be Your Girl irgendwo zwischen gefälligen Standards und mediokren Lowlights unter.

Für den Moment ergeben all diese Szenen in Summe also ein höchstens durchschnittlich-souveränes Decemberists-Album, das eigentlich viel routinierter abgespult wird, als es die Produktion suggeriert. Eine gewisse Beliebigkeit lässt sich im eingängiger gewodenen Songwriting jedenfalls nicht kaschieren – mit einer Ausnahme.
Am besten gelingt das zweiteilige Epos Rusalka, Rusalka / Wild Rushes, weil The Decemberists den Synthesizer hier als integralen Bestandteil der Komposition einsetzen, so atmosphärisch und bedeutungsschwer über die Gravitation einer düster-drückenden Klangfläche auftreten, deren Befreiungsschlag umso erfüllender wirkt, wenn der achtminütige Song zur Hälfte plötzlich folkig durchatmet, alle Last von den Schultern wirft und gelöst vor sich her treibt. Kein eklatanter Bruch mit der Vergangenheit, aber der Mut, die etablierte Wohlfühlzone im ansonsten weitestgehend konventionell adaptierten neuen Sound mit der fordernden, alten Klasse im Songwriting zu verknüpfen, anstatt sich mit Leerlauf am konsumfertigen Pop zu verzetteln.
Es gelingt der Sternstunde der Platte übrigens nicht, all die Schwächephasen eines qualitativ unausgegorenen Albums auszugleichen oder zumindest nachhaltig aufzuwiegen. Dennoch stimmt der Song symptomatischerweise optimistisch für die Zukunft der Band: Rusalka, Rusalka / Wild Rushes sei der letzte für I’ll Be Your Girl geschriebene Song gewesen und könnte damit durchaus die weitere Richtung der Band vorgeben.

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