The Flaming Lips – The Terror

von am 10. April 2013 in Album

The Flaming Lips – The Terror

Dreieinhalb Jahre nach ‚Embryonic‚ finden die Flaming Lips zurück zum Albumformat, nicht aber zum Song: ‚The Terror‚ ist ein sphärischer Mediations-Trip entlang der dunklen Abgründe des so fehleranfälligen zwischenmenschlichen Konstrukts der Liebe geworden. „Love is always something / Something you should fear / When you really listen / Fear is all you hear“ sinniert ein hoffnungsloser Wayne Coyne.

Er tut dies in einem Meer aus halluzinogen pulsierenden Soundflächen, weit hinter einem monoton und stoisch nach vorne holpernden Rhythmus. Die Bässe grummeln, scharfkantige Gitarrenlicks grätschen nervös in das verwirrende Szenario. ‚Look… The Sun Is Rising‚ gibt damit den Weg für die folgenden knapp 55 Minuten von ‚The Terror‚ vor, ist auf den Erstkontakt eine beklemmende, vor allem verstörend konsequente Odysee, bald ein dunkel schimmernder, einnehmende Rausch direkt hinein in das Herzen des Klangkosmos der ewigen Gestaltenwandler Flaming Lips. Die vom 2009er Album ‚Embryonic‚ ausgehende Transformation in experimentelle Gefilde, über unzählige Kleinformate und Kollaborationen hinweg, sie scheint hier zu einer Vollendung zu kommen. Aus dem Abgrund, dem Coyne dabei zusteuert, erklingt transzendentale Popmusik ohne jegliche Griffigkeit, die nur deswegen nicht futuristisch klingt, weil ‚The Terror‚ nach einer vollkommen losgelösten Zeitlosigkeit tönt, nach musikalischen Entwürfen von anderen Planeten.

Die vollkommene Entrückung der Flaming Lips auf ihrem dreizehnten Studioalbum, sie ist die logische Konsequenz aus den letzten Jahren an schierer Veröffentlichungswut und totalem Präsentationsirrsinn, vor allem aber Aufarbeitungsversuch einer  gescheiterten Liebe. Nach 25 Jahren Ehe ging eben diese für Coyne 2012 zu Ende, er reflektiert die Ernüchterung über das „Konzept Liebe“ an sich mit einer ausfransenden „Fuck You Platte„: für die Flaming Lips bedeutet dies jedoch nicht wütende Hassattacken, sondern eine pillenschmeißende Katharsis aus elektronischen Elementen, eine tranceartige Psychose mit gehirnrotierender Beruhigungsmitteldelirien. Keine Exkursion verlangt hier nach plüschigen Tierkostümen, explodierenden Konfettifeuerwerken oder über enthusiastische Menschenmengen hinwegrollende Plastikbälle. ‚The Terror‚ evoziert blinkende Stroboskopeffekte, psychedelisch verzerrte Fratzen in Raumanzügen und maschinell entrückte Entmenschlichung. Ist man jedoch erst einmal gefangen in diesem eindringlichen, sorgsam gesponnenen Terrornetzwerk, entfalten die Flaming Lips eine unnachahmliche Sogwirkung: irgendwann tut sich da eine beinahe melancholische Wärme, eine verschrobene Schönheit in all der aufgefahrenen Distanz und Kälte auf.

Die Nadel in ‚Look… The Sun Is Rising‚ beginnt festzuhängen, in ‚Be Free, A Way‚ arbeiten dafür unzähligen Soundschichten über einem unscheinbar hämmernden Beat, Melodieansätze bleiben wie überall hier mehr Ahnung und Vorschlag als konsumfertige Umarmung, ätherische Captain Future-Synthesizer klettern in eine wage Vorstellung davon, wie Wayne Coyne in seinem Raumschiff den Post-Dubstep auf der Erde wahrnehmen könnte. Im Orbit tauchen vage Melodiewolken in müden Radiatorengehäusen auf ( aus ‚Try to Explain‚ hätten die Lips vor 10 Jahren wohl einen majestätischen Hit gebastelt), Illusionen von beklemmenden Unheilbringern geistern umher (‚The Terror‚), das großartige ‚Turning Violent‚ beschafft sich gegen Ende eine geradezu hartnäckiges Mantra . ‚Butterfly (How Long It Takes To Die)‚ verströmt mit unermüdlich arbeitendem Rhythmus eine Idee von Funk und im über 13 Minuten lang dröhnenden Klangmeer ‚You Lust‚ verschweißen die Flaming Lips ihre atmosphärisch dichten Ambientarbeiten (so macht man derartiges über diese Distanz spannend, werte The Knife!) mit klaustrophobischen Sprachsamples und wahnsinnigen Nebelschwaden zu einem Szenario, als hätte Drive in der flirrenden Hitze eines Acid-Strandes gespielt – letztendlich doch ein trügerisches Wiegenlied.

Nach all den Anstrengungen welche die Flaming Lips ihrer Hörerschaft in den letzten Jahren abverlangten, damit jene zumindest ansatzweise am Pulschlag ihrer bewusstseinserweiternden Ausflüge bleiben konnten, wäre die Rückkehr im Albumformat wohl vielerorts eine willkommene Möglichkeit zur wieder konventionelleren Herangehensweise an den megalomanischen Götterpop vergangener Tage gewesen. ‚The Terror‚ tritt hingegen noch einmal in die extremere Richtung aus und verlangt mehr: die Bandphase zwischen ‚The Soft Bulletin‚ und ‚At War With the Mystics‚ wird von Coyne und Co. im Nachhinein nicht rücksichtslos revidiert um  ‚Zaireeka‚-Fäden neu aufzunehmen, aber zumindest hemmungslos übermalen und über ‚Embryonic‚ in die avantgardistischen Extreme getrieben. Weiter draußen waren The Flaming Lips jedenfalls nie. Ob sie jemals zurückkehren, daran lässt ‚The Terror‚ ernsthafte Zweifel aufkommen. Sorgen muss sich deswegen niemand machen.

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2 Trackbacks

  • The Flaming Lips - Oczy Mlody - […] durch allerhand dösende Effekte kompensiert wurde) in die Kerbe, die nach Embryonic auch The Terror und all die Veröffentlichungen…
  • Flaming Lips - American Head - HeavyPop.at - […] aufleben lassend spielen wollen. So gute alle Veröffentlichungen seit Embryonic und Werke wie The Terror letztendlich auch stets waren,…

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