The Hirsch Effekt – Holon : Anamnesis

von am 21. August 2012 in Album, Heavy Rotation

The Hirsch Effekt – Holon : Anamnesis

Wer sich jetzt noch umdreht, ist selber schuld/ Wer nun noch zurückblickt, hat uns nicht verdient.“ Und tatsächlich: die musikalischen Hochleistungssportler The Hirsch Effekt übertrumpfen mit der „Höher/Schneller/Weiter„- Taktik ihr fassungslos hinterlassendes Debütalbum tatsächlich noch einmal um ein Eck.

Nils Wittrock, Ilja Lappin und Philipp Wende breiten den 2010 auf ‚Holon : Hiberno‚ losgetretenen Rummelplatz des musikalischen Virtuosenirrsinns damit zwar nicht noch weiter aus, denken in aber noch hemmungsloser und unangestrengter ins Detail weiter. Was so schon passt, denn wer derart viele Genres ohne zu Fragen mit in den bandeigenen Strudel aus unüberblickbar vielen Rhythmus- und Tempiwechsel reißt und rasenden Tappingabfahrten und brachialen Riffattacken an unfassbare, ausladende Progdrahtseilakten kettet,  hat ohnedies genug Freiraum um sich hemmeungslos nach Lust, Laune und ohne die wirkliche Gefahr sich zu wiederholen austoben z können. Deswegen kann sich das Trio auch ohne Umschweife an die dreißig Gastmusiker – darunter gleich mal einen Chor und Orchester – gönnen, ohne ihre Musik deswegen zu überladen. Im Gegenteil: intimere und eigentlich auch schönere Momente als den Schlußpart des monumentalen ‚Agitation‚ oder den erhabenen Gänsehautbeginn von ‚Mara‚ haben die drei Hannoveraner bis dato so noch nicht zu stände gebracht.

Auf der anderen Seite entstehen auf ‚Holon : Anamnesis‚ noch höher in den Himmel wachsende Klangberge; wie etwa der sakrale, himmlische  Chor von ‚Ligaphob‚, der in seiner letztendlichen Einbindung in das folgende Kompositionsinferno wahrscheinlich ohnedies nichts vergleichsweises in der deutschen Musikgeschichte finden wird. ‚Limerent‚ macht zwischen Metalcore und Alternative Rock noch Platz für Salsa und Carlos Santana Solo-Lehre, während ‚Ira‚ eingangs noch hemmungslos auf der Überholspur festgetackert ist. Da wird an allen Ecken und Enden die Liveenergie der Band wieder in unhandliche Songs eingebaut, konventionelle Strukturen sind hier nie interessant: Hooks und Melodien rasen in der Leistungsschau umher, nichts verweilt länger als es muss, Ruhephasen wie der beinahe balladeske Beziehungsabgesang ‚Datorie‚ lässt in seiner von elektronischen Störgeräuschen bedrängten Melancholie Raum zum verschnaufen. Man sieht: The Hirsch Effekt wollen auch im zweiten Anlauf unheimlich viel, meistens sogar alles zur gleichen Zeit, deswegen fordert – und mehr noch: berfordert – ‚Holon : Anamnesis‚ in der Kennenlernphase bedingungslos und konsequent, verfolgt seine Ziele aber beinhart und trotz seiner abertausenden Hackenschläge doch auch unangestrengt.

Klar, ‚Holon:Anamnesis‚ strahlt in seiner Gesamtheit wieder eine unheimliche Megalomanie aus, vom ambitionierten Konzeptüberbau über die Virtuosität an den Instrumenten dahinter bis zum liebevoll ins Detail gehenden Artwork (was man an dieser Stelle mal explizit herausheben muss: bei dem auf 600 Stück limitierten Kapitän Platte Vinyl sollte man zugreifen, solange es geht!). Wittrock hastet dabei durch interpretationsoffene Befindlichkeitstexte, der Gesang pendelt mühelos zwischen den seltenen aggressiven Growls und dem meist klar intonierten Parts, bleibt dennoch die Art Achillesferse, die man mögen muss, um sich vollends in The Hirsch Effekt zu verlieben. Auch, weil das deutsche Trio immer noch stärker Vergleiche zum internationalen Markt evoziert, trotz des Gesangs weniger Blumfeld oder Die Sterne ist als Coheed and Cambria und The Mars Volta, konkurrenzlos in hiesigen Breitengraden die Alben schreibt, zu denen The Fall of Troy nicht mehr fähig sind, Just Like Vinyl vielleicht nie sein werden.
Und letztendlich funktioniert auch ‚Holon : Anamnesis‚ deswegen so makellos, weil der Knopf der Überforderung irgendwann aufgeht und sich die progressiv so weit ausholenden Monsterkompositionen schlüssig in die Gehörgänge legen, denn ja: The Hirsch Effekt pumpen Unmengen an Kreativität, Spielwitz und Ideen, staunend machende Handwerkskunst und sogar Bombast in ihr zweites Album, vergessen aber eben nicht, darauf großartige, stimmige und schlüssige Songs zu formen, die auch auf emotionaler Ebene tadellos funktionieren. ‚Holon : Anamnesis‚ entpuppt sich so wie schon sein Vorgänger zu einem Geschenk an alle progressiven Spielarten zwischen Rock und Metal, mehr noch, einem Gesamtkunstwerk, dass man in dieser Form eigentlich auch auf der ganz großen, nicht nur deutschsprachigen Bühne feiern müsste.

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