The Hotelier – Goodness

von am 3. Juli 2016 in Album, Heavy Rotation

The Hotelier – Goodness

The Hotelier vollenden spätesten jetzt den Entwicklungsschritt von der vielversprechenden Nachwuchshoffnung zur voll ausformulierten Referenzgröße und kristallisieren sich anhand von Goodness damit endgültig als die vorläufigen großen Gewinner des 90er-Emo-Revivals.

Die Plattitüde der reifer gewordenen Band verlangt freilich in trotzdem nach dem Phrasenschwein – im Fall von The Hotelier nutzt man sie dennoch guten Gewissens. Schließlich konnte man  über das im zarten Durchschnittsalter von gerade einmal 18 Jahren unter dem Banner The Hotel Year veröffentlichte ([amazon_link id=“B01FED5A5C“ target=“_blank“ ]und unlängst neu aufgelegte[/amazon_link]) Debüt It Never Goes Out und dem an dieser Stelle doch unter Wert verkauften Zweitwerk Home, Like Noplace Is There, das mit seiner unbändig rohen Dramatik direkt zum Genre-Klassiker mutierte, der Band um Mastermind Christian Holden doch dabei zuhören, wie sie ihre Songs in immer formvollendetere und überlegtere Bahnen lenkte, selbstbewusster und kontrollierter an ihren zwischen Emo, Poppunk, Indierock und folkigem Post-Hardcore pendelnden Songs arbeitete. Und den mittlerweile zum Trio geschrumpften The Hotelier damit eben auch tatsächlich beim Wachsen – und Erwachsenwerden – zuhören.
Goodness führt diesen steten Evolutionsprozess vorerst auf das nächstlogische Plateau und zeigt eine alle Leichtsinnigkeiten von Bord werfende Band, die bei sich selbst angekommen ist. Holden scheint nicht mehr vor dem sinnbildlich ungewissen Sommer am Übertritt zum restlichen Leben nach dem jugendlichen Übermut zu stehen und diesem mit möglichst energischen Kompositionen entgegenzustürzen. Stattdessen nimmt er sich die Zeit innezuhalten, durchzuatmen, und sich an einer ersten melancholischen Zwischenbilanz zu versuchen, einen regelrechten Konterpart zum depressiven Vorgängerwerk zu liefern und philosophiert deswegen: Was ist das wahre Ich,  und lässt sich Liebe in all ihren Formen erkunden?

Antworten auf diese Fragen findet Holden mit Gitarrist Chris Hoffman und Drummer Sam Frederick auf einem Konzeptalbum, das sich entlang dreier nostalgischer Koordinaten an Erfahrungen entlanghandelt: „Very insignificant spots for anyone but myself“ sind der Wasserfall Sabbaday Falls in Vermont, bei dem der damals 17 Jährige Kopf von The Hotelier einst beinahe ertrunken wäre; ein See, den Holden in seiner Kindheit besuchte, um den Vollmond zu betrachten; und ein Camp für nichtbeschulte Kinder, in dem der Musiker als Berater arbeitet. Bei — (N 43° 59′ 38.927 rezitiert Holden also in den Hohheitsgefilden von La Dispute ein Gedicht; für die Lagerfeuerintimität — (N 43° 33′ 55.676 greifen ihm seine Zöglinge zaghaft unter die Arme und wecken damit flüchtige Erinnerungen an die großartigen [amazon_link id=“B002NFEDNU“ target=“_blank“ ]Dead Man’s Bones[/amazon_link]; während — (N 42° 6′ 3.001 eine spärlich gezupfte Miniatur mit Field Recordings und angeteasertem Kinderschlaflied darstellt.
Wie das hippiesk anmutende Cover ist auch dieser rote Faden in gewisser Weise spirituell zu verstehen – ein (im besten, weil ehrlichst möglich inszenierten Sinne) großartiges Faible für berstenden Herzschmerz, prätentiöse Hymnik und zum Kitsch neigende Poesie haben die unironisch zu ihrer Weltsicht stehenden The Hotelier ohnedies. Nur fühlt sich das tiefsinnige Goodness in seiner lyrisch gedankenvollen Empathie und seiner den Raumklang verschiebenden Produktion (ernsthaft: wieviele großartige kleine Details passieren hier alleine in der Inszenierung?!) praktisch niemals nach diesen am Papier nach ätherischer Verkopfung schreienden Eckpfeilern an – sondern hangelt sich über knackige 48 Minuten so unheimlich bodenständig und packend über ein vitales Schaulaufen der zündenden Hits und charismatischen Ohrwurmer-Achterbahnfahrten, die nahverwandte Kumpels wie Modern Baseball, Into It. Over It oder The World is a Beautiful Place & I Am No Longer Afraid to Die bis auf weiteres ein klein wenig abhängt. Auch indem sich The Hotelier eben konsequent weiter herausfordern und aus der etablierten (Un)Wohlfühlzone pushen und eventuell gar zu den Neutral Milk Hotel ihres Fachs zu werden.
Die poppunkige Single Piano Player schafft es etwa sich immer weiter auf die Spannungsleiter hinauszuschieben – dabei lässt Holden den Song erst bis in den Hintergrund schleifen, nimmt doch noch die Zügel in die Hand und treibt ihn energisch zu einem immer emotionaler werdenden Ausbruch, der letztendlich gar nicht das Ende ist: Die ungeschliffene Energie von The Hotelier wird in Einklang mit der harmonischer geführten Klinge gebracht.

Die unbedingte Sturm und Drang-Getriebenheit von Home, Like Noplace Is There ist nun einer runderen, vielleicht sogar zugänglicheren Aufbereitung gewichen. Die Ungeschliffenheit früherer Tage einer facettenreicheren Atmosphäre, wodurch man liebgewonnenen Stärken natürlich in gewisser Weise nachtrauern muss. Nicht aber, ohne neue Charakterzüge ans Herz gelegt zu bekommen.  The Hotelier nehmen sich mittlerweile mehr Zeit, bauen Dynamiken und Stimmungen sorgsamer auf, lassen dem Optimismus auf allen Ebenen Platz. Man kann in dieser Entwicklung nur auf den ersten Blick eine gesteigerte Routine und das indietaugliche Abschleifen von ein paar wenigen Kanten sehen, findet dabei aber doch nur die geduldigere Verlagerung der Vorzüge. Das Songwriting vermisst auf Goodness einen größeren Radius und lässt all den Ideen und Wendungen gleichzeitig mehr Freiheiten um sich auszuleben.
Holden forciert in diesem friedlicheren Kontext sein Händchen für eingängige Melodien und schmissige Hooks stärker denn je, fächert die Schmissigkeit seines Songwritings und die Leidenschaft der Performance in die wohl nachhaltigsten Ballance der bisherigen Bandgeschichte auf. Da ist es nur konsequent, dass er seine Stimme auch ökonomischer einsetzt, vielschichtiger und bedachter agiert und mit seinem Backup Hoffman so auch weniger ungestüme Wege findet, um seinen klugen Gedanken Ausdruck zu verleihen – wenn er sich das Herzblut allerdings aus den Lungenflügeln schreit auch umso härter in die Magengrube trifft.
Alleine wie viele Haken das großartige Settle the Scar so schlägt, ohne dabei erzwungen zu wirken; wie sich das wunderschön perlende Opening Mail for My Grandmother von der Solonummer zum Gemeinschaftsgefühl auswächst; wie Soft Animal oder Sun ihre Spannungsbögen immer wieder aufs neue adaptieren; das Klavier-Interlude Fear of Good den Weg für das mit zuversichtlichem Wehmut tröstende End of Reel ebnet: „I don’t know what I want/ What I wants where I’ve been„. Man dreht sich im Kreis und lernt dennoch fürs Leben.
We are naked, at rest, and alone/In the drone of the open air, yawning/Couldn’t help but feel any less small“ steigt Holden voller Inbrunst am anderen Ende der Platte in den stoisch polternden Drumbeat des eröffnenden Goodness, Pt. 2 (Teil 1 gab es auf der letzten Tour als Akustikversion als 7″ zu erwerben), die Gitarren oszillieren erst umständlich, bis sich alles in ein immer epochaler werdendes Ganzes vervollständigt, The Hotelier gleich zum Einstieg eine Großtat spielen, die alleine das schlaue Maß an Understatement von massentauglichen Alternative Rock-Gesten befreit. Damit ist der Ton gesetzt, wenn sich die das Individuelle im Universellen destilliert: „If we spin without compass in circles/Will we fall in the same exact place/…/When this began, this was a thing that we could both share/ A bit of shade, the goodness fades/ And we’d begin there„.
Das beste dabei ist letztendlich gar nicht diese Ausnahmeband beim Wachsen beobachten zu dürfen – sondern sich nicht zwangsläufig entscheiden zu müssen, welche ihrer Entwicklungsstufe einem am meisten am Herzen liegen.

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