Ulcerate – Cutting the Throat of God

von am 23. Juni 2024 in Album, Heavy Rotation

Ulcerate – Cutting the Throat of God

Nochmal um ein paar Nuancen konsequenter, was die Eingängigkeit betrifft: Ulcerate fahren auf Cutting the Throat of God den zu voller Blüte gekommenen Ertrag ein, der mit Stare into Death and Be Still von der womöglich derzeit besten Dissonant Tech Death Metal-Band dieses Planeten ausgesät wurde.

Kommen wir gleich zum Punkt, weil ja auch Drummer Jamie Saint Merat, Gitarrist Michael Hoggard und Bassist/ Brüllwürfel Paul Kelland selbst mit relativ offenen Karten spielen: Cutting the Throat of God fühlt sich wie die Fortsetzung und Steigerung seines Vorgänger von 2020 an. Die Vielseitigkeit des Sounds von Ulcerate wird noch offenkundiger anlegt, das Songwriting in der Symbiose aus Dissonanz und Melodie noch zugänglicher gezeigt, und bietet, ohne nun mit einem betäubenden Eindruck der Überwältigung zu erschlagen, mehr Auftrittsfläche. Ein klarerer Sound sucht nicht immer den Zugang über das Geflecht aus Texturen, derweil sich mehr Post-Segmente a la Isis oder Neurosis in das Geschehen einspeisen, immer wieder eine Black Metal-Attitüde das Geschehen schraffiert, und man phasenweise sogar öfter an Deathspell Omega, als an Gorguts denken darf.

Wo die Grenzen des Zumutbaren sich mit Album Nummer 6 vor vier Jahren gelockerthaben, hat die Reichweite sich nun endgültig erhöht, die Eintrittsschwelle ist greifbar gesunken – die Ergiebigkeit des Materials aber geblieben, die Vehemenz aufrecht. Nur weil man sich in einem geißelnden Moloch schneller zurechtfindet, will man im Umkehrschluss keineswegs früher gehen.
Ulcerate mussten für diesen massentauglicheren Ansatz aus dem ganzheitlichen Blickwinkel keine ihrer integren Tugenden am Altar der Banalität opfern. Cutting the Throat of God verwässert die Identität des Trios praktisch nicht, setzt im vertrauten Terrain immer noch auf leviathanartig komplexe Umgangsformen, technisch virtuose Artikulationen, herausfordernde Aufmerksamkeitsspannen und jene unverkennbare Trademarks, die man schon seit rund zwei Jahrzehnten von der Band gewohnt sein kann. Nur eben einladender. Unmittelbarer entlohnend. Auf eine andere Art ebenso kompromisslos wie immer.
Auch Cutting the Throat of God verlangt dem Hörer also Aufwand und einen langen Atem ab, stellt aber selbst für ungeübte Ohren mit einer unabdingbaren Sicherheit jene Veröffentlichung der Band dar, mit der der Eintritt in ihren Kosmos verhältnismäßig einfacher gelingen kann, als es der bisherige Kanon der Neuseeländer tat.

Der melancholisch getragene Einstieg in To Flow Through Ashen Hearts ist insofern ebenso symptomatisch wie das Umschalten in eine rasende Präzision, angetrieben von wie immer fassungslos machenden, perfekt akzentuierten Drums und aufregend verzahnten Riff in cleaner Bösartigkeit auf den Schultern des hässlichen Basses, was ebenso neu wie vertraut, so heroisch und vertrackt einen catchy peitschenden, dystopischen Wahn in einen dynamischen Mahlstrom der Unberechenbarkeit verwandelt – exakt jenen Punkt treffend, den keine Genre-Kollegen auf diese Weise anvisieren können.
Über den mystischen Morast einer dämonischen Bridge schleppt sich die malerische Tragik der Heaviness dann durch einen kaum zu bändigenden, detailliert konstruiert verworren Metabolismus, der keinen Zweifel daran lässt, hier einem gewissen Paradigmenwechsel in der Bandgeschichte beizuwohnen – und mehr noch dennoch vor allem eine konsequente Entwicklung weiterzuverfolgen, die Cutting the Throat of God niemals in die Wahrnehmung einer Übergangsplatte rücken wird.

Der Wulst aus martialischer Strenge in The Dawn is Hollow belässt der Atmosphäre exemplarisch mehr Raum zum Atmen, tackert frickelnd und zeigt die Extreme im Kontrast zwischen brutal schindender Komplexität und durchatmender Weite im radikalen Amplituden. Further Opening the Wounds setzt seine Schikanen im Grenzbereich hängenbleibender Motive und Ideen, galoppiert irgendwann fast punkig, wohingegen Transfiguration In and Out of Worlds überlegt und kontemplativ agiert. Wie die Saiten in To See Death Just Once miteinander kommunizieren, sich gegenseitig überholen und antreiben zeigt eine instinktive, impulsive Seite der Band, während die Instrumente in den ruhigen Passagen eines reißenden Stromes der Atmosphäre dienlicher entgegenarbeiten.
Es gibt zwar genug Wege, um sich im knapp zehnminütigen Koloss Undying as an Apparition zu verirren, doch wie der Titelsong-Closer dafür dann in eine konventionelle Griffigkeit in das hohe Anforderungsprofil der Gruppe übersetzt, verschiebt die Perspektive auf Ulcerate eben doch zu einem gewissen Grad.

Die Landschaft, die die drei Ausnahmemusiker erforschen, sie ist im proklamiert mit Stare into Death and Be Still begonnenen zweiten Kapitel der Bandgeschichte merklich in die Breite gewachsen. „This is a form of music that should overwhelm you and force you to feel small and insignificant in the scheme of things“ erklärte Saint Merat dereinst und dies trifft weiterhin zu. Doch bekommt die monolithische Präsenz von Ulcerate-Musik mittlerweile jene zusätzliche Dimension, für die 2020 der Weg erst geebnet wurde, indem sie nun mehr Raum zum Atmen hat und mit einer neuen Deutlichkeit jenseits der Stagnation gedeiht.
Manchmal auf eine Art und Weise, als wären die rastlosen Ulcerate selbst über ihre eigene Evolution am aufgeregtesten und würden mit einer abgeklärten Neugierde über den eigenen Rahmen stieren, wo Zugänglichkeit keine einfache Barrierefreiheit oder den Weg des geringsten Widerstandes bedeutet. Geschweige denn Arenen samt Animationsprogramm. Der Ethos der Platte ist authetisch erschöpfend, das plättende Volumen auch durch den, nun ja, schmissigeren Suchtfaktor gegeben. Weswegen Cutting the Throat of God einen Konsens anbietet, jedoch nicht notwendigerweise das bisher beste Album der Diskografie darstellt – sicher aber das siebente herausragende am Stück.

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