Ulcerate – Stare Into Death And Be Still

von am 25. April 2020 in Album

Ulcerate – Stare Into Death And Be Still

Man muss Ulcerate keine Gemächlichkeit des Alters attestieren, um durchaus eine ungekannte Bekömmlichkeit in ihrem patentiert progressiven Avantgarde-Tech Death Metal zu orten: Zugänglicher als auf Stare Into Death and Be Still klangen die Neuseeländer noch nicht.

Freilich ist das absolut relativ zu verstehen, in gewisser Weise sogar ansatzweise ähnlich wie bei The Furnances of Palingenesia aus dem vergangenen Jahr. Denn letztendlich bleiben Ulcerate als unfehlbare Konstante zwischen (ungefähr) Gorguts, Deathspell Omega, Tombs und Blut aus Nord die schwindelerregende, überfordern könnende Genre-Speerspitze mit dissonant-virtuoser Hülle und polyrhythmischer Komplexität, die sie seit knapp zwei Jahrzehnten sind: Stare Into Death and Be Still verlangt wie alle Platten der Band Zeit, um nicht vollends desorientiert in den Verästelungen eines Songwritings zu verlieren, das dirigiert und zusammengehalten wird von der gewohnt bestialischen Schlagzeugatbeit von Jamie Saint Merat.
Und das obwohl gerade der Einstieg überraschend verhalten, weniger tollwütig und wild ausfällt, sich regelrecht bockig verzahnt. The Lifeless Advance schleift seine nicht enden wollenden Riffkaskaden und chaotisch anmutenden Gitarrenfiguren über unsagbar vertrackte Drums, die ohne verkopft zu werden rasend tackernd wie nichts Gutes, den Opener aber vor allem in Lauerstellung belassen. Paul Kelland brüllt besessen über die perfide konzipierte, architektonisch ziselierte und dennoch knüppeldicke Death-Verschachtelung, die in ihrem labyrinthischen Wahn für das Detail unvorhersehbar bleibt, wenn auch vom Sound her nicht unberechenbar. Sperrig windet sich das atonal durch die nihilistische Atmosphäre, verschiebt die Grenzen bekannter Verhaltensmuster und erweitert quasi Trademarks, wenn Ulcerate komprimiert und überlegt brüten, auf eine in den Nuancen neue Weise radikal, nicht mehr aus allen Nähten mit den Aggression platzend.

Mag der Einstieg auch eine gewisse Hürde und Herausforderung markieren, lichtet sich das kompositorische Dickicht danach diesmal gefühltermaßen schneller als auf den bisherigen Alben der Band, auch weil Stare Into Death and Be Still die Evolution konstant fortsetzt und gewissermaßen zu Ende bringt, was das postmetallische Vermis und Shrines of Paralysis begannen, indem die die Symbiose einer immanenten Hässlichkeit mit mehr Melodien, mehr Atmosphäre und sludgiger gespielten Gitarren über eine kompakte Produktion in konsequenter Synergie bedient wird.
Exhale the Ash sorgt für mehr Nachvollziehbarkeit, indem individuelle Signaturen aus dem Sound hervorstechen dürfen – hier sind es die Amplituden der Gitarre, die als sekundenschnell tappende Spitzen in alle Richtungen ausschlagen. Ein bedächtigerer Tempowechsel lässt zudem eine melancholische Sehnsucht keimen, die im Kontrast zur rabiaten Härte steht und das Finale episch auslegt. Das Titelstück nimmt sich lange Zeit, baut auf Atmosphäre und in gewisser Weise sogar Harmonie, gehört durch seine bildgewaltige, imaginative Tiefenwirkung in der apokalyptischen Hymnik zum besten, was die Band je gemacht hat. There Is No Horizon trägt eine so unbedingte Verzweiflung in sich und Inversion scheint in subtilen Texturen eine psychedelische Ader zu besitzen, der doomige Ambient von Visceral Ends entfaltet sich dagegen mit postmetallisch-dramatischem Subtext in heroischer Dringlichkeit. Mit welcher Urgewalt die Performance von Drawn Into the Next Void hier alles um sich wie ein schwarzes Loch verschluckt heißt nicht, dass diese Brutalität eine rein ästhetische Entscheidung ist, zumal Ulcerate die Intensität immer wieder mit betont friedlich durchatmenden Passagen kontrastieren.
Dissolved Orders nimmt sich vor diesem Hintergrund besonders lange Zeit, um in einem ätherischen Synth-Meer zu baden,  eine verhältnismäßig elegische, schwelgende Perspektive anzubieten – auch wenn sich die Band phasenweise gar punk-geschweißtes Kerosin spritzt, bietet Stare Into Death and Be Still ein geradezu versöhnliches Finale.

Auch, weil das Trio eine ihrer Stärken hier stellvertretend für das gesamte Album destillierend exerzieren: Im Grunde ist jede Momentaufnahme dieser sich ständig weiterentwickelten Band ein Übergangswerk – fühlt sich auf seine Weise jedoch stets wie ein neuer Zenit für Ulcerate selbst, ins eine kohärente Sternstunde für den progressiven Tech-Death an sich an.
Sicherlich bedienen Ulcerate damit emotional weiterhin nur ein überschaubares Spektrum, intensivieren dieses aber mit kontrastreicheren Facetten als bisher und beweisen sich damit als Band, die ihren Sound längst gefunden hat und dennoch auf jeder Platte anders klingt. Es fehlt Stare Into Death and Be Still  in diesem Evolutionsstand vielleicht das letzte magische Quäntchen, das ikonische Momentum, um aus einer Platte mit Referenzgröße einen waschechten Klassiker zu machen. Dennoch stehen die vielleicht um ein paar Minuten zu nahe am typischen Stundenwert der Spielzeit angelehnten 56 Minuten aber nicht nur praktisch mühelos über dem Rest der Szene – Ulcerate haben im internen Ranking ein Album für das Treppchen geschrieben. Wie weit oben dieses letztendlich stehen wird, kann wie bei jedem Werk der Kiwis nur ein wenig Abstand und Zeit zeigen.

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