King Krule – Six Feet Beneath The Moon

von am 7. August 2013 in Album, Heavy Rotation

King Krule – Six Feet Beneath The Moon

Seit Archie Samuel Marshall vor zwei Jahren rechtzeitig zu den London-Riots erstmals als King Krule für Furore in der breiteren Öffentlichkeit sorgte und gleich zum Sprachrohr seiner Generation hochgejubelt wurde ist viel passiert. Rechtzeitig zu seinem 19. Geburtstag markiert das musikalische Wunderkind der britischen Inseln seinen kreativen Prozess dann auch endlich und eklatant mit seinem heiß erwarteten Debütalbum. Um es vorwegzunehmen: darauf wird Marshall den überschwänglichen Vorschusslorbeeren nahezu spielend gerecht.

Eine der Trumpfkarten der aufgefahrenen, so eigenwillig tönenden vierzehn, durch die Bank starken Songs: zu keiner Sekunde hört man ‚Six Feet Beneath The Moon‚ den Druck der immensen Erwartungshaltungen an, der auf dem Albumeinstand dank BBC-Sound of…, großartiger Vorab-Non-Album-Singles und prominent kundgetaner Zuneigung zwangsläufig lasten musste. Kein Zufall natürlich.
Nachdem Archiy’s populärstes Alias nach 2011 phasenweise komplett von der Bildfläche verschwand, veröffentlichte der Londoner auf unzähligen Nebenbaustellen (Lankslacks & Ragofoot, DJ JD Sports, Zoo Kid, Edgar The Beatmaker, etc.) dafür regelrecht im Akkord –  und ließ Gut Ding für sein erstes Album einfach Weile haben: „Easy, Easy“ rät Archie – nur um im Nachhinein mit dem gleichnamigen Opener gleich zu bestätigen, dass er ohne Hektik alles richtig gemacht hat.

Eben ‚Easy Easy‚ vereint nur mit energisch nach vorne strampelnder Gitarre bewaffnet bereits zahlreiche Trademarks: vorsichtige geloopte Soundschichten hinter einem Song, der sich nicht zwischen Songwriter-Stück und Ska-Guerilla-Gig entscheiden muss.
Später wird King Krule zwischen Poprefrain und oszillierenden Raggae-Anleien pendeln (‚Border Line‚); nach dem ambient aufgefächerten Treiben in ‚Has This Hit?‚ hinten raus zeigen, dass er The Smiths-Fan ist; melancholisch treibende und sehnsüchtig tänzelnde Mitternachts-Miniaturen entwerfen (‚Baby Blue‚) oder in ‚A Lizard State‚ einen schier unwerfend elegant swingenden Groove mit smarten Bläsern ins Feld hibbeln lassen, bevor er mit ‚Cementality‚, dieser gemächlich tröpfelnden E-Piano-Elegie rauchverhangen seine allgegenwärtig über allem liegende Soul- und Jazz-Vorliebe auf die Spitze treibt.

Marshall selbst sperrt sich gegen Kategorisierungen, wirft mit seinem Darkwave- und Blues-Interesse um sich und ist letztendlich doch vor allem der elektronische Musiker, als den er sich selbst sieht: in dem verhalten funkelnden, frühmorgendlichen Ausklang auf dem Heimweg vom Club (‚Foreign 2‚), der sich derart auch ganz wunderbar auf der letzten, von King Krule geadelten Mount Kimbie-Platte ‚Cold Spring Fault Less Youth‚ gemacht hätte. Im Post-Dubstep, der mal zwei Meter tief unter dem Meeresspiegel treibt (‚Ceiling‚), mal mit Samples sein gebrochenes Herz leimt (‚Will I Come‚), grundsätzlich überall auf ‚Six Feet Beneath The Moon‚ seine Finger im Spiel hat.
Als roter Faden dient dabei diese unverwechselbare, tiefe Bariton-Stimme, in die Marshall auch mit noch soviel Delay-Liebe am Regler nicht so bald hineinwaachsen wird. Ob das nun schlicht Nicht-Gesang oder schrullig ausgespuckt gesprochener Rap ist, der unter Valiumgebrauch über die Tracks hinwegschwappt, seine Vokale in die Länge lallt und grölt und permanent kleine Melodiehooks anschrammt – egal.

Six Feet Beneath The Moon‚ wirkt dabei stets grandios locker und absolut ungezwungen aus den zarten Ärmeln geschüttelt, vereint im Vorbeigehen lässig fallen gelassene kleine Geniestreiche,  im Detail wohlüberlegt: das klingt entschlackt und reduziert auf das Essentielle, dabei gleichzeitig reichhaltig im Sound; ein bisschen verschlafen sowieso und doch auf den Punkt gebracht; unterkühlt vorgetragen und aufgeladen in den Intentionen; so rastlos wie gefestigt; großmäulig – aber mit der nötigen Aussagekraft dahinter. Der Teenager erzählt im breitesten Slang aufbrausend bis radikal von allem was zwischen der Liebe und abgrundtiefer Frustration („Hate runs through my blood/ What matter are words in love„) Wut gedeien lässt, den Finger stets in die Wunde am Zeitgeist steckend und mit beiden Beinen die Seele der britischen Gegenwart tretend.
Wahrscheinlich ist ein derartig variables Gebräu nur natürlich, wenn eine Platte auf den ersten Kontakt wie das spontane Tingeln zwischen all den vorhandenen Ambitionen klingt – mit jedem weiteren Durchgang aber weiter offenbart, dass hier wenige Monate alte Kompositionen gleichberechtigt und nahtlos an solche gereiht sind, die Marshall bereits 2011 eine breite Aufmerksamkeit sicherten (das wunderbar ziellos plänkelnde ‚Out Getting Ribs‚) oder die von dem East Dulwicher ursprünglich gar im zarten Alter von 13 Jahren geschrieben wurden (der entschleunigte Gitarrenfunk von ‚Ocean Bed‚).

King Krule-Songs haben ungeachtet ihres Entstehungsdatums stets eine untrügbare, im tiefsten UK verankerte Zuneigung für romantisch in die Welt fließende, verträumte bis aggressive Melodien, die von Mike Skinner, Jamie T, Pete Doherty, Dizzee Rascal oder Edwyn Collins und Django Reinhardt gleichermaßen sozialisiert eine klare Vision vor Augen haben, aber eine noch größere Vorliebe dafür, die Dinge gewollt schleifen zu lassen und Strukturen in alle Richtungen durchzulüften, niemals vollständig greifbar zu werden.
Spätestens wenn King Krule mit der wunderschön James Blake-Verneigung ‚Neptune Estate‚ den idealen Schlusspunkt für ‚Six Feet Beneath The Moon‚ eventuell genau dann verpasst, wenn das geloopte Piano und der relaxt arbeitende Beat von seinem großen Saxofon-Finale übertaucht werden, meint man einen kurzen Blick in die gemeinsame Zukunft von Jazz, Electronica, Blues und Indie erhascht zu haben. Dabei macht ‚Six Feet Beneath The Moon‚ in seiner Gesamtheit – und auch der einen oder anderen Länge – doch eigentlich unmissverständlich klar, was vor allem auf lange Sicht die wahrscheinlich größte Trumpfkarte dieser Platte ist: King Krule werkelt absolut außerhalb festgefahrener Genres, und all die Referenzen, sie müssen an den Haaren herbeigezogen werden. Archy Marshall hat sich in den letzten Jahren seinen eigenen musikalischen Kosmos geschaffen, in dem ‚Six Feet Beneath The Moon‚ mutmaßlich als nonchalante Pflicht vor der Kür steht. Den grasierenden Hype stemmt er damit schon einmal locker.

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