Crippled Black Phoenix – Ellengæst

Nach der Tour zu Great Escape war Daniel Änghede plötzlich weg, einmal mehr fanden sich Crippled Black Phoenix ohne Sänger wider. Ein Umstand, mit dessen Umgang Justin Greaves mittlerweile Routine hat – und für Ellengæst deswegen aus der Not kurzerhand eine Tugend macht.
Der Posten am Mikrofon kam seit dem Ausstieg von Joe Volk ja immer schon einem undankbaren Schleudersitz gleich, nun findet Justin Greaves ausgerechnet in der Übersteigerung dieser Achillesferse jedoch einen neuen Katalysator, indem er statt eines fixen Neuzugangs kurzerhand (Tour-)Kumpels von unter anderem Anathema, Gaahls Wyrd und Tribulation eingeladen hat, seine Band quasi zur offenen Projektionsfläche macht – auch wenn die durch diesen Kniff herbeigeführten Variabilitäten das stilistisch verinnerlichte Spektrum der patentierten Crippled Black Phoenix-Endzeit-Balladen kaum grundlegend verschiebt.
Das Konzept, die Drehtüre ohne Drama einfach am Laufen zu halten, funktioniert jedoch auch ohne die Basis bewegende Paradigmenwechsel absolut überzeugend und zukunftsweisend. Weniger, weil Belinda Kordic (subjektiv nicht nur zum Vorteil des Kollektivs gereichend) mittlerweile längst zu einer Konstante im Bandgefüge aufgestiegen ist und ihr Gesang weite Strecken der Platte prägt. Sondern, weil der Trademark-Sound der britischen Prog-Melancholiker durch die abwechselnden stimmlichen Facetten den Autopilot zur Nebensache macht, den formelhaften MO einer latenten Frischzellenkur unterzieht, und dem bekannten Amalgam im Verlauf so neue Impulse ohne radikale Umbrüche verabreicht.
Bei der zudem immer noch mühelos erzeugten Tiefenwirkung der Atmosphäre muss man sich mit den Inhalten der Band deswegen auch nicht (mehr) explizit identifizieren können, die Texte durchaus als generische Plattitüdensammlung, die zum ästhetischen Konzept gehören, akzeptieren, und mit einer latenten emotionalen Distanz und in eine Platte eintauchen, die (trotz einer qualitativen Schwankungsbreite) mit fünf Eigenkompositionen und einem Interlude neben zwei Coversongs kein unausgegorener Clusterfuck geworden ist – obwohl die beiden Fremdkompositionen wahrlich nicht notwendig gewesen wären.
Everything I Say startet etwa aus der schwierigen Position, im Grunde von jeher maßgeschneidert für Crippled Black Phoenix-Bedürfnisse zu sein, gegen das überragende Vic Chesnutt-Original an sich aber nur verlieren zu können – und sich dann auch tatsächlich mit klimperndem Goth-Piano so uninspiriert und risikofrei wie möglich an der ursprünglichen Version entlangzuhandeln. She’s in Parties macht seine Sache dagegen besser, behält sich einen postpunkigen Vibe aus dem Bauhaus-Vermächtnis, ist knackig und beschwingt mit seinem Ska-Zwischenspiel aber eher eine lockere Fingerübung, zudem in dieser Ausgangslage gerade als Closer absolut deplatziert.
Was auch daran liegt, dass Ellengæst davor mit Tribulation-Frontmann Jonathan Hultén den unscheinbar beginnenden, aber mit jeder Phase seiner zwölfminütigen Spielzeit majestätischer wachsenden Monolithen The Invisible Past geboren hat, der sich in seiner weichen Grandezza zum stärksten Crippled Black Phoenix-Song seit I, Vigilante auswächst. (Generell ist Ellengæst übrigens das wohl stärkste Album der Band seit 2010, noch vor dem hier zu wohlwollend zwischen den Punkten liegend aufgewertete Bronze von 2016 – die markantesten Einzelsongs vermitteln jedoch gerade in Summe den Eindruck schneller erforscht und abgeschöpft zu sein, nicht so viel zu entdecken zu bieten, weswegen der Sprung über den „nur“ sehr guten Notenschlüssel diesmal weniger euphorisch als noch vor vier Jahren nicht ganz gelingt).
Auch davor liefern Greaves und Co. jedoch ansatzlos ab, wo sonst nur das generische Interlude (-) redundant bleibt, letztendlich als Stimmungs-Segment aber ohnedies nicht weiter ins Gewicht fällt.
House of Fools lässt eine todesverliebte Trompete in die Kakophonie-Karambolage krachen, ist um dieses Motiv mit Vincent Cavanagh erst ein gelungener Standard, der mit seinem sehnsüchtig flehenden Weg in den Refrain besticht, um über einen gedankenverloren Piano-Mittelteil fein durchzuatmen, seine jazzige Bläseridee dann mit postrockiger Strenge in stellar beschwörender Opulenz in einem fabelhaften Klimax zu beschwören. Lost ist massiv und heavy über wuchtige Drums nach vorne polternd mit einem einfach gestrickten, aber am Hit packenden Refrain ausgestattet – Cry of Love mit Suzie Stapleton und Ryan Patterson wird sich sogar noch wohler im Stadion fühlen.
Der bedächtige Sprechgesang von Ghaal sorgt in In the Night dagegen für eine Leonard Cohen‘sche Lagerfeuer-Stimmung, die sich zum Outlaw-Breitband-Epos entwickelt und plakativ „live to fight another day“ als banales Mantra auslegt, wohl für die Mentalität von Crippled Black Phoenix im Ganzen. Dabei übersieht Graves mit dem Momentum auf seiner Seite jedoch womöglich, dass hiermit zumindest der gordische Knoten gelöst sein sollte, wenn es um etwaiger Personalsorgen am Mikrofon geht.
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