Depeche Mode, Hælos [21.07.2023: Wörthersee Stadion, Klagenfurt]

von am 23. Juli 2023 in Featured, Reviews

Depeche Mode, Hælos [21.07.2023: Wörthersee Stadion, Klagenfurt]

Ambivalente Vorzeichen: Drohen Depeche Mode trotz ihres besten Studioalbums seit rund 18 Jahren als vielversprechenden Rückenwind auf der Memento Mori-Tour im Klagenfurter Wörthersee Stadion abzusaufen?

Das Wetter gebärdet sich im Vorfeld nämlich absolut kapriziös: Während das Robbie Williams’-Gastspiel in der Burg Hochosterwitz am Sonntag bereits abgesagt wurde, muß man angesichts der Prognose für den Freitagabend nach einem verregneten Tag in Klagenfurt bangen, ob die angekündigten heftiger Gewitter nun stattfinden werden, oder nicht.
Nachdem man sich noch ärgert, dass die Situation mit den Park & Ride-Plätzen und Shuttle-Bussen und die Organisation vor dem Wörthersee Stadion (in dessen näheren wie weiteren Umkreis jedwede Übernachtungsmöglich seit Monaten ausgelastet sind) ziemlich semi-geil gelöst ist, weswegen man von der Vorband Hælos (subjektiv ohnedies die am wenigsten spannende Support-Option neben Alternativen wie Cold Cave, Young Fathers, Hope und Jenny Beth, die für Depeche Mode auf anderen Stationen dieser Tour das Warm-Up übernehmen) gerade noch drei Songs mitbekommt – und damit, wie sich ihr clubtauglich tänzelnder Trip Hop in ätherischer Trance auf der großen Bühne nett, aber ofenbar auch sehr eindruckslos verliert – ist das wichtigste insofern: Das Wetter klärt auf, es wird ein trockener Abend bleiben – und ein ziemlicher Triumphzug für Depeche Mode, die jedwede Nostalgie-Gemütlichkeit oder Renten-Unkenrufen außen vor lassen und sich auf ihrer Memento Mori-Reise mit revitalisierter Frische in absoluter Hochform präsentieren.

Haelos 1

Zur Einstimmung pumpt der harte Techno aus der Anlage zumindest weitaus effektiver und zielführender als die Träumerei von Hælos, wird der übersteuerte Bass und eine fast absurd krachende Kickdrum doch das gesamte Set über die Ästhetik von Depeche Mode bestimmen. Das Subwoofer-Wummern in My Cosmos is Mine ist tatsächlich derart satt und massiv, dass es einem förmlich die Magengrube aushebelt und Dave Gahans Vocals praktisch verschluckt wird. Der Opener von Memento Mori planiert live insofern als ein noch imposanteres Stück, als auf Platte – vielleicht in der Unausgewogenheit des Mix allerdings nicht wirklich so gewollt?
Als Setlist-Opener wird der auslaugende Kraftakt jedenfalls eher verhalten von den rund 25.000 Besuchern aufgenommen. Und dass der Übergang zum folgenden  Wagging Tongue zudem nicht nahtlos passiert, nimmt zusätzlich Luft aus dem Momentum. Dennoch beginnt das Eis bald zu schmelzen, die Distanz nimmt ab. Gahan stolziert wie der wunderbarste Vampir-Pfau der Welt, wackelt mit dem Po, greift sich ostentativ in den Schritt und präsentiert wenig später in charismatischer Eitelkeit sein Schuhwerk: das flotte Walking in My Shoes und It’s No Good holen natürlich ab.

Depeche Mode 2
Nur damit das wundervolle Sister of Night vielleicht ein bisschen deplatziert in der Setlist wieder auf die Bremse steigt. Gahan dreht Pirouetten, der Funke will jedoch nicht wirklich überspringen, auf ein Publikum, das über weite Strecken ohnedies im überschaubaren Maße ausgelassen agiert: die Stimmung schwankt selbstredend je nach Aufenthaltsort von angesoffenen „Dave, du geile Sau!“-Rufen zu allgemeiner Textsicherheit und erfüllten Fan-Glückseligkeit. In Summe ist aber die kompletten zwei Stunden Spielzeit, die sich weitaus kompakter gehalten anfühlen, eine über jeder Reserviertheit stehende Freude in der Menge zu spüren.

Depeche Mode 3

So oder so ist die Show danach aber ohnedies auf Betriebstemperatur angekommen und wird mit jeder Minute besser. Die tolle Zephyr-Variante von In Your Room stellt die Gitarre im Mix an hörbare Stelle einer schön wuchtig inszenierten Entspannung, bevor Everything Counts als Endorphinschub über den Steg zum ewigen Underdog-Hit Precious stampft: Gahan liegt hier ausnahmsweise stimmlich zu flach etwas neben sich, und auch das Publikum intoniert nicht derart teilnahmsvoll, wie es die Nummer verdient hätte – dennoch bestätigt das Schmuckstück zumindest seine Rolle als persönlicher Liebling.

Depeche Mode 4

Danach kommt über die herrlich drönend-erdrückende Ambient-Kontemplation Speak to Me (die nun den verdienten Raum einnimmt) der große Auftritt von Martin L. Gore im Rampenlicht: A Question of Love ist immer noch der ultimative Trademark-Song des 61 jährigen, und er gerät auch an diesem Abend zum Niederknien hingebungsvoll eindringlich, doch gefällt das folgende Soul to Me durch den Überraschungseffekt sogar noch mehr: als Klavierballade überragt das neue Stück seine Studio-Version um Welten und fühlt sich wie ein potentieller neuer Semi-Klassiker an.

Depeche Mode 5

Depeche Mode 5

Ghosts Again hat sich derweil wohl zu Recht einen Instant-Platz in kommenden Setlisten gesichert und die Hymne I Feel You driftet ansatzweise in den Jam ab. A Pain That I’m Used To klatscht sich zum Club-Drive der Jacques Lu Cont-Interpretation als fantastische Party, wonach World in My Eyes den Tribut an Andy Fletcher demonstriert, ohne in seiner (in jeder Hinsicht) bewegenden Ader sentimental oder kitschig zu werden.
Wrong (immerhin einer der erwiesenermaßen nervigsten Depeche Mode-Songs ever) pumpt repräsentativ für den Sound, tendiert dazu in der Auslegung zum Vorschlaghammer (hat Chris Eigner, der immer wieder durch ein paar Extra-Trommeleien ins Rampenlicht treten darf, ganz grundlegend immer schon derart offensiv die Uff-Zack-Keule für nahezu alle Songs benutzt?!), da kann die Bridge noch so kontemplativ durchatmen.

Depeche Mode 8

Der Kontext trägt diesen subjektiven Ausfall aber zum einen; zum anderen spielt das Finale des Events alle Gustostückerln. Stripped baut sich langsam auf und walzt herrlich dahin, John the Revelator rockt mit mehr Geschwindigkeit und das unsterbliche Enjoy The Silence darf funky ausfransen und abrupt enden: Mehr Crowd-Pleaser geht eigentlich nur in der Zugaben-Stafette, die zum Schaulaufen feuerwerkt.

Im meditativen, von Peter und Christian an den Keyboards sphärisch untermalten Waiting for the Night sorgen Dave (in Velociraptoren-Haltung) und Soulman Martin am Steg erst für eine mit tiefgründiger Schönheit erhebende Gänsehaut, bevor Just Can’t Get Enough und mehr noch Never Let Me Down Again vor dem angebluest bratzenden Personal Jesus reines Animations-Kerosin bleiben. Die den ganzen Abend gelungene Lichtshow und der überdurchschnittlich solide Sound tragen ihre Teile dazu bei.

Dass Depeche Mode auf ihren Touren im Zweifelsfall lieber auf Altbewährtes, denn auf Aktuelles setzen, bleibt locker hinnehmbarer Fluch und vorteilhaft Segen mit Zufriedenheits-Garantie – denn es bleiben so eben in der Euphorie des Evergreen-Hagels einige Fragen offen: würde My Favourite Stranger live die auf Platte nur angedeutete Hemmschwelle zum Noise konsequenter überschreiten können? Haben It’s Always You oder Don’t Say You Love Me jenseits der Studio-Gleichförmigkeit mit mehr Kante und Energie das Zeug zu Fan-Favoriten? Darüber kann man nur mutmaßen.

Danach gehen die Lichter im Wörthersee Stadion länger nicht an, die vorderen Tore der Arena bleiben geschlossen und vor der Location drängen sich tausende Menschen mangels besserer Beschilderung (oder Organisation?) durch ein knapp eineinhalb Meter breites Tor – und dennoch reklamiert die Show in Klagenfurt einen unmittelbaren Platz im Fan-Herzen, beantwortet die ohnedies niemals gestellte Frage nach der Relevanz von Depeche Mode (die 2023 eine mitreißende Effektivität zeigen, als müssten sie noch irgendjemandem etwas beweisen; sich innig umarmend einen Spaß an der Sache zeigen, der ansteckend ist und inspiriert wirkt) eindrucksvoller, als es das tolle Comeback Memento Mori bereits ohnedies getan hat.

Setlist:
My Cosmos Is Mine
Wagging Tongue
Walking in My Shoes
It’s No Good
Sister of Night
In Your Room
Everything Counts
Precious
Speak to Me
A Question of Lust
Soul With Me
Ghosts Again
I Feel You
A Pain That I’m Used To
World in My Eyes
Wrong
Stripped
John the Revelator
Enjoy the Silence

Encore:
Waiting for the Night
Just Can’t Get Enough
Never Let Me Down Again
Personal Jesus

 

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