Engine Kid – Bandcamp Reissues

von am 9. August 2020 in Reissue

Engine Kid – Bandcamp Reissues

Trotz zahlreicher weiterer Projekte steht Greg Anderson Synonym wie wenige andere für den Drone – Mitte der 90er hatte er beispielsweise mit Engine Kid seine eigene, bisher leicht zu übersehende Post Hardcore-Spielwiese mit eigenem Slint-Schrein.

Zwischen 1991 und 1997 hat die Band aus Seattle in wechselnder Trio-Besetzung zwei Alben und eine Handvoll EPs, Splits und Singles veröffentlicht. Dass Southern Lord beginnt, dieses Vermächtnis nun zumindest digital im revitalisierten Soundgewand aufzuarbeiten, hat dann auch einen tragischen Hintergrund: „Original Engine Kid drummer Chris Vandebrooke was murdered at a homeless encampment near Griffith Park in December of 2016. In his memory proceeds from sales of this album will be donated to the Midnight Mission a comprehensive homeless shelter and homeless services provider serving the Los Angeles homeless community.
Dass die Werke zudem mit „Name Your Prize“-Einstellung vertrieben werden, addiert zu dem historischen sowie karitativen auch einen großzügigen Aspekt – und lässt eigentlich keinen Grund mehr offen, weswegen man mit der Diskografie von Engine Kid nicht vertraut sein sollte.

Bear Catching Fish

Aufgenommen mit Steve Albini wirkt gleich das von Chris Vandebrooke (Drums), Greg Anderson (Gitarre, Vocals) und Brian Kraft (Bass ,Vocals) eingespielte Debüt wie ein Kind seiner Zeit, das allerdings auch heute noch mit einer erstaunlichen Wucht auftritt. Stilistisch zeigen Engine Kid allerdings noch, obgleich der zu jedem Zeitpunkt ihrer Existenz über der Band hängenden (und absolut bewussten) Slint-Prägung, ihre Wurzeln noch deutlicher über den Post Hardcore und Noiserock hinausgehend auch im Emocore liegend.

Gleich der Titelsong prägt nämlichen jenen MO der Band, der im permanenten Wechselspiel aus massigen Wall of Sound-Attacken und intimer zurückgezogenen Momenten der Einkehr steht. Doch im an sich schroffen und destruktiven Wesen sind es die ruhigen Passagen der Laut/Leise Dynamiken, die Platz für Melodien und den nasal zurückgenommenen Gesang (klingt der manchmal wie ein junger Andy Falkous?) einräumen, während die aggressiven Ausbrüche wie in Treasure Chest schon ins dissonante Kippen können – womit Bear Catching Fish in den entfernten Nuancen durchaus an Szene-Helden wie Texas is the Reason oder Sunny Day Real Estate erinnert, während der eklektische Sound trotzdem Fans von etwa Aereogramme ansprechen sollte.

Danach bricht das Album aber in seiner klaren Verortung immer wieder latent aus. 3 liebäugelt etwa verspult zum improvisierten Free Jazz schielend und eskaliert dann in beißenden Szenen a la Unsane, ausnahmsweise wird in die Mikros gebrüllt und geschrien. Rockford Files täuscht seinen kontemplativeren Stil in tiefer Verbeugung vor David Pajo als Lauerstellung an, um sich gegen den Strich zu bürsten und Bullfight reißt sein Steuer zum Punk detonierend, hat durch die funky Bass-Facetten und heiser skandierte Vocals aber sogar ein Crossover-Flair, bevor Mountain High konventioneller und griffiger gestrickt selbst dann noch ein Ohrwurm ist, wenn die Verstärker im roten Bereich glühen. Dass Winter Time den Kontrast aus Hart und Zart vom doomigen Ambiente bis zur verletzlichen Fragilität in den Amplituden vermisst, ist dann irgendwo auch evolutionäres Foreshadowing.
Mögen auch andere Bands die einzelnen Elemente hier besser beherrschen, als Engine Kid – als (freilich keineswegs visionäres) Amalgam hat das absolut was!

Engine Kid - Angel WingsAngel Wings

Der 1995 veröffentlichte Nachfolger Angel Wings will trotzdem stellenweise mehr – und wird (entgegen der weitläufigen Meinung) auch (aber nicht nur) deswegen das etwas schwächere, weil unausgegorene Gesamtwerk sein.
Dabei gehen Anderson und Kraft mit Neo-Drummer Jade Devitt sowie Engineer John Goodmanson unmittelbar in die Vollen: Holes to Fight in attackiert sofort wüster, aggressiver und bissiger, beruhigt sich erst nach und nach aus dem Today is the Day-Eifer, während Expressionists mit einer gewissen Penetranz und Theatralik (etwa: Primus in bemüht) im Skandieren auffährt.

Dass die Platte weniger überzeugt, als das Debüt, liegt aber auch daran, dass Engine Kid nicht erst im finalen Lie Like Knives die zähnefletschende Katharsis als Nabelschau praktizieren, sondern etwa ein Anchor in seiner Slint-Liebe (jaja, immer noch die erste Referenz!) trotz Dudelsack zu archetypisch in Schüben rezitiert und die beiden instrumentalen Kurzausflüge (das Math-Druckventil Nailgun sowie das komplett unnötige Ringelspiel Herbie Hancock) dem Spannungsbogen nicht guttun.
Dennoch gelingt in Summe mehr, als man Schönheitsfehler finden kann. Windshield denkt alles von Bear Catching Fish harmonischer und natürlicher weiter, stellt den Gesang gar in die Brandung; Jumper Cables hat eine stark hinausgebrüllte Hook im Lauern und Stiches wäre mit mehr Kompaktheit gar ein veritabler Hit. Mit einer etwas kürzeren Spielzeit hätte Angel Wings insofern deutlich pointierter überzeugen können.

Astronaut

Was sich auch die 1993 veröffentlichte EP Astronaut vorwerfen lassen muß. Immerhin bringt das nominelle Kurzformat bei gerade einmal vier Songs knappe 41 Minuten Spielzeit auf die Waage – doch leider entpuppt sich das Finale Neil Young-Cover The Needle (trotz der die halbe Distanz der gesamten EP beanspruchenden Länge) keineswegs als megalomanisch ausufernder Jam, sondern als viel Leerlauf in der Rille samt Noise-Ambient-Hidden-„Track“, den man so wohl in Zukunft selten noch einmal konsumieren wird. Die authentische Restauration des Ausgangsmaterials also in aller Ehren, aber…

Der Rest ist allerdings ein absolut versiertes Schaulaufen: Treasure Chest bremst sich lange ein und Furnance tastet sich mit dem Marschschlagzeug voran, doch sind beide Nummer als Trademark-Schaulaufen praktisch klassische Bänke. Das ist wie schon beim starken Titelstück, das sich lange angenehm und versöhnlich gibt, selbst dann geschmeidig auftritt, wenn der Opener atonal auf den Hinterbeinen steht, ein zutiefst typischer Beitrag zur Engine Kid-Diskografie, im positiven wie negativen: Eine gewisse Formelhaftigkeit wird von der Zuverlässigkeit der Band zwar nahezu aufgewogen, sie hätte sich allerdings mehr zurückhaltende Einkehr auch ohne den zumeist formelhaft folgenden Kontrast leisten können.

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