Envy – Atheist’s Cornea

von am 1. Juli 2015 in Album

Envy – Atheist’s Cornea

Fünf Jahre nach dem schwächelnden ‚Recitation‚ bewegen sich Envy zwar kaum einen  Millimeter aus der eigenen Komfortzone, verdichten auf ‚Atheist’s Cornea‚ aber hinter einer bisher unbekannten Kompaktheit ihren etablierten Sound auf perfektionistische, beinahe schon zu glatte Art und Weise.

Die längste Pause zwischen zwei Veröffentlichungen mündet für die Japaner im „shortest album since their early 90s thrash days„. Alleine daraus lässt sich in gewisser Weise ablesen welch sorgsam konzipiertes Destillat ‚Atheist’s Cornea‚ geworden ist, das alle Trademarks der Band aus Tokyo punktgenau fokussiert und dabei in komprimierter Weise zusammenfasst, was die vorangegangenen fünf Studiowerke definierte; eine Dokumentation und Lehrstunde, wie man Hebel an den kultivierten Stärken am effektivsten ansetzt und seine Karten souverän ausspielt. Einen idealeren, weil zugänglicheren Einstiegspunkt in die Discographie von Envy wird man nicht finden.
Einen unmittelbarer auf der falschen Fährte losbrechenden Openrer als ‚Blue Moonlight‚ ebenso wenig:  20 Sekunden gedankenvoll-stilles Träumen kippen ohne jede Vorwarnung in einen knüppeldicht massiv hetzenden Screamo-Taifun, das Szenario explodiert in majestätischer Härte, Envy bäumen sich zu einer lange nicht mehr gehörten Größe auf, jeder Höhepunkt will noch weiter verdichtet werden, die Spannungsbögen bersten förmlich vor Energie.

Ein Einstand wie aus dem selbst geschriebenen Lehrbuch, auch ein Schwung zurück zu der direkteren Gangart der Frühphase, den ‚Atheist’s Cornea‚ in weiterer Folge nahtlos übersetzt. Alleine das neuerliche Anlaufnehmen, nachdem sich das zielstrebig rockende ‚Ignorant Rain and the End of the World‚ ‚ an seinem hartnäckigen Riff abgearbeitet hat, strahlt eine unnachahmlich geballte Ladung unbändiger Schönheit aus. Für den Rest des knackigen Singlekandidaten schießen Envy variabel aus allen Rohren, bevor die Platte tatsächlich erstmals zur Ruhe kommt, zutraulicher durchatmet und gleichermaßen zur Schau gestellte Verletzlichkeit und unbeugsame Nachdrücklichkeit reklamiert.
Shining Finger‚ ist kontemplativ ausgebreiteter, hoffnungsschwanger gesprochener Postrock, wie ihn Mono bei Tetsuya Fukagawas Gastspiel auf ‚Rays of Darkness‚ nicht hinbekommen haben: zartgliedrig, detailliert, kraftvoll, intensiv und muskulös. Die Orgel perlt gedankenverloren, Envy beschwören eine cineastische  Weite, nur um diese danach in einige gezielte Schläge umzumünzen: der Abgang baut sich episch auf, Streicher marschieren in das Geschehen. So fühlt sich am Schopf gepackter Kitsch an, den ‚Ticking Time and String‚ ohne Bruchstellen übernimmt: Fukagawa singt, zärtlich regelrecht. Fast schon romantische James Horner-taugliche Melodiebögen werden von der Band mit humorloser Bedingungslosigkeit ausgespien, jeder walzende Ton lechzt nach Hymnik: Die ausgebremsten, reduzierten letzten zwei Minuten suhlen sich dann auch ganz unverhohlen in einer tröstenden Melancholie.

Danach zieht ‚Atheist’s Cornea‚ die Zügel wieder enger. ‚Footsteps in the Distance‚ verschnauft in wuchtiger Massivität, lässt den Bass grungig grummeln. Den Umgang mit einer versöhnlichen Melodiösität und Umgänglichkeit haben Envy vielleicht noch nie runder hinbekommen, bevor ‚An Insignificant Poem‚ in müheloser Maßanfertigung als Wechselspiel zwischen laut und leise schwadroniert und ‚Two Isolated Souls‚ über seinen doomigen Metalbeginn die Hardcore-Vergangenheit der Band beschwört: Envy drücken brutal nach vorne, balsamieren die aufgerissenen Wunden allerdings auch anstandslos selbst, servieren Zuckerbrot und Peitsche nahe der Makellosigkeit. Delay-Gitarren fächern sich in Explosions in the Sky-Gefilden mit viel Reverb auf, dahinter stampft der Abgrund, es brodelt, die Nummer steuert ihrer Detonation feinfühliger entgegen als erwartet. Die marschierenden Drums und märchenhaft flirrende Melodien in ‚Your Heart and My Hand‚, sie rocken dagegen schon fast mit triumphaler Geradlinigkeit über einen endlos scheinenden Horizont hinaus.

Die euphorisierende Zufriedenheit, die ‚Atheist’s Cornea‚ ohne langwierige Kennenlernphase gleich bei Erstkontakt auslöst entpuppt sich nach und nach aber auch als Angriffsfläche der Platte: die schnell vertrauten 44 Minuten wirken zu bald erkundet, nehmen beinahe zu reibungslos an der Hand mit in die eigenen Hoheitsgebiete, in die man sich freilich trotzdem nur zu gerne verliert. Wo etwas mehr Mut über die eigene Komfortzone zu blicken also durchaus gut getan und mehrere solche Überraschungsmomente wie der Beginn von ‚Blue Moonlight‚ dem Album einen weniger heimeligen Wohlfühlcharakter verliehen hätten, zündet ‚Atheist’s Cornea‚ eher als formvollendet seelenbalsamierender Spaziergang am Meer mit wechselndem Wetter, denn als unberechenbarer Abenteuerurlaub.
Es bleibt ein durchaus paradoxer Nachgeschmack im durch flächige Synthies angerundeten, dynamisch die Aufmerksamkeit festhaltenden Gesamtsoundbild: Auch dank der wohldosierten Kürze wird hier appetitanregendes Suchtpotential entfaltet, dass sich aber erst durch die Geniestreiche in Envy’s Discographie stillen lässt. Sei es, weil man in meisterhafter Form genau das kredenzt bekommt, was das Herz begehrt, oder, weil ‚Atheist’s Cornea‚ das unterhaltende Momentum deutlicher auf seiner Seite hat als alle Vorgänger aber das wirklich erschöpfende, übermannende Erlebnis der emotionalen Envy-Walze hier auch zugunsten einer relativen Konsumfertigkeit geopfert wurde. Gerade im Kontext der Bandgeschichte sorgt dies als potente Standortbestimmung durchaus für frischen Wind und wirft daneben ein Studioalbum ab , das sich ein bisschen wie eine Greatest Hits Compilation mit ausnahmslos neuen Songs anfühlt. Letztendlich ein ganz wunderbares Schaulaufen, aber kein Triumphzug.

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1 Trackback

  • Mountain - Evolve - HeavyPop.at - […] einem gleißenden Horizont ausbreitet und seine Explosion mit einer Größe hinauszögert, die auch Atheists Cornea fabelhaft gestanden hätte, wird…

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