FKA Twigs – Magdalene

Ohne Zwang offensichtliche Hits produzieren zu müssen, hebt Tahliah Debrett Barnett alias FKA Twigs ihren anachronistischen R&B und elektronischen Artpop mit dem wunderbaren Herzschmerz Magdalene auf den nächsten Level.
Warum fünf Jahre seit dem Debüt LP1 und immerhin vier seit der EP M3LL155X (2015) vergangen sind, erklärt Barnett ohne Angst Schwäche zu zeigen: „I never thought heartbreak could be so all-encompassing. I never thought that my body could stop working to the point that I couldn’t express myself physically in the ways that I have always loved and found so much solace. I have always practiced my way into being the best I could be, but I couldn’t do that this time, I was left with no option but to tear every process down. But the process of making this album has allowed me for the first time, and in the most real way, to find compassion when I have been at my most ungraceful, confused and fractured. I stopped judging myself and at that moment found hope in Magdalene. To her I am forever grateful.“
Magdalene ist also ebenso Stütze wie Katharsis und Licht am Ende des Tunnels geworden. Und ein erst unscheinbar wirken könnender Grower von einem anmutigen, artifiziellen Popalbum, das sich heimlich, still und leise als Seelenbalsam an Herzen schmiegt, ganz generell kein Geheimnis aus seinen Ambitionen und Inspirationen macht: FKA Twigs hat in der vergangenen halben Dekade offenbar verdammt viel Kate Bush und Björk gehört, und diese Referenzen mit einem für die feine Klingen bekannten Unterstützerkreis (neben Noah Goldstein unter anderem Nicolas Jaar, Koreless, Daniel Lopatin, Skrillex, Benny Blanco, Michael Uzowuru, Kenny Beats, Arca und natürlich Wunderwuzzi Jack Antonoff) zu einem ruhigen Grower von einer minimalistischen, aufgeräumten und sorgsam akzentuierten Platte produziert, die ihre emotionale Essenz fast unscheinbar über theatralische Phrasierungen, dekonstruierte Ambientflächen oder modern-klassische Versatzstücke entfaltet.
Mit dem Quasi-Titelsong Mary Magdalene hat FKA Twigs ihren Zweitwerk dabei zur Mitte hin einen überragenden Höhepunkt verpasst, der als süchtig machender Ohrwurm mit einem Chorus zum Niederknien immer majestätischer aus dem Äther fließt, eine dynamischer und reichhaltiger wachsende Umgebung bekommend und einen meditativen Flow verfällt. Diese Sogwirkung breitet sich nach und nach in die äußersten Rillen der Platte aus – und Magdalene irgendwann nur noch heimliche, nun ja, eben doch irgendwie spartanische Hits parat hält.
Das ätherischer, fast sakral-rhytmusch in Kopfstimme wiegende Mantra („If I walk out the door, it starts our last goodbye/ If you don’t pull me back, it wakes a thousand eyes“) Thousand Eyes leitet die Platte immer düsterer und dunkler werdend ein, Home With You repetierte seine Vocals ein bisschen stakkatohaft zur Melodie, knüpft assoziative Bande zu Kolleginen wie Billie Eilish oder Lorde, verzerrt sich – und öffnet sich glockenhell einem Refrain der sich irgendwann kammermusikalisch in die Höhe schraubt. Sad Day wird als locker am Hip Hop angelehntes Gerüst über seine konkreteren Beats dennoch so sanft gehaucht, dass der Pop greifbar wird, bevor sich Magdalene eben seiner Hochphase nähert.
Fallen Alien agiert dort dringlicher, nicht unbedingt aber schneller. FKA Twigs lädt einen Chor und steht für den Chorus trotzdem alleine im Rampenlicht, das von Aerial phrasierende herüberscheint. Mirrored Heart lebt derweil vom Kontrast der zarten Intimität, wenn sich eine leidenschaftlich flehende Ballade am Piano mit elektronischen Texturen beschwörend und hingebungsvoll kurz einer maschinellen Björk-Walze ausliefert.
Danach lässt Barnett Magdalene über das in sich gekehrte, still und besinnlich funkelnde Daybed langsam ausklingen, bevor Cellophane jedoch deutlich macht, dass sie in sich selbst ruhend und aus der Mitte heraus agierend eigentlich keinen Frieden findet. Sie geht aber in ihrer Melancholie so erhebend wie niederschmetternd auf, bietet eine unaufdringlich fließende Versöhnlichkeit und setzt das Finale der Platte exemplarisch in Bewegung: Magdalene findet hier vielleicht keinen tatsächliche Abschluss, aber zumindest eine gewisse Aufbruchstimmung.
Dass selbst dieser Abschied ohne jedes Bedürfnis nach effekthaschendem Spektakel inszeniert ist, kann ohne wirklich erlösenden Klimax zwar weniger euphorisch entlassen, als die Platte mit ein bisschen Abstand eigentlich tatsächlich erst nachwirkend aufkommen lässt.
Der einzige Schönheitsfehler der die knappen neun Songs jedoch wirklich gravierend beeinträchtigt, ist der einzige Gästelistenplatz: Holy Terrain ist als meditative zum Trap neigende Ballade so lange stark, bis Future seine 0815-Bars aus dem Vocoder liefert, vielleicht aber selbst bei einer besseren Performance keineswegs essentiell im Gesamtkontext wirken hätte können. Magdalene ist schließlich ein zutiefst persönlicher Evolutionsprozess, der gerne Hilfe im Hintergrund annimmt, nach außen hin aber alleine das eklektische Profil einer über ihre bisherigen Wahrnehmungsgrenzen hinausgewachsenen Künstlerin.
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