Fleet Foxes – Shore

von am 5. Oktober 2020 in Album

Fleet Foxes – Shore

Wenn Crack-Up Prog war, ist Shore wohl so etwas wie Pop. Robin Pecknold lässt seine Fleet Foxes jedenfalls demonstrativ zugänglich durchatmen, bevor er die Konturen des vierten Studioalbums der Indiefolk-Institution weitestgehend in der Transzendenz auflöst.

Statt solcher verkopfter, verschlungener Kompositionen wie am schwierigen, vielleicht zu ambitionierten Vorgänger von 2017, sucht Pecknold nun eine heimelige Zuflucht im sanften Umkehrschluss: Shore pflegt den Schönklang, ist gerade in der Eingangsphase enorm zugänglich und gar gefällig, gestaltet seine weichen Folk-Songs generell kompakter und kürzer, direkter und gewissermaßen auch einfacher – selbst wenn die Platte hinten raus nicht nur arrangementtechnisch ausgefeilter wird, ihre Eingängigkeit nicht mehr auf dem Silbertablett serviert, sondern hinterrücks wächst.
Quiet Air / Gioia transportiert da seine Melodien etwa über einen smoothen, erdigen Tom-Rhythmus, ausladenderen Texturschmuck und weitläufigere Strukturen, während das ätherische Going-to-the-Sun Road kammermusikalisch mit Bläsern und Spinnet die Atmosphäre über alles stellt, bis der portugiesische Gastgesang von Tim Bernandes (von der brasilianischen Band O Terno) für eine endgültig aus dem Alltag entrückte Stimmung sorgt. Musik als spätsommerliche Oase also. Das schwelgende Thymia streift in dieser anmutig umher, sucht aber nahe am Intermezzo keinen Klimax, denn erst Cradling Mother, Cradling Woman, mit seinen hibbelig-verträumten Sufjan Stevens-Charakter, ist der aufzeigende Höhepunkt des finalen Drittels von Shore, inklusive Pet Sounds-Sample, bevor die absolut wundervolle Klavier- und Besenschlagzeug-Nostalgie des Titelsongs in purer Reduktion dem Fleet Foxes-Schaffen ein weiteres Juwel hinzufügt.

Auf dem Weg zu diesem komplexer vorbereiteten, erlösenden Abspann kann man sich allerdings durchaus im Gewächs eines mit 55 Minuten Spielzeit (oder 15 Songs) zu lange ausgefallenen Albums verlieren, da gerade der mittlere Part der dreigeteilten Platte immer wieder in einer unausgegorenen Komfortzone mäandert, nebensächlicher über einen zerfahreneren Fluß der Dynamik begleitet, wo sich zu Beginn der Reise noch die zarten Hits die Klinke in die Hand haben.
Im Kern von Shore ist beispielsweise A Long Way Past the Past so gefühlt eine reine Fortsetzung von Can I Believe You, nur weniger fordernd oder essentiell, was eine gewisse Gleichförmigkeit im Verlauf evoziert. Die Bläser-Arrangements nehmen hier erstmals mehr Raum ein, wirken im Kontext aber noch zu erzwungen, lassen die unaufdringlich-subtile Architektur des Albums ausnahmsweise überladen wirken. Pecknold variiert daraufhin zudem kurzfristig die Gangarten, leider zu willkürlich: Das schöne For a Week or Two drosselt Tempo und Ambiente in die Intimität als mehrstimmigen Klavierballade, Maestranza geht hingegen wieder gelöster zu Werke – die Gitarren perlen entspannt, ein paar Ecke und Kanten sorgen für Charakter, doch Potential bleibt in bequemer Versöhnlichkeit brach liegend. Young Man’s Game ist danach eine beschwingte Uptempo-Single mit jungen Gästen im Hintergrund, bevor das ruhige I’m Not My Season als tröstende Miniatur wieder nackt in der Langsamkeit schwelgt. Ein Auf- und Ab- mit klarer Basis, aber zielloser Linie.

Mag Shore in Summe generell eine unbekümmerte Fingerübung nach Crack-Up sein, die Pecknold Frieden damit finden lässt, keine überwältigenden Meisterwerke liefern zu müssen, auch einmal einfach unbeschwerter loszulassen, bietet das mittlere Drittel des Albums nur einen redundant angehauchten Beitrag zu dieser Entwicklung, driftet über schwächeres Kompositionsbeiwerk und hätte insofern durchaus gestrafft werden können.
Selbst hier, in seiner (freilich absolut relativ gesehen) schwächsten Phase, agiert Shore zwar mit sich im Reinen, ist selektiv fesselnd und am Stück zumindest absolut angenehm zu hören. Es fehlt jedoch am Gewicht des individueller geformten Rahmens – also an der im weiteren Verlauf noch gezeigt werdenden konturoffenen Größe; sowie jener bestechenden Prägnanz, mit der sich das Viertwerk als erlösender Ausgleich zum bedrückenden Drama des Alltags vorstellt. Markanter aber eben auch die Magie der ersten beiden Alben, die Pecknold zumindest phasenweise durchschimmern lässt.
Wading in Waist-High Water geht etwa wundervoll behutsam von der Akustikgitarre im kammermusikalischen Ambiente auf, ein Kinderchor trägt das meiste Gewicht des federleicht gehauchten Openers und addiert damit eine gänzlich neue Nuance: Obwohl genau genommen kein Album der Fleet Foxes (auf Platte diesmal übrigens Corona-bedingt nicht in Stammformation agierend, sondern hinter Pecknold und Co-Produzentin Beatriz Artola zahlreiche Session-Musiker und einige prominente Kollegen wie Kevin Morby, Homer Steinweiss oder die Duftnoten hinterlassenden Grizzlybären Christopher Bear und Daniel Rossen als Erfüllungsgehilfen rufend) bisher mehr Solowerk ihres alleinigen Masterminds war, wird Shore im Umkehrschluss dennoch subversiv von einer über das herkömmliche Bandgefüge hinausgehende Gemeinschafts-Ästhetik getragen, uferlos und kollektiv.

Erst in Sunblind betritt Pecknold also die Bühne, nimmt aus dem jazzigen Treiben immer elaborierter mit warmer Zuneigung Anlauf in die beschwingte Unaufdringlichkeit, liefert den ersten hartnäckig hängenbleibenden Balsam mit einer Kaskade aus bescheiden bleibenden Melodien, indem er sich vor Elliott Smith, Richard Swift, John Prine und David Berman verneigt, und selbst ein gutes Stück Zeitlosigkeit beschwört. Der absolute Instant-Ohrwurm Can I Believe You lässt seine Harmonien rhythmisch interessant über den Berg schieben, bietet eine so versöhnliche wie anschmiegsame Hymnik. Featherweight ist als neuralgischer Punkt ein bedächtig durch die Vergangenheitsliebe schlurfende Folk-Juwel, nachdem der solide Morgentau von Jara mit dem Einfluss der Dirty Projectors liebäugelt, das Schlagzeug nach vorne treibt, ohne streng oder direkt zu werden.
Shore ist zwar auch entlang dieser Stafette an Wohlfühl-Wattierungen keine perfekte Platte, in seiner installierten Agenda aber doch so verdammt nahe dran, dass es beinahe als anstregendstes Element anmutet, den  globalen Release sekundengenau auf das diesjährige Äquinoktium gezirkelt zu haben. Neben einer allgegenwärtigen Mühelosigkeit eint all die versöhnlichen Momente hier aber mehr noch, dass sie die Erwartungshaltung an die Fleet Foxes ein gutes Stück freischwimmen, darüber hinausgehend zudem einen hoffnungsvollen Optimismus verbreiten, der tatsächlich „a celebration of life in the face of death“ entspricht . „Can’t divide what’s memory and what’s dream“ singt Pecknold ganz zuletzt und erteilt damit aller überanalytischen Betrachtung eine Absage, weil diese Trennung für Shore jenseits der Realität ohnedies keine Rolle spielt.

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