Foxygen – …And Star Power
24 Songs in 82 Minuten und mehr eingetauchte Proberaumjamsession als Studioalbum. Trotzdem ist schnell klar: Foxygen könnten ohne Probleme einen adäquaten Nachfolger für ‚We Are the 21st Century Ambassadors of Peace & Magic‚ vorlegen – Lust haben sie darauf mit ihrem Drittwerk aber keine, sondern taumeln lieber vogelfrei über den Seiltanz zwischen Genie und Wahnsinn.
Ihr Händchen für anachronistische Popsongs hat die Band von Jonathan Rado und Sam France jedenfalls nicht verloren. Das führt gleich die überragende erste Single ‚How Can You Really‚ mit einer Unangestrengtheit zwischen fluffigem Pianoklimpern und wattierten Bläsern vor: ein Ohrwurm und Hit. ‚Coulda Been My Love‚ schmiegt sich danach schwelgend an den romantisch-melancholische Grundtenor der Platte, ‚Cosmic Vibrations‚ döst am LoFi-Sound entlang: „I put my mind into the ocean/ I haven’t been down there for many long years„. Die Vintage-Orgel glimmert dunkel und soulig, bevor das Finale loslassend die nebulöse Handbremse löst und Dylans ‚Sad Eyed Lady of the Lowlands‚ als Blindkopie im Rückspiegel lässt. Natürlich hantieren Foxygen wie schon auf ‚We Are the 21st Century Ambassadors of Peace & Magic‚ in erster Linie mit Motiven anderer Bands, servieren ihre klar geprägten Versatzstücke nahe der Plagiatsgrenze, die sich aus dem Pop von The Velvet Underground zusammensetzt, sich der selben Psychedelik bedienen in der auch MGMT treiben; der Unberechenbarkeit von Syd Barrett frönen und die Flowerpower anvisieren wie Jacco Gardner; den Soundcollagen der Flaming Lips Tribut zollen und immer wieder auch dem Rock’n’Roll der Stones oder der 16th Floor Elevators…eh schon wissen.
Das machen sie bei den vorauseilenden Hits mit einer bestechenden Trefferquote. Nach und nach – und spätestens ab dem lose verschraubten ‚Star Power‚-Zyklus – scheinen Foxygen allerdings keine Lust mehr darauf zu haben, die Einflüsse auch adäquat zusammenzuhalten, lassen die Grenzen ausfransen und veranstalten ein wildes Brainstorming, in dem die Konzeptlosigkeit das Konzept darstellt. Mit jeder Minute verschwimmen die Konturen weiter, wird aus ‚…And Star Power‚ ein kopfloses Sammelsurium aus losen Songideen, zerfahrenen Experimenten ohne erkennbares Ziel, sommerlichen Schlafzimmerlächeln, Füßen im Sand, hippieesken Blumenwiesen in nostalgischen Sepiatönen und einer drogenverhangenen Entspanntheit, die nicht mehr zwischen Verweigerungshaltung und Langeweile unterscheiden kann.
Zu wenig Licht (‚I Don’t Have Anything/The Gate‚ ist ein schrammelnder Folk-Streifschuss; ‚Cannibal Holocaust‚ skizziert in groben Zügen eine proggig gestrickte LA-Ballade aus den 1970ern, die es so nie gab; ‚You & I‚ und ‚The Game‘ am Lagerfeuer zum Soul; ) gesellen sich im hinteren Teil so vor allem ermüdende Ausritte: ‚Mattress Warehouse‚ groovt smart zurückgelehnt, aber ohne zündenden Funken; ‚Wally’s Farm‚ könnte als retrofuturistischer Werbespot für Katzenfutter aus Japan durchgehen, der selbst John Maus‚ Nervenkostüm malträtiert; ‚Hot Summer‚ geht als Ariel Pink-B-Seite durch; ‚Cold Winter/Freedom‚ ist erst zielloser Bandsalat ohne Reiz, dann Kasettenrecorderrock aus der ersten Bandprobe – über 6 unheimlich lange Minuten gezogen; ‚Can’t Contextualize My Mind‚ wird sich auf dem Soundtrack zu Tarantinos Film über eine Horde Slacker im Irrenhaus finden….
Erst für das Finale mit ‚Everyone Needs Love‚ und ‚Hang‚, das Pink Floyd auf die Bühnen von Woodstock zieht, konzentrieren sich Foxygen wieder vage und schließen den Kreis zum fomidablen ersten Viertel der Platte. Dass außer der Band dabei längst keiner mehr ausnahmslos Spaß am auslaugenden Chaos und der chronischen Unordnung hat, scheint niemanden weiter zu stören. Die ziehen ihr Ding einfach durch.
Der faszinierendste Aspekt von ‚…And Star Power‚ steckt letztendlich aber gerade auf Metaebene in seiner ambivalenten, polarisierenden und paradoxen Erscheinungsform, überhaupt seiner Existenz: nicht alleine, weil es von Charakter zeugt, eine derart unverdaulich streunende Platte überhaupt auf den Markt zu bringen, sondern weil sie in Verbindung mit dem immer wieder aufblitzenden wohlfeinen Songwritinggfühl der beiden 24 jährigen Masterminds permanent zu verstehen gibt: diese Platte klingt nicht nach Dauerunfall, weil man es nicht besser kann – sondern weil Foxygen zwar abermals spielend an der Retrospeerspitze mitmischen könnten, aber absolut keine Lust darauf haben und ihrer Kreativität stattdessen bis zur Selbstdemontage freien Auslauf gönnen. Dass die Kalifornier diese forcierten Uneinigkeit durchaus bewusst in Kauf nehmen, unterstreicht spätestens ein Blick auf die Unterteilung in 5 sinnstiftende Kapitel: irgendwo hat der Wahnsinn also doch System. Freilich: was nutzt das nach 80 Minuten, die einen Gutteil an spannungsfreiem Leerlauf Platz bieten? Zu einem gelungenen Album führt dies jedenfalls nicht. Aber wenn es in ‚Flowers‚ ganz nonchalant „Don’t Write Me Off“ heißt, scheint es gar nicht so abwegig: nur weil ‚…And Star Power‚ heute abseits seiner besten Momente nicht bei der Stange halten kann, will man dennoch gar nicht ausschließen, die Platte übermorgen vielleicht schon als visionär zu erkennen.
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