Impure Wilhelmina – Antidote

von am 30. Mai 2021 in Album

Impure Wilhelmina – Antidote

Impure Wilhelmina sind der Größe ihres bisher stärksten Albums zwar nicht in jedem Aspekt gewachsen, zementieren aber die Erkenntnis, dass sie spätestens jetzt, mit Antidote, die besseren Katatonia sind.

Gewissermaßen auf die Stärken des auch international refüsieren könnenden Vorgängers Radiation aufbauend, verpassen die Schweizer um Bandkonstante Michael Schindl ihrem stilistischen Gravitationsfeld – das seinen Schwerpunkt in etwa bei einem alternativerockigen Metal hat, der seine Lehren aus 80er-Gesten wie der New Romantic gezogen hat – eine Optimierungskur: Gleichzeitig klingen Impure Wilhelmina zugänglicher und noch höher hinausstrebend als bisher schon. Ein bisschen so, als hätten Katatonia im vergangenen Jahrzehnt unter anderem frühe A Perfect Circle, die Dredg-Nachfolger Black Map oder auch Cult of Luna und Karnivool in ihren Sound eingespeist.
Dass hier, in den Verfeinerungen, auch die Ambivalenz des Evolutionsschubes im Detail wie auch die Achillesferse von Antidote liegt, lässt sich anhand einiger der so entstehenden Momente aufzeigen, in denen das Quartett über sich hinauszuwachsen andeutet.

Midlife Hollow taucht am Hardrock an und serviert dann eine melancholisch-sehnsüchtige Hook zum Niederknien, absolut catchy, süchtig machend und zeitlos – doch kann Schindl die Tragweite der Melodie nicht gänzlich stemmen. Seine croonende Intonation (die übrigens trotz all der umhergeisternden Morrissey– und The Smiths-Vergleiche richtiger eher bei einem weniger intensiven Geoff Rickly und Thursday zu verorten ist) reizt die Amplituden nicht aus, ist ein bisschen hüftsteif und lethargisch, während der Song an sich alle Stücke spielt – mit der Double Bass blastend unter die Goth-Stimmung ballert, sich Raum und Zeit nimmt, um die vermeintlich Bridge atonal auszuschmücken und sie dann kurzerhand zum flanierenden Finale umzubauen.
In Jasmines rückt das selbe Problem mit den Vocals in den Fokus, wenn der Gesang über der traurigen Klaviernummer um wenige Millimeter neben der Spur zu wackeln scheint – zu wenig beweglich, um das emotionale Spektrum mit einer wirklich hingebungsvollen Leidenschaft zu vermessen. Der Vortrag ist keineswegs schlecht – nur eben nicht so eine brennende Katharsis im Pathos erzeugend, wie es die Komposition hergeben würde; ein bisschen Pastiche, wo die Gefühlsgewalt verschlingen müsste.
Was so übrigens einerseits irgendwann sekundär wird, weil man sich im Allgemeinen an diese stimmliche Prägung gewöhnt und sich mit ihr dann doch eigenwillig arrangiert; andererseits schlägt sie im Speziellen ohnedies weitaus weniger gravierend zu Buche, wenn die verletzliche, fragile Einkehr theatralisch aufplatzt, einen herrlich kernigen Zugang zum Kitsch ohne jegliche Opulenz findet, die Band genüsslich im Herzstück der Platte badet.

Soll heißen: Antidote hat so viele Szenen, die mit einer impulsiveren, weniger eine postpunkige Haltung einnehmenden gesanglichen Leistung vielleicht sogar ikonisch hätten sein können – so aber immer noch herausragend beeindrucken. Zumal sich hier mit Ausnahme von Torrent (einem Füller, der die Zügel zu locker lässt, wenig zwingend der Nonchalance frönt, im Kontext einer homogenen Platte aber okay geht) nur hochklassige Stücke die Klinke in die Hand geben.
In Solitude bereitet ein Riff die Hymnik mit dem Spagat zwischen Doom-Grandezza und Alt-Rock knackig vor, gönnt sich eine weitschweifende rein instrumentale Einleitung, bevor progressive Strukturen das Post Hardcore-Feeling verlängern. Gravel lässt seine Atmosphäre sinister lauern, arbeitet vertrackter, beschwört jedoch einen Refrain voll Melodramatik, Eleganz und Anmut, gönnt sich ein Solo und Stadion-Ambitionen, schraffiert beides aber hinten raus mit beißendem Gebrüll. In Dismantling gehören latent banale Texte zu einem soliden Ohrwurm-Refrain, doch wird die Nummern eigentlich erst interessant, wenn Impure Wilhelmina das Geschehen mit sauberer Black Metal-Geschwindigkeit und einen brüllenden Post Metal-Stiernacken würzen.
Auch Vicious (als straighte, flotte Nummer die ideale Single) ist lyrisch durchwachsen – aber was schicken die da nur für einen flehenden Refrain in den Himmel? In Unpredicted Sky konterkariert der wütende Post Metal den verträumten Klargesang, nimmt sich dann komplett zurück, driftet in den Ambient und wandert in angemessen assimilierter Distanz gar zu Gepflogenheiten des 90er Emo. Die folkloristische Gitarreminiatur des Titelsongs ist als nachdenkliches Instrumental-Interlude warm und intim, ein Luftholen vor dem finalen Everything is Vain, in denen sich die Katatonie traurig in die Gefilde von Paradise Lost begibt, schwere purpurrote Vorhänge in der Kathedrale hängen, getragen von subversiven Backingstimmen. Dann schließt sich nach kurzweiligen 53 Minuten ein konsequenter und kohärenter, aber niemals gleichförmiger oder zu glatter Kreis, der Impure Wilhelmina einen Schritt vor ihrem Meisterstück zeigen könnte.

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