Low – The Invisible Way
Die Vorreiter des Phantasiegenres Slowcore werden zwanzig. Mimi Parker, Alan Sparhawk und der immer schon etwas im leisen Schatten seiner Kollegen stehende Bassist Steven Garrington bleiben mit ihrem zehnten Album The Invisible Way auf ihren sanft ausgetretenen Pfaden, würfeln Low’s altbekannte Schemata aber doch im kleinen so gekonnt durcheinander, dass kaum Langeweile aufkommt.
Hoch sollen sie leben. Anlässlich des Jubiläums und der runden Albumveröffentlichung der umtriebigen Band aus Minnesota darf man gerne mal wieder die zum Zehnten veröffentlichte, üppige Raritätencompilation A Lifetime of Temporary Relief rauskramen und feststellen: so slow und silent wie der aufgedrückte Stempel Slowcore vermuten lässt waren die natürlich nie. Von einem gesunden Verständnis für Dissonanz, einlullender Hymnik über offensivem Songaufbau und der subtilen Prise Humor war neben gelungenen Coverversionen eigentlich stets genug vorhanden, um die Band und ihr Werk interessant zu halten, und auch Menschen schmackhaft zu machen, die sich von den manchmal monotonen Kompositionen gelangweilt, oder von Sparhawks gerne mal nasal langezogenem, mantrischen Gesang genervt gezeigt haben.
Neu auf The Invisible Way sind nun in erster Linie zwei Dinge. Zum einen hat man sich als Produzenten diesmal Jeff Tweedy, seines Zeichens Oberhaupt der modernen Americana-Meister Wilco, ins Studio geholt, und der hinterließ unverkennbar seine Spuren. Anders als Steve Albini oder Dave Fridmann, der für den Sound der Hochphase der Band Mitte der 2000er verantwortlich war, setzt Tweedy verstärkt auf warme, organische Liveklänge – bei den Plastic Cup einleitenden Gitarrenklängen und der sanft geschlagenen Percussion muss man schon zwei mal auf das Cover schauen (auch wenn’s schwer fällt), ob man denn die richtige Gruppe erwischt hat. Oder man wartet auf das getragene Piano, oder die sich umgarnenden Stimmen der beiden Hauptprotagonisten; hierbei hat man es nämlich unverkennbar mit Low zu tun. Oder man geht einfach raus und schreibt seine own damn songs. Das herrlich unaufgeregt wabernde Amethyst schwebt elegant um eine sentimentale Klaviermelodie und das gestrichene Schlagzeug, schreit einerseits Low, meint aber andererseits „Slowcore“ meets Tweedy. Nicht zum letzten mal auf The Invisible Way.
Die zweite deutliche Verschiebung im Low-Kosmos findet am Mikrophon statt. Ausnahmsweise darf Mimi Parker ihr wunderbares Organ für beinahe das halbe Album strapazieren, was der Halbwertszeit natürlich enorm zuträgt. Erstmals tut sie das im unruhig auf einen nur halbherzig eintretenden Höhepunkt hintreibenden So Blue, bei dem es schwer zu sagen ist, ob es sich dabei nun um das Highlight des Albums handelt, oder es ein Paradebeispiel für den Grund ist, warum nicht jeder auf der Welt Low geil findet. Die Wilcoeske Ballade Holy Ghost, in der Parker genauso kraftvoll wie schmachtend eben irgend einen solchen beschwört ist das nicht. Das Referenzenzentrum im Gehirn schlägt da natürlich auch abseits von Wilco Purzelbäume über Black Mountain und somit unwillkürlich in Singer/Songwritergefilde der 70er, was aber angesichts des fulminanten Ergebnisses vollkommen zur Nebensache gerät. Musikalisch aus den selben Nebelschwaden stampft und klatscht sich der Clarence White-Blues als letzter Song der ziemlich eindeutig Tweedy’s Fingerabdrücke abbekommen hat in die zweite Hälfte des Albums, die sich als wunderbarer Rückblick über alles, was man eigentlich sonst so mit Low verbindet erweist.
Just Make It Stop geht unruhig mit ausgefranster Gitarre und markantem Pianomotiv nach vorne, während Parker bei ihrem nächsten starkem Auftritt „as I enter the core/and untwist the knot/we could get where we’re going/if I could just make it stop“ fleht. Vertrauteste Low-Kost gibt es schließlich mit der tief dröhnenden Gitarre die die Sparhawk-Nummer On My Own in der Mitte durchsägt und in das vergönnte psychedelische Geburtstagsständchen an sich selbst ausarten lässt. Das kann man selbstverständlich so nicht stehen lassen, und so wird man zum Abschluss nochmal von Frau Parker abgepasst und so sanft wie der plätschernde Bach im Hintergrund von To Your Knees zur Tür begleitet, und bekommt dabei auch noch den idealen Gesamteindruck mit auf den Heimweg.
Denn trotz aller Wilco-Fäden die sich so durch The Invisible Way ziehen, trotz des coolen Sparhawk-Openers und dem noch cooleren Clarence White, der Star des Albums ist Mimi Parker. Vielleicht eine etwas gewagte Feststellung, da man es angesichts der songschreiberisch und gesanglich sehr ausgeglichenen Gesamtsituation bei The Invisible Way recht eindeutig mit einer der, soweit es ihre Grundästhetik zulässt, „bandhafter“ anmutenden Platten von Low zu tun hat, jedoch zeigt sich gerade dadurch, in welchen Songs man sich bei beinahe ebenbürtiger Qualität am wohlsten fühlt. Ob ein So Blue oder Just Make It Stop von Sparhawk interpretiert ebenso ein- wie unaufdringlich über die Bühne gegangen wäre bleibt ein am besten ungelöstes Mysterium. Alles Gute nochmal.
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