Mat Ball – Amplified Guitar II
Amplified Guitar II: die BIG | BRAVE-Geheimwaffe Mat Ball beschert dem besten Ambient Drone-Album von 2022 in spröder Eleganz einen tatsächlich sogar mehr als nur ebenbürtigen Nachfolger.
Auf den ersten Blick geschieht dies, indem der Kanadier dem drei Jahre alten Vorgängerwerk (ganz dem Titel der Platte entsprechend) „nur“ ein relativ deckungsgleichen zweiten Teil beschert. Auf den zweiten aber zeigt sich, dass Ball (in gewisserweise durchaus dem Artwork der Platte entsprechend, indem er bisher konkretere Formen weiter in der Transzendenz verschwimmen lässt und die eigene körperliche Präsenz so ganz im Sound auflöst) seine Klangkompositionen diesmal instinktiver und improvisierter anlegt, das Songwriting weiter im Raum schweifen lässt und eher leitende allgemeine Strukturen als Orientierung verwendet.
Eine Perspektivenänderung, die das betont melancholische Amplified Guitar II in seinen einzelnen Teilstücken oft ein minimales Quäntchen zu abrupt und impulsiv enden lässt, manche Wendung in den weitläufigeren Songs auch etwas bemüht bewerkstelligt, es darüber hinaus aber noch deutlicher als das 2022er-Werk wachsen lässt: Beinahe schamanenhaft entwickeln die sechs Landschaften eine universelle Wahrhaftigkeit, sind in einer faszinierenden Aura ganz bei sich selbst angekommen und zeigen dem Hörer nunmehr weniger eine (in musikalischer Hinsicht) plotgetriebene Geschichte, als ihn vielmehr mitten drinnen im Geschehen den Erlebnissen auszusetzen.
Vor allem aber bleibt es die elementarte Stärke von Ball, dass er seine Konstruktionen nie an das avantgardistische Experiment verliert. Seine Musik funktioniert stets zuallererst auf emotionaler Ebene und definiert sich erst zweitrangig durch die stilistische Ästhetik. Wenn in Covered in Rust ein Drone-Grundton das Spektrum als als sanftes Hintergrund-Schimmern bündelt, und die asketischen Trademarks über vibrierenden Saiten greifen lässt, nimmt das mit einer zutiefst friedlichen Aura in die Arme, beruhigend und vertraut, gar heimelig.
Dieses Gefühl begleitet dann auch Billows of Light in eine karge Prärie hinaus, lässt das innere Auge mit dem Herzen schweifen, und findet eine ausgezehrte Hoffnung, um die mich plötzlich monströse Wülste aus massiven Kaskaden aufbäumen, brutzeln und mutieren: ein Highlight der Ball‘schen Diskografie, das im Americana-Lagerfeuer-Appendix verglüht.
Die Einsamkeit in Detritus Palace ist schroff und einladend zugleich, auf beängstigende Weise einfühlsam, heavy und weich. Die Katharsis entfaltet sich vielschichtig und nuanciert, nicht, wie bei vielen Drone-Werken, vordergründig plättend und auslaugend. Außerdem zeigt sich, wie ideal Amplified Guitar II auf einer über den eigenen Kontext hinausgehenden Ebene auch mit der aktuellen BIG |BRAVE -Großtat A Chaos of Flowers harmoniert und durch die relativ zeitnahe Veröffentlichung eine soghafte Synergie entwickelt.
Dass City Death einem zentnerschweren Nebel gleich erst dunstig über der Wahrnehmung liegt, all seine Physis transzendiert, um dann abrupt in eine folkloristische Garwood-Apokalypse einzuladen, die hinten raus noch einmal durch beklemmende Schluchten aus voluminösen Saiten-Gebirgen wandert. Die Dynamik der Platte lässt dann über die kakophonischer oszillierenden Rillen des Interludes Steel Wound Arteries III wie in psychedelischer Trance durchatmen, bevor das eingangs mäandernde Indétrônable in die Spur findet und noch einmal monolithisch thront. Wie monumental als das erst live beeindrucken mag, sei nach einem zu kompakt gehaltenen Klimax auch dahingestellt: der Zyklus, den das gefühlt noch weitere Teile verdienende (keine Sekunde seiner extrem kurzweiligen 38 Minuten Spielzeit verschwendende) Amplified Guitar II hiernach als empfundender Übergang zum subjektiv ermessen noch ausstehenden Finale der Reise ergibt, kommt einem Gesamtkunstwerk bereits in konservierter Form bereits verdammt nahe.
Zu definieren, was dem Album für ein Aufrunden zwischen den Punkten in der abschließenden Bewertung „fehlt“, ist deswegen auch schwer. Vielleicht ist es der letzte Funke ikonischen Momentums, vielleicht ein kleines Quäntchen überwältigenden Genies – vielleicht aber auch nur Zeit, um noch weiter zu wachsen? Falsch macht Mat Ball jedenfalls dennoch kaum etwas. Und dürfte, so viel sei bereits jetzt gemutmaßt, den Jahrgang wohl zumindest die beste Genre-Platte 2024 als frühe Krönung auf sein sphärisch geerdetes Haupt setzen.
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