Mother Tongue [25.07.2016: Flex, Wien]

von am 26. Juli 2016 in Featured, Reviews

Mother Tongue [25.07.2016: Flex, Wien]

Mother Tongue spitzen beim dritten und letzten Stop der Österreich-Gastspiele ihrer In The Blood-Tour den Spannungsbogen kontinuierlich zu und zelebrieren im Wiener Flex mit eindringlicher Energie die verbindende, optimistische Kraft des Rock’n’Roll: Ein beinahe messianischer Abend.

Obwohl die Temperaturen im Flex weitaus weniger tropisch den Schweiß aus den Poren treiben als der Club in Aflenz, gewinnt das Tags davor bespielte Sublime zumindest den subjektiven Vergleich der beiden Locations. Das liegt auch am Sound, vor allem aber an der Bühne: Durch deren markantere Höhe springt der Funke in Wien gefühltermaßen etwas weniger unmittelbar über, als im optimal eingerichteten Kurortlokal – ohne der Band deswegen etwaige Anlaufschwierigkeiten bescheinigen zu wollen.
Tatsächlich gehen Mother Tongue natürlich wieder ab der ersten Sekunde von 0 auf 100: In the Night Time eröffnet den mit 22 Uhr Stagetime etwas spät angesetzten Abend furios, reißt das Ruder ekstatisch zwischen ruhigen Passagen, pressenden Abfahrten und trippigen Impro-Odyseen. Womit der immer wieder neu Anlauf nehmende Song auf der Bühne auch einfach deutlich besser zündet als auf Platte – wie übrigens alle Nummern der schwach produzierten Studioaalben Ghost Note (unlängst übrigens mit dem superben Comeback-Meisterstück Street Light [amazon_link id=“B01GSW42WA“ target=“_blank“ ]im Fan Edition-Doppel neu aufgelegt[/amazon_link]) und dem in Eigenregie veröffentlichten Follow the Trail. Nachzuhören auch im gleich folgenden, atmosphärisch ausgebreiteten Alien, das Bryan Tulaos Stimme phasenweise gar zu sehr verschluckt.

Mother Tongue Vienna 5

Stichwort Optimierung: Was in den knapp eindreiviertel Stunden auf die beiden Ghost Note-Eröffner folgt, stellt den vorangegangenen Tag in Summe nach und nach doch noch ein wenig in den Schatten. Was auch mit der in Relation zum Sublime deutlich angewachsenen Besucherzahl im ordentlich gefüllten Flex zu tun hat. Zwar hat man es dort mit dem einen oder anderen vollbesoffen torkelnden Enthusiasten mehr zu tun, dafür entfaltet sich die Publikumsinteraktion deutlich ausführlicher: Nightmare und Casper werden zaghaft, aber sehr zur Freude der Band mitintoniert („You’re the band, we are the audience!„), bei Future gibt’s einen Crowdsurfer über dem mit steter Spieldauer losgelöster aktivierten Pit und das absolut fantastisch zwischen seinen Geschwindigkeiten wechselnde That Man wird aus dem im schwindelerregenden Hardcore ausartenden Vesper begeistert herübergeklatscht.
Vor allem aber CRMBL gerät absolut erinnerungswürdig. Während die Band den Song in der Bridge ausbremst, platzt einem Fan der Kragen: „I’m so sick of it! I need peace! I need peace!“ Davo ist ganz bei ihm, „yes sir!„: Jeden Morgen zu einer neuen Terrormeldung in den Nachrichten aufzuwachen, miterleben zu müssen, wie sich Menschen die Schädel einschlagen und Zeiten zu erleben, in denen die Welt sich immer rücksichtsloser aus manigfaltigen Gründen einer brutalen Verrohung hingibt, während ein friedliches Miteinander zur verzweifelt scheiternden Utopie zu werden scheint – wer hat von dieser frustrierenden Gewaltspirale mittlerweile eigentlich nicht längst die Schauze voll?
Davo bringt die Dinge jedenfalls auf den Punkt, beschwört in einem angepisst-flammendem Appell beinahe predigend die positive Kraft des Rock’n’Roll, und spricht damit wohl zahlreichen Anwesenden zutiefst aus der Seele. „Live is beautiful“ schreit jemand aus dem Publikum, „Amen!“ ein anderer. CRMBL köchelt derweil leise im Hintergrund weiter, untermalt, wie Mother Tongue das Flex in diesen Momenten zu einer trostspendenden Blase des Optimismus umwandeln, in der die unbändige Magie der Musik ihre verbindende, charismatische Energie entfaltet.

Mother Tongue Vienna 7

Und letztendlich noch einmal mit voller Wucht losbricht, um die überragende Schlussphase des Abends einzuleiten. Broken gerät zum exaltierten Schlusspunkt der regulären Setlist, bevor Mother Tongue sich mit der Zugabe schlichtweg selbst übertreffen. Always Forever wird noch ausgelassener und umtriebiger ausgebreitet als bereits am Vortag, wo die Spiellaune des Quartetts im Finale sowieso auf das nächste Level klettert, keine Grenzen zu kennen scheint. F.T.W. wird aus nahezu allen Kehlen mitgebrüllt, da hält es nicht einmal mehr Sasha Popovic auf seinem Drumstuhl. Das trieft vor Herzblut und Hingabe, die in Damage dann endgültig alle Barrieren durchbricht, und den experimentierenden Chris Leibfried durch ein schier endloses Solo begleitet.
Band und Publikum steht nach dieser endorphintreibenden Ekstase ein glückseliges Lächeln ins Gesicht geschrieben. Man ist Zeuge eines erschöpfenden Feuerwerks geworden, das nach (abermals) 20 Songs freilich viel zu früh beendet ist. Dass die Band ihre ursprüngliche Ankündigung, auf dieser Tour jeden bisher aufgenommenen Song je nach aktueller Lust und Laune auspacken zu können, nicht wahrmacht, sondern sich weitestgehend aus einem klar abgesteckten Pool bedient, dazu einige auf der In The Blood-Tour gespielte Nummern im Talon bleiben (während dafür Fanlieblinge wie Silhouette und Lines Drawn ihren verdienten Platz gefunden haben), nimmt man ihr freilich nicht krumm. Mother Tongue-Shows können schließlich nicht lange genug dauern, hinterlassen zwangsläufig immer mit dem süchtigen Bedürfnis nach Mehr, Mehr, Mehr. Vielleicht, weil diese barrierelose Authentizität in der heutigen Zeit einfach so erfrischend ist, vielleicht, weil Mother Tongue einfach nahezu jede andere Band da draußen in den Sack stecken.
Den über die Jahre kultivierten Nimbus der Ausnahmeband verteidigen die Jungs aus Los Angeles 2016 jedenfalls trotz jahrelanger Inaktivität spielend. Hinterlassen Bilder, Eindrücke und Emotionen, von denen man noch lange zehren können wird. Dennoch: Eine neue Studioplatte – oder am besten auch gleich die nächste Tour – können auf diesen über den immens hohen Erwartungen abliefernden Triumphzug eigentlich kaum früh genug folgen.

Mother Tongue Vienna 1

Setlist:

In the Night Time
Alien
Nightmare
Silhouette
Lines Drawn
Burn
Vesper
That Man
Casper
The Storm
Tides
Future
[xx]
The Seed
Dark Side Baby
Helicopter Moon
CRMBL
Broken

Encore:
Always Forever
F.T.W.
Damage

Mother Tongue Vienna 6

Mother Tongue Vienna 4

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1 KommentarKommentieren

  • tomhet - 31. Juli 2016 Antworten

    Frankfurt war absolut fantastisch! Nachtleben war ausverkauft und die Atmosphäre im Keller war schweißtreibend genial!

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