Neil Young – Storytone
Zugegeben, die Erwartungshaltungen an das 36ste Studioalbum von Neil Young waren nicht unbedingt hoch. Wegen des mediokren Telefonzellenalbums ‚A Letter Home‚, mehr aber noch wegen der sich im aktuellen Liveprogramm als Rohrkrepierer erweisenden Fremdschämplattitüde ‚Who’s Gonna Stand Up?‚. Im Endeffekt überrascht der 68 jährige mit ‚Storytone‚ allerdings zumindest im doppelten Sinne absolut positiv.
‚Who’s Gonna Stand Up?‚ ist nun (wie jeder Song auf ‚Storytone‚, zumindest in der jedem ans Herz gelegten „Special Edition„) in zweifacher Ausführung vorhanden. Einmal als dramatisch den Sonnenschein suchende Breitwand-Version mit bis zu 93-köpfigen Orchester und Chor; einmal als bis auf die Knochen reduzierte Solo-Intetpretation, die sich mit Young, Banjo und der hippiesk-schwülstigen „Save the World„-Grundaussage begnügt. Es sind diese beiden Seiten der selben Medaille, die opulente und die filigran-minimalistische – für keine davon wollte sich Young offenbar in letzter Konsequenz entscheiden, weswegen er kurzerhand beide veröffentlicht.
Was sie gemeinsam haben sind erstens Lyrics, die bisweilen arg an der Grenze zum Schmalz tränen, mit kitschiger Schlagseite vor melancholischer Romantik triefen und dabei auch vor einer gewissen Naivität nicht zurückschrecken, wenn sich abseits der Unweltgedanken im platten ‚Who’s Gonna Stand Up?‚ nahezu jede Zeile irgendwo als Break-Up-Verarbeitungen lesen lassen kann; und zweitens die durchaus überraschende Gewissheit, dass keine der beiden Interpretationsvarianten in altersbedingte Unsinnigkeit abdriftet, sondern da wie dort Relevanz im ausufernden Schaffen Youngs erzeugen kann – wenn man sich denn auf die gewählte Gangart einlässt.
Die für den kreativ-getriebenen Allrounder selbst wahrscheinlich wichtigere Version ist dabei wohl jene, die sich in lebhafte Bigband-Arrangements legt (im swingenden ‚Say Hello To Chicago‚ macht Young etwa einen auf Frank Sinatra), an satt ausgeschmücktem Orchesterbrimborium nicht geizt (gleich ‚Plastic Flowers‚ schielt ganz unkaschiert Richtung Disney-Kleister und setzt damit eine anhaltende Gedankenbrücke) oder nette Band-Ideen in die Nummern einbaut: ‚I Want To Drive My Car‚ wird zum Mittelding aus Highway-Bikerschuppen und Las Vegas-Abendanzug, ‚Like You Used To Do‚ geht als Theken-Blues-Standard in die selbe Richtung.
Interessant ist hierbei nicht nur, dass der Seiltanz zwischen elaboriertem Soundgewand und übertrieben gestikulierenden Arrangements ungeachtet des wiederholten Griffs in die rührselige Gefühlsduselei durchaus stimmig gelingt, sondern auch, dass sich der Fokus trotz all des Trubels paradoxerweise klar auf Young in seiner Funktion als Sänger legt – und dieser dabei geradezu losgelöst durch die Songs tänzelt, sich merklich wohl in kompetenzabgebenden Szenario fühlt.
Und ja: nur allzu leicht hätte ‚Storytone‚ hier in prätentiöse Geschmacklosigkeit kippen können. Alleine dieses Fettnäpfchen weitestgehend zu vermeiden und im Überladenen eine gewisse puristische Wohldosiertheit zu finden könnte da bereits als ein künstlerischer Triumph gewertet werden, würde aber zurückgenommene Schönheiten wie das sanft lächelnde ‚Tumbleweed‚, das berührende ‚All Those Dreams‚ oder das countryeske ‚When I Watch You Sleeping‚ unter Wert verkaufen. Das hat mehr als nur eine Existenzberechtigung. Was für die Zukunft bleiben wird, ist aber wohl vor allem ein durchaus wertgeschätzter, aber nicht allzu oft goutierter Vertreter der kreativen Ausläufer von Youngs Schaffenskraft.
Für den Fan könnten hingegen gerade die beigelegten Solo-Aufnahmen die befriedigendere Ausprägung der Songs darstellen. Auch, weil diese das gelungene Songwriting stärker hervorheben. ‚A Letter Home‚ hat seine Spuren hinterlassen, Young Inspirationen aus der Vergangenheit aufgesogen. Als Instrumentarium genügt ihm eine Gitarre, hin und wieder ein Piano samt Mundharmonika. Unkomplizierten Melodien und herzerweichende Harmonien bieten sich in den filigranen Interpretationen an, Young klingt intimer und verletzlicher als die letzten Jahre über. Zwar schießt das weinerliche ‚Glimmer‚ vielleicht ein wenig über das Ziel hinaus, wie der elektrische Roots-Blues von ‚I Want To Drive My Car‚ in cooler Ratlosigkeit hinterlässt. Aber das anachronistisch-wehmütige Piano-Geklimpere in ‚Say Hello To Chicago‚, die Lap-Steel-Genügsamkeit ‚Tumbleweed‚, der heavy kriechende Herzschmerz von ‚Like You Used To Do‚,…- großes Kino im kleinen Gewand.
In seinen besten Momenten erzeugt ‚Storytone‚ hier gar Erinnerungen an die Aura, Stimmung und Ausstrahlung der größten – magischen – Klassiker des Kanadiers. Aber selbst in seinen schwächeren Passagen- und das sind all jene, in denen sich die saubere Aufsplittung in die zwei Versionen rächt, weil eine ausgewogene Mischung doch die beste Wahl gewesen wäre – wird ‚Storytone‚ (die Deluxe-Edition, wohlgemerkt!) rückblickend neben ‚Psychedelic Pill‚ wohl als eines der stärkste Alben der Spätphase Youngs durchgehen. Und das hat dann auch nichts mit den niedrigen Erwartungshaltungen zu tun.
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