Protomartyr – The Agent Intellect

von am 28. Oktober 2015 in Album

Protomartyr – The Agent Intellect

Der Leitbild-Wechsel am Cover ist nicht nur symbolisch zu verstehen. Weniger, weil Protomartyr ihren unwiderstehlichen Postpunk gar zu sehr domestiziert hätten, als dass sie auf ‚The Agent Intellect‚ ein paar Schichten mehr auftragen, die Konturen stärker ziehen und den Blick auf das Wesentliche schärfen.

Ihr Händchen für stimmiges Artwork haben sich die Detroiter um Bandkopf Joe Casey also bewahrt, ebenso die so unterkühlt-unbequem mit gehörigen Eigengeruch in die Sollbruchstelle aus Iceage-Psychosenpostpunk, grummeligen Parquet Courts-meets-Total Control-Rock und übersteuernder Ought-Kunstfertigkeit drängende Gangart. Mark E. Smith, Wipers und andere alte Helden applaudieren ob der dritten grandiosen Frischzellenkur im dritten Jahr also von vornherein mehr als anerkennend, junge Epigonen wie Eagulls hecheln gleichzeitig hemmungslos hinten nach, denn soviel Tatendrang und Impulsivität will erst einmal in konsequente und produktive Bahnen gelenkt werden, auch, wenn das Joy Division-Rad freilich nicht von Grund auf neu erfunden wird.

Dennoch das Stichwort: Neu ist im Protomartyr-Schlachtplan die gesteigerte Konzentration auf das Wesentliche – und ein paar zusätzliche Lagen an Synthiegrundierungen. Wo das herrlich rohe ‚Under Color Of Official Right‚ räudig, tollwütig und regelrecht chaotisch mit ungestüm daherkommenden Songstrudeln Schaum vorm Mund zur Schau stellte, wild knurrte und sich zwischen seinen Vorlieben zerriss, blickt ‚The Agent Intellect‚ nun vergleichsweise überlegt auf seine Vorzüge, ohne auch nur einen Funken an Wendigkeit einzubüßen: Die melodische Seite der Band ist erstmals wirklich herausgemeißelt, noch nie war die Sicht auf die Eingängigkeit zwischen tiefdrückender Stoizismus, rezitierender Nachdenklichkeit und schmissig hinausgehauenen Hooks balancierter – Aufgeräumtere und pointiertere Annäherungen an hartnäckige Ohrwurmhits wie ‚Cowards Starve‚ (ja, der Refrain knallt noch mehr als der Titel), ‚I Forgive You‚ (wer dängelt hier schneller: der nackte Rhythmus? die dissonanten Gitarren? Casey? Egal: Irgendwann liegen sich dann doch alle melancholisch in den Armen) oder das nach vorne pressende Brett ‚The Hermit‚ hatten Protomartyr bisher jedenfalls kaum im Angebot.

Als ein furioses Mittelding aus neuerlichem Entwicklungsschub im Detail und endgültiger, meisterlicher Reifeprüfung zündet ‚The Agent Intellect‚ neben dem Mehr an griffiger Auftrittsfläche vor allem als reißender Gesamtfluss, das nahtlos verschweißte Gefüge ist ein einziger Wechselbalg aus industrieller Detroiter Leere und New Yorker Beflissentlichkeit. Die schlauen Texte schwitzen in den körperbewusst angetriebenen Kompositionen: Casey mag zwar keine Zukunft für sich sehen, das bringt aber Zeit um sich Gedanken zu machen, über philosophische Konzepte, den permanenten Masochismus im eigenen Dasein, oder sich gar damit zu geißeln, im noisig aufgerieben, verträumt brodelnden, überragenden Unruheherd ‚Ellen‚ Nachrichten vom verstorbenen Vater an die noch lebende, alzheimerkranke Mutter weiterzuleiten.
Die Symbiose aus der Jugendlichen getriebenen Vitalität der Band, der der 10 Jahre ältere Casey mit Kippe im Maul und Anzug am Körper smart vornewegtanzt und mit charismatischer Stimme rezitiert, launig schwadroniert, nölig skandiert, gar immer wieder Melodien singt – sie erreicht auf ‚The Agent Intellect‚ eine neuerliche Hochphase für Protomartyr, die alleine in ‚Why Does It Shake?‚ unberechenbar kulminiert: Wendung um Wendung nimmt das Quartett vom stacheligen Polterer weg, unmittelbar stechen die explodierenden Gitarren wie scharfkantige Stachel, ein Distortion-Berg baut sich gemächlich auf, kristalliner Lärm strahlt in all seiner verletzenden Schönheit.
Auch wie ‚Boyce or Boice‚ dann alle aufgebauten Spannungen plötzlich in Wohlgefallen auflöst, kann man ebenso wenig kommen sehen, die dreckige Bissigkeit von ‚Uncle Mother’s‚ zieht die Mundwinkel lässig nach unten und rotiert dann doch geradezu verspielt. Protomartyr gehen also immer auch zu einem Gutteil gegen Langeweile und Monotonie vor, bürsten ihre Songs gegen den Strich und bleiben damit eine Band, die es genießt mit dem Rücken zur Wand zu stehen, obwohl sich die Perspektiven längst erweitert haben.

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