Ryan Adams – Blood on the Tracks

von am 28. Dezember 2022 in Album

Ryan Adams – Blood on the Tracks

Nach Nebraska nimmt sich der heuer im Veröffentlichungsrausch agierende Ryan Adams das Bob Dylan-Meisterwerk Blood on the Tracks zum vollständigen Cover-Prozedere vor – trotz einer ersten Irritation ziemlich überzeugend.

Keine Ahnung, wieviele Platten Adams (der ja gerne viel inkohärentes erzählt, wenn der Tag lang ist…ungeachtet davon, wieviele Dutzend Songs er da schon alleine bis zur Mittagszeit eingespielt hat) bereits als seine Lieblingsalben bezeichnet hat – über Blood on the Tracks, das 1975 erschienene und eventuell beste Album von Bob Dylan, hat er dies zumindest schon mehrmals gesagt. Zudem geht er diesmal sogar einen Schritt weiter: „Another view of my favorite album of all time, by my favorite songwriter of all time and spirit animal Bob Dylan. Sacrilege maybe but I’m doing it anyway. It’s important to stay on your toes, and frankly after this beautiful year of climbing this mountain again my body is broken but my mind is pacing the floors… so it’s time to get busy.“ – und verschenkt die in Form gebrachten Aufnahmen seiner via Instagram verfolgbaren Sessions über seinen eigenen Shop (zumindest in den ersten Tagen gut versteckt).

Aus den ursprünglichen 52 Minuten des Originals werden da in der offenkundigen Heldenverehrung kurzerhand auch gleich 72 – und gerade gegen Ende gehen die Pferde mit Adams (der viele Songs so anlegt, als würde er so manche Interpretation der More Blood, More Tracks-Bootleg-Aufnahmen den regulären Album-Versionen vorziehen) durch: Shelter From The Storm gönnt sich einen schmissig hüpfenden Kniff im Rhythmus und biegt irgendwann herrlich zum uferlosen instrumentalen Jam über die Zehnminutenmarke ab, bevor auch Buckets of Rain diese knackt, aber nach dem improvisierten Spontanausflug in die instrumentale Exkursion zudem noch die Abbiegung in den düsteren Ambient Richtung Twin Peaks nimmt. (Ein Twist, den zuvor bereits You’re A Big Girl Now – willkürlicher erscheinend, den Albumfluß latend störend – mit einem für sich genommen feinen Appendix in die luziden Momenten von Silent Hill zeigt, nachdem die Nummer mit hallenden Rhythmus und verwaschen im Hintergrund bleibendem Gesang über weite Strecken eher so klingt, als würde eine dunkle Erinnerung am Strand im lichtscheuen Ambiente der 80er munteren Urlaub machen, derweil das Solo elegisch in die Nacht heult und wunderbar strukturoffen betört).

Dass nun nicht mehr Lily, Rosemary and the Jack of Hearts – das hier mit LoFi-Demo-Ästhetik, wundervoll bittersüßen Gitarren und einer distanzierten Drummachine als spartanischen Gebrauchsgegenstand aus der Zeit gefallen im besten Sinne dahinplätschert und der dritte Song mit Überlänge ist – das ausführlichste Stück darstellt, ist jedenfalls überrschend. Und ein Ausdruck der Exzentrik, mit der sich Adams im Material immer besser zurechtfindet, auch wenn phasenweise ein ambivalentes Gefühl Reibungen verursacht.
Die spartanische, ungeschliffen rohe Heartland-Skelett-Atmosphäre von Adams‘ Blood on the Tracks ist sehr eigen, aber einnehmend – wenn man sich erst einmal darauf eingelassen hat. Die größte Hürde für diese Voraussetzung installiert indes bereits das sehnsüchtige (oder doch eher diffus lethargische?) Tangled Up in Blue, da hier die (seltsam stockend gebrachten) Vocals bereits im Hall ersaufen – zumindest ein bisschen hätte Adams den Reverb-Effekt im gesamten Verlauf durchaus zurückdrehen können – und man den Reiz in einer vermeintlichen Orientierungslosigkeit erst entdecken muss: Adams verzichtet auf das charakteristisch beschwingte Antauchen der Nummer und leiert auf einem ätherischen Trip.

Simple Twist of Fate erweist sich als symptomatisch Grower, mit seinem monoton schlurfenden Rhythmus, gewinnt aber mit seiner angenehm zurückgelehnt und entspannten Unaufgeregtheit, dem schlendernden Shaken. Idiot Wind gefällt sich als ein in alle Richtungen zerfahrenes Geplänkel, das sich ein bisschen zuviel Synth-Kleister gönnt, aber wie die meisten länger angelegten Songs durch die transportierte Stimmung profitiert – und die drei kompaktesten Interpretationen nebenbei überschatten.
You’re Gonna Make Me Lonesome groovt beschwingt in der grundlegenden Archaik, If You See Her, Say Hello überzeugt als Gitarrenreduktion samt Orgeltextur. Nur Meet Me In The Morning fällt als dunkel stampfender Bluesrock aus dem White Stripes-Roadhouse ab und sowieso ein wenig aus dem Rahmen.
Dennoch ist vor allem die zweite Hälfte dieser Cover-Fingerübung wirklich gelungen – und ist man erstmal drinnen in diesem eingangs noch wie ein spleeniges Kuriosum aus dem Exil wirkenden Werk, überzeugt es letztendlich sogar merklich mehr, als Nebraska. Trotz all des wirklich nahezu ständig übertriebenen Halls und Echos auf dem Gesang.

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