Sunn O))) – Pyroclasts
Sunn O))) sprechen im Rahmen ihrer neunten Studioplatte von einem „sister album“ oder „fraternal twin“ für das erst vor annähernd einem halben Jahr veröffentlichte Life Metal, meinen mit Pyroclasts aber im Grunde eher einen nachgeborenen Mutterkuchen.
Gemeinsam mit ihren aktuellen Verbündeten Tos Nieuwenhuizen, Tim Midyett und Hildur Guðnadóttir (sowie natürlich der perfekt passenden analogen Produktion von Steve Albini) zeichnen Stephen O’Malley und Greg Anderson durch Pyroclasts immerhin ausschnitthaft gewissermaßen die Lebensgrundlage von Life Metal entlang vier jeweils elfminütiger, improvisierter Drone-Sessions ab, die alle Beteiligten vor und nach den Aufnahmen zum Quasi-Vorgängerwerk auf die selbe Wellenlänge bringen sollten.
„The Pyroclasts album is the result of a daily practice which was regularly performed each morning, or evening during the two week Life Metal sessions at Electrical Audio during July 2018, when all of the days musical participants would gather and work through a 12 minute improvised modal drone at the start and or end of the day’s work. The piece performed was timed with a stopwatch and tracked to two inch tape, it was an exercise and a chance to dig into a deep opening or closing of the days session in a deep musical way with all of the participants. To connect/reconnect, liberate the creative mind a bit and greet each other and the space through the practice of sound immersion.“
Während man sich da noch fragen darf, ob es gut ist, wenn Musik soviel Erklärung bedarf, reichen Sunn O))) für ein letztendlich ohnedies ausschließlich instinktiv funktionierendes Werk durchaus auch noch elementare Anleitungen nach: „Sunn O))) would also invite and encourage the audience to use Pyroclasts as a lens to review and reexperience the complexity of the Life Metal album, and even to interrupt its sequence with Pyroclasts. This elaboration can bring the astute listener both abyssal, hallowed rewards.“
Wo die nun versammelten 44 Minuten den Fokus für die Details der sechs Monate vorauseilenden Platte durchaus schärfen können und alleine dadurch ihre Berechtigung ziehen, muß Pyroclasts auf sich selbst gestellt seinen Wert jedoch einmal verdienen. Und erst nach langer Aufwärmphase nimmt man die Platte selbst mit Fanbrille nicht mehr notwendigerweise als grobschlächtige Gebrauchmusik wahr, die diese vier vermeintlich ereignislos am Feedback lebenden Messen in ihren jeweiligen Stimmungen irgendwo (auch) sein mögen.
Sicherlich sind die ohne kompositionelle Substanz auskommenden Mood Pieces deutlich formloser, noch minimalistischer und archaischer gehalten, als die vergleichsweise geradezu ambitionierten Nummern von Life Metal. Auch agieren sie weniger zielgerichtet, kreativ und plotgetrieben, dafür jedoch allerdings noch organischer, natürlicher und instinktiver gewachsen: Ohne Konstruktion und Architektur gibt es eben nur den puren Flow.
Nach der also potentiell ernüchternd teilnahmslos vorbeirauschenden Kennenlernphase entfaltet die Seance ihre Reize deswegen auch irgendwann rein meditativ, wenn sich die Essenz der Band entlang einzelner Noten destilliert und die Ergebnisse als hypnotischer Sog aufgefächert vor dem inneren Auge zu verschwimmen beginnen, unter der Oberfläche der Monotonie als puristischer Score zumindest vage Nuancen verschieben
Gerade die erste Hälfte erweist sich so nach und nach als überraschend starker Grower. Als würde ein eisiger Wind durch den Raum wehen, den Sunn O))) mit ihrem fast schon wärmenden Radiatorenbrummen der Saiten entweder in Empfang nehmen, oder zu vertreiben versuchen, entwickelt Frost (C) ein geradezu wohliges Unterbewusstsein. Das überragende Kingdoms (G) zeigt dagegen Ansätze von Melodiefolgen als reine Ahnung, aber auch, wozu Pyroclasts an sich fähig gewesen wäre.
Danach baut das Album hingegen langsam, aber kontinuierlich ab. Das immer noch schmeichelhafte Ampliphædies (E) hat zwar einen geradezu melancholisch-sehnsüchtigen Subtext und heult damit sogar ein bisschen an den Outlaw-Balladen von Earth und Godspeed You! Black Emperor, doch Ascension (A) lässt zwischen seinem spontan angerissenen Beginn und den zu abrupten Ende gefühlt nichts passieren.
Durchaus sinnbildlich. Denn da Pyroclasts noch stimmungsabhängiger veranlagt ist als die meisten Sunn O)))-Werke sowieso, und kaum Akzente in den Entwicklungen setzt, wirken gerade die überstürzt abgebrochenen Endmomemte der einzelnen Stücke noch störender. Denn wenn man sich als Hörer einmal in der Position befindet, dass sich die Einzelteile auch individuell auseinanderzudividieren beginnen, quasi vereinzelte Bäume im Wald erkennbar sein könnten, sich die Sogwirkung der Trance mit Gewicht entfalten, indem man die Reichhaltigkeit der Texturen und Lagen wertzuschätzen beginnt, würde jede Nummer hier an sich dennoch länger benötigen, um ihre Faszination jenseits der Routine wirklich effektiv abschöpfend zu erzeugen.
Die im Kontrast zum ungezwungenen Fluß der Rückkoppelung stehenden, dogmatisch abgestoppten 11 Minuten sind also einfach zu kurz bemessen, lassen aber abseits der gigantischen Majestät der unfassbar körperberwussten Produktion durchaus zu, dass Facetten/Nuancen Identitäten entwickeln.
Pyroclasts ist deswegen für sich genommen – und gerade nach Life Metal – durchaus eine ambivalente Erfahrung, die zeitnaher (und eventuell gar in umgekehrter Reihenfolge als Einstimmung) zum „Hauptwerk“ veröffentlicht eventuell einen gravierenderen Eindruck hinterlassen hätte; so oder so aber primär nur im Kontext mit dem anderen Album einen tatsächlich schlüssigen Sinn ergibt.
Letztendlich ist die als Nachsatz veröffentlichte Aufwärmübung so jedoch dennoch auf eine unbefriedigende Weise erfüllend, die man nur schwer rationale begründen kann, die aber alleine dadurch essentiell erscheint, dass man wohl am Entstehungsprozess der transzentental Material beschwörenden Jamsessions von Sunn O))) seit der Frühphase der Band nicht näher dran war.
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