The Men – Tomorrow’s Hits
Glühende Verfechter der Noiserock-Anfangstage von The Men werden angesichts ‚Tomorrow’s Hits‚ noch heftiger aufstöhnen als schon bei ‚New Moon‚: auf dem fünften Album seit 2010 reichert das Quintett aus Brooklyn seinen Rock hemmungslos mit bläsergetränkten Classic Rock-Exzessen an und positioniert sich als ausgelassene Ziehhorde im Windschatten von Bob Dylan und Bruce Springsteen.
Längst ein Running Gag: auch auf ‚Tomorrow’s Hits‚ haben die nimmermüden The Men einen Song gepackt, der einen direkt bei der ersten Berührung anspringt und nicht mehr los lässt, nach modernem Klassiker klingt, weil er eigentlich ein bisschen dreist von einem alten Hit ausgeborgt ist. Nach offensichtlichen Buzzcocks und Stooges-Verneigung auf den letzten Alben erledigt diesmal vor allem ‚Another Night‚ den offensichtlichsten Referenzjob und lässt das kollektive Bewusstsein als vage Anlehnung klingeln: die Hookline kennt man in Auszügen, wenn auch funkiger, von ‚Train in Vain‚ von The Clash. ‚Tomorrow’s Hits‚ ist aber auch abseits davon durchzogen von einem regelrecht Assoziationswucherndem Classic Rock-Flair, könnte mit seinem Plattentitel absolut ins Schwarze treffen wenn The Men hier nicht vor allem eine zutiefst nostalgische Platte aufgenommen hätten, die tief in der Vergangenheit verwurzelt ist.
Am schmalen Grad zwischen Offensichtlichkeit und Eigenständigkeit schwitzen The Men derart viel Herzblut in ihre assimilierende Performance, dass der Rock der Band auch mit abermals verschobenen Parametern nahtlos zündet und mehr als Tribut immer Fan-Euphorie mit eigenem Anstrich darstellt. Im konkreten Fallbeispiel ‚Another Night‚ bedeutet das etwa: The Men kippen das Szenario plötzlich mitten rein in die feurige Bluesrock-Bar, fahren reihenweise soulig rausposaunende Bläser in den Song – und da keimt die gar nicht so absurde Vermutung dass Bruce Springsteen heutzutage wohl verdammt gerne derart klingen würde – instrumental zwar reichlich ausstaffiert, aber trotzdem hochexplosiv und enorm sehnig. Der saubere Livesound der Strange Weather Studios besorgt den Rest auf der ersten High-End Produktion der Band. Vielleicht bieten sich The Men auch deswegen der Missing Link zwischen weniger punkigen Titus Andronicus und impulsiver agierenden The Hold Steady.
Im Wahn des hitzigen ‚Pearly Gates‚ klingt Nick Chiericozzi dann plötzlich wie ein Bob Dylan unter massivem Taurineinfluss, während seine aus allen Nähten platzende Band wie von der Tarantel gestochen Saiten, Felle und Tasten bearbeitet: ein konzentrierter Exzess mit Feuer unterm Hintern, ala Sonic Youth ohne Avantgarde-Anspruch aber mit ‚Exile on Main St‚-Brass-Sektion. Vor allem aber brodelt da immer noch das Feuer dass auch auf ‚Tomorrow’s Hits‚ das nächste Feedbackgewitter immer nur einen Wimpernschlag entfernt sein könnte, wenn The Men es denn nur wollen würden. Doch das Songwriting folgt diesmal einer anderen Vision: aus einer Grundskizze – eine Idee, eine Hookline, eine Melodie oder Riff – machen die Amerikaner eine ausgelassene Party, verpassen jedem Song nach einer Weile einen feierenden Jamcharakter, weil The Men so lange daran herumspielen, wie die perfekt eingegroovte Band eben Bock drauf hat – mit mehr Gefühl im kleinen Finger als andere im ganzen Körper.
Diese unkaschierte glühende Verehrung für Springsteen und der immanente Dylan-Vibe prägen das bereits im Winter 2012 aufgenommene ‚Tomorrow’s Hits‚ noch abnabelnder vom Frühwerk als ‚New Moon‚ oder das unerreichte ‚Open Your Heart‚, und nicht alle Fans der ersten Stunden begrüßen diese Entwicklung der Band, das weiß man. Album Nummer Fünf wird deswegen der endgültige Punkt sein an dem The Men alte Fans verlieren und neue gewinnen werden: mit dem klimpernden Piano im zurückgelehten Neil Young Folkrock von ‚Dark Waltz‚, der scharfkantig gen Oasis (!) surfenden Orgel von ‚Different Days‚, der Pedal Steel-Schwärmerei ‚Sleepless‚ mit seiner Mundharmonika, dem verhaltenen Röhren im als Closer etwas unspektakulär platzierten ‚Going Down‚ und vor allem der versöhnlich schunkelnden Lagefeueratmosphäre von ‚Settle Me Down‚.
The Men wird es egal sein: sie folgen weiterhin einem künstlerischen Trieb sich nicht zu wiederholen – und sie erfinden sich ein weiteres Mal auf eindrucksvolle Art ein Stück weit neu, zugänglicher denn je. Da verzeiht man ihnen auch, dass die aus ursprünglich 40 Demoaufnahmen und 13 Ausgangssongs auf nur 8 Stücke reduzierte, äußerst kompakt auftretende Platte mit 37 Minuten gerade wegen seiner unangestrengt eingängigen Leichtfüßigkeit ein wenig zu kurz geraten ist, nicht so erschöpfend wirkt wie alle Vorgänger (würde alleine ‚Going Down‚ nicht nach unter 4 Minuten ausfaden, sondern zum explodierenden Feuerwerk ansetzen, würde sich ‚Tomorrow’s Hits‚ sich noch erfüllender anfühlen). Erarbeiten muss man sich ‚Tomorrow’s Hits‚ nicht, und wahrhaftig unsterbliche Evergreens sind das hier genau genommen ebenso wenig – aber wie immer ausnahmslos tolle bis grandiose Songs. Vielleicht das größte Lob: wäre ‚Tomorrow’s Hits‚ vor ein paar Dekaden veröffentlicht worden, wäre der Albumtitel prophetisch gewesen und The Men heute Altbekannte auf den Classic Rock-Radiostationen.
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