Wind und Farben – Das Entzünden einer Kerze ist das Ende eines Wals

von am 19. April 2013 in Album, Heavy Rotation

Wind und Farben – Das Entzünden einer Kerze ist das Ende eines Wals

Kann man beanstanden: Wind und Farben bewegen sich auf ihrem Debütalbum ‚Das Entzünden einer Kerze ist das Ende eines Wals‚ sehr nah an ihren zahlreichen Vorbildern. Muss man aber nicht: das blutjungen Trio aus Schleswig-Holsteins schaut sich nämlich die richtigen Dinge bei den richtigen Idolen ab.


Schon Oscar Wilde wusste. „Talent borrows, genius steals„. Die mit streitbar geilem Bandnamen ausgestatteten Jungs von Wind und Farben bewegen sich auf ihrem unzweifelhaft grandios betitelten Debütalbum über 10 Songs (die erstaunlicherweise niemals so sehr zwischen aufgesetzter Coolness und tatsächlicher Skurilität zerrissen sind, wie das die an den Haaren herbeigezogenen Titel das suggerieren) mit einer phasenweise atemberaubenden Souveränität im schmalen Grad, der durch eine formvollendete Talentprobe und geschickt geklautem Geniestreich verläuft. Zwischen klassischem Emo inklusive Suborientierungen, dringlichem Schrammelpop, rauem Postcore und kantigem Indierock. Sie singen über Dinge, die Herzschmerzen bereiten, wie Mädchen, Freundschaft, einer allgegenwärtigen Aufbruchsstimmung, nostalgischer Romantik und „das Mädchen mit Kaleidoscope Eyes„. Sie tun dies mit einer unkarschierten Leidenschaft, selbst in den beinahe kitschigen und pathostriefenden Momenten, mehr noch: Wind und Farben forcieren diese regelrecht.

Warum aber auch nicht? Das Trio kleidet jeden noch so schwindelerregenden lyrischen Balanceakt von Sänger Mats Groth inmitten dessen schneidenden Ehrlichkeit und dezent affektierten juvenilen Stehsätzen zielsicher in packende Gewänder, und Groth selbst kann sich jede Entgleisung leisten: mit dieser variablen, sauberen Stimme, zwischen himmelhoch jubilierend und beschwörend druckvoll, alle Facetten der Palette abdeckend; wenn nötig ohne Sicherheitsleine brüllend und dann wieder eindringlich flüsternd, aus der zweiten Reihe kommt Unterstützung – alles drinnen. Wer hier nach augenzwinkernden Brüchen oder einer zynischen Reflektion sucht wird hingegen nicht fündig werden und hat ohnedies nicht ganz verstanden, wie diese Band Emotionen weckt. Groth marschiert zusehends auf dem schmalen Grad zur eigenen Bloßstellung als Texter, meistert diesen Husarenritt jedoch nahezu über die volle Distanz fulminant mit einem Organ, dass sich auf ‚Das Entzünden einer Kerze ist das Ende eines Wals‚ nicht nur als Rohdiamant ausweist, sondern eben auch als die polarisierende Trennlinie zwischen eindringlicher Liebe und irritierter Ablehnung als vielleicht einzig mögliche Reaktionen auf die versammelten 34 Minuten fungiert.

Womit die erste Gemeinsamkeit mit La Dispute Sänger Jordan Dreyer gefunden wäre: nach weiteren muss man nicht lange suchen. Nicht in der Inszenierung der gesamten Platte, nicht in ihrer schonungslos zur Schau gestellten Theatralik-Dramatik der stets so unironisch ausgeschütteten, ähnlich inszenierten Songs, nicht in dem unbedingten „Heart on  Sleeve„-Prinzip mit poetisch weitreichenden Mitteln. Manchmal schießen Wind und Farben in ihrer hier vermuteten La Dispute-Verehrung schon ein wenig über das Ziel hinaus. In ‚Es ist alles so, wie es bleibt‚ etwa, wenn ‚Said The King To The River‚ arg unkaschiert als Blaupause durchschimmert. Oder in der Anfangsphase von ‚999544‚, über die man auch ‚Nobody, Not Even The Rain‚ und zahlreiche weitere Momente aus dem Meisterwerk ‚Somewhere At The Bottom Of The River Between Vega And Altair‚ legen könnte.

Macht aber nichts, weil beide trotzdem (oder gerade deswegen) grandiose Songs geworden sind. Vor allem ‚999544‚, in dessen weiteren Verlauf sich Wind und Farben in 2 Minuten noch über zumindest 3 weitere Songsparts mühelos weiterhangeln und den Prog der Hirsche anstandslos mit dringlichem Postpunkt und einem untrüglichen Adolar-Feeling verschmelzen. Wo man schon bei den nächsten beiden offensichtlichen Referenzen der Platte wäre. In den selben Namedropping-Topf lassen sich in weiterer Folge noch mühelos Captain Planet, Jupiter Jones, Supermutant Thomas Erak-Arbeiten und frühe My Chemical Romance pressen. Unter der noch fehlenden Eigenständigkeit haben die zahlreichen Zutaten den Brei allerdings keineswegs verdorben, sondern vielmehr zu einem stimmungsvollen Spielrausch der zu Eigen gemachten Vorzüge geführt.

Weil eben: diese Songs! Nicht nur ‚999544‚ sondern auch gleich das eröffnende ‚Frag jeden meiner Freunde‚ sind hakenschlagende Hymne geworden, das poppunkige  ‚Herz vs Füße‚, die Explosion ‚Phoneutria‚, ‚Gib ihm tausend, Boby‚ oder ‚Kollege Kosmos‚ gar nichts so kleine Hits für das jetzt schon so grandiose Jahr 2013 für (junge) deutsche Bands. Drumherum lassen Wild und Farben ausnahmslos packende emotionale Achterbahnfahrten ohne Netz und doppelten Boden Loopings schlagen, progressive Kompositionen stets  Wendungen vollführen und um unzählige Hooklines und Melodien rotieren, mal elegisch dann wieder unheimlich drängend.
Der Wind, er ist hier eben stürmisch und unberechenbar. Die Farben, sie schießen impulsiv auf die Leinwand, Pollock aus Neumünster. Verkopft wirkt hier keine Sekunde, Ausfälle sucht man vergebens.
Dass ‚Das Entzünden einer Kerze ist das Ende eines Wals‚ letztendlich nicht alles alleine macht kann man also beanstanden, muss man aber absolut nicht, weil Wind und Farben ihr eklektisches Epigonen-Amalgam einfach zu fehlerfrei zelebrieren. Vor allem ist das angesichts der Tatsache beachtlich, dass das Trio noch nicht einmal mit allen sechs Beinen aus der Schule draußen ist. Wenn dieses furiose Debütalbum also einen gravierenden Makel hat dann den, dass ‚Das Entzünden einer Kerze ist das Ende eines Wals‚ bisher eine Veröffentlichung auf Vinyl verwehrt wurde.

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