Bilderbuch – Schick Schock

von am 9. März 2015 in Album

Bilderbuch – Schick Schock

Ein Hoch auf die Oberflächlichkeit der Gesellschaft, den hemmungslosen Hedonismus und die eigene Geilheit. Over the top ist da gerade genug und fremdschämen sollen sich sowieso andere: Auf der Höhe der sich über die letzten Monate stetig zuspitzenden Hypewelle feiern Bilderbuch 12 funkige Songs lang die Pop-Party ihres Lebens

Wenn man dem Oberösterreichischen Quartett dabei etwas vorwerfen möchte, dann vielleicht, dass der ‚Schick Schock‚ nicht derart heftig knallt, wie er es wohl tun würde, wenn Bilderbuch nicht auf den Überraschungseffekt verzichtet hätten und – so weit darf man ruhig gehen – nicht nur bereits einen Gutteil der Platte, sondern die stärksten Songs, die erschlagensten Hits, bereits  im Vorfeld verballert hätten.
So war man von der imposanten ‚Feinste Seide‚-EP von 2012 weg gewarnt, dass Bilderbuch mit Hilfe von Neo-Drummer Philipp Scheibl den guten, aber doch auch austauschbar postpunkig-zappelnden Indierock von ‚Nelken & Schillinge‚ und ‚Die Pest im Piemont‚ vollständig generalüberholt hatten: die Gitarren wurden zugunsten einer neuen zügellosen Freigeistigkeit nach hinten geordnet worden, Synthies übertrumpften sich gegenseitig. Da war plötzlich ordentlich Funk unter der Motorhaube, das Sexverständnis von Prince in der ausgebeulten Hose, die übers Ziel hinaus schießende Selbstverständlichkeit einer Beautiful Bright Twisted Fantasy ließ die Brust schwellen. Aus dem Hip Hop verführten Bilderbuch eine immanente Groove-, Rhythmus- und Beatgeilheit, stylten sich mit 80er-Second Hand-Plunder als Schickimicki-Goldkettenträger im schmuddeligen Miami Vice-Look, salonfähig für die schmuddelige Dorfdisco und die ganz großen Bühnen.

Da war also eine gar nicht so umschlaue Erotik in den mit abgeklemmten Hoden fistelnden Rumpler ‚Feinste Seide‚ zu finden; in ‚Plantsch‚, das Pop mit psychedelischer Schlagseite und kübelweise Autotune als feuchten Kanye West-Traum ohne Limit aber zerschossenem Gniddelsolo inszenierte; und natürlich ‚Maschin‚, dem dramatisch ausholende Überhit, der als Totem der Leistungsexplosion einfach nicht totzukriegen ist.
Spätestens als das sportliche Bassfeuerwerk ‚Spliff‚ wie wild den Dübel schrubbte und ‚Om‚ den grandiosesten Hüftschwung von Falco’s Vermächtnis zum Herzen von Ja, Panik fand, dabei aber nicht den Umweg über schmutzig grinsende Nile Rodgers-Licks scheute und fett skelettiert auf jede Tanzfläche pumpte war klar: Bilderbuch haben sich nicht nur neu erfunden, sondern sich selbst gefunden. Mit detailverliebt geschlichteter Produktion (und oh ja, wie sehr Bilderbuch den Sound lieben, das führen sie nun auf Albumlänge vor!) für jeden Unsinn zu haben, ohne sich Trends anzubiedern oder die Leichtigkeit zu verlieren, die die Band seit jeher ausmachte.

Schick Schock‚ ist nun die logische Konsequenz dieser langen Vorgeschichte und Entwicklung, die die Gesten amerikanischer Vorbilder mit viel Stilbewusstsein, dem nötigen Größenwahn und dem Charme von Nebenan übersetzt, ein berauschend unbeschwertes Durchlüften der bierernsten Indielandschaft vollzieht und eben mehr Killertracks in der Auslage hat, als andere Bands Platten im Regal. Um den Bogen zu spannen: Will man Bilderbuch das exzessive Vorabverpulvern dieser ‚Schick Schock’schen Lebensfreude-Highlights nun aber ankreiden, muss man dem Quartett im Umkehrschluss wiederum anrechnen, dass das Drittwerk im Gesamten nun nicht unter dem angestauten allgemeinen Erwartungsdruck anhand der herausragenden Singles einknickt, sondern abseits einiger erkennbarer Schweißnähte im etwas holprigen Fluss des ersten Albumviertels ein unermüdlich wilderndes, durchwegs rundes Ganzes geworden ist, das zudem noch den einen oder anderen Trumpf im Ärmel hat.

Das extrem geschmeidige ‚Rosen Zum Plafond (Besser Wenn Du Gehst)‚ shaked etwa mit smoothen Cowbelleinsatz und Flötenzittern auf Zehenspitzen einem Robin Thicke und Pharrell Williams mit dem Wissen um George Clinton davon, während ‚Barry Manilow‚ mit herrlich indiskreten Van Halen-Gitarren hantiert, nur um in Spandex-Unterhosen am Badesee mit Julian Casablancas den Lebemann zu geben. ‚Gigolo‚ stolziert mit Daft Punk in die 80er und das abschließende ‚Gibraltar‚ findet als versöhnlichlicher Balladenbastard im Bannkreis von  Timberlake, Phoenix und dem allgegenwärtigen Kanye West die herrlich überbordende Dada-Antwort auf vocodertriefende R&B- und Soul-Exzesse. Der solide austeilende Titelsong hofiert dafür ausnahmslos grenzdebile Zeilen („Sag es laut/Du bist hinter meinem Hintern her/ Sag es laut, jaul es raus, gib es zu/Du bist hinter meinem Hintern!“ vor „Du hast den Schick Schock/Weil dich mein Schick schockt!/Du hast den Schick Schock/Schickedi wickedi wah„) und landet dennoch ohne Peinlichkeit knapp auf der Gewinnerseite. Alles eine Frage der Perspektive, denn aus Versatzstücken, die so angeordnet nicht funktionieren sollten, tüfteln Bilderbuch kurzerhand eine aufgehende Rechnung.

Nur die zu entspannt dösende Konsumkritik (?) des drögen ‚Softdrink‚ blödelt am Punkt vorbei ohne zu zünden und vermittelt ein Gefühl für den ansonsten schwindelfrei absolvierten Seiltanz vom bekloppten Nonsense hin zur hintergründigen Gewitztheit. Eine erteilte Lektion: Man muss nicht jede Zeile von ‚Schick Schock‚ zerdenken um dennoch seinen hemmungslosen Spaß an der Platte zu haben, geht der direkteste Weg hier doch vom Kopf zu den Beinen und lässt dafür abseits der pumpenden Endorphinproduktion die emotionale Ebene über weite Strecken auch mal gezielt links liegen.
Schick Schock‚ definiert sich eben vor allem durch seinen Unterhaltungswert, als gefinkeltes Stilkaleidoskop, das sich seine übersprudelnden Ideen und Genrespagate waghalsig zusammenklaubt, um am Ende zwar mit zahlreichen Referenzen, aber ohne Konkurrenz dazustehen. Dieser hedonistische Partyrausch operiert trotz seiner langen Inkubationsphase nicht nur am Puls der Zeit, sondern tänzelt ihm eine Nasenlänge voraus.

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