Against Me! – Shape Shift With Me
Den inhaltlichen Fokus behalten Against Me! mit Shape Shift With Me auf Laura Jane Graces Leben als transsexuelle Punkrock-Gallionsfigur, doch die Motive der Platte funktionieren nun auch wieder auf einer allgemeineren Ebene. Passend dazu verschiebt sich die musikalische Perspektive nach dem demonstrativ rohen Ursprungswerk Transgender Dysphoria Blues wieder zu einer stadiontauglichen Bekömmlichkeit.
Dass Grace mit dem siebenten Studioalbum ihrer Band das Transgender-Äquivalent zu [amazon_link id=“B0039TD7RC“ target=“_blank“ ]Exile on Main Street[/amazon_link] habe schreiben wollen, lässt sich nur vage anhand der rund um die Schatten- und Sonnenseite der Liebe kreisenden, zumeist grandiosen Texte nachvollziehen, die die schonungslose Intimität von Transgender Dysphoria Blues in ein breiteres, universelleres Spektrum versetzen: „Shape Shift With Me is a record […] about relationships from a trans perspective„. Noch nie sei es ihr leichter gefallen Songs zu schreiben, erklärt die 35 Jährige Frontfrau insofern weiter.
Ziemlich sicher ist es diese proklamierte Unangestrengtheit, die gleich das charmante 12:03 dermaßen locker und befreit in die Gehörgänge treibt („And I’ve made a lot of miles this year/ But the miles don’t mean much when they always cycle me back to you„); eventuell veranlasst diese neu gefundene Sicherheit Grace jedoch auch dazu, ein Gros der Platte mit viel mehr gediegenem Rock und weniger angrifflustigem Punk derart unverbindlich um eine Ansammlung an infektiösen Melodien zu dirigieren, die letztendlich ernüchternd umgänglich zwischen stadiontauglichen Hymnen ala White Crosses und dem furiosen Pop von New Wave plätschern. Fest steht jedenfalls, dass Against Me! die zuletzt wieder forciertere Bissigkeit hinten anstellen. Dass sie ihr Songwriting an ein gefälliges Zugeständnis an unmittelbare Hits und die bekannte sympathische Eingängigkeit binden, in der Aufarbeitung der Kompositionen trotz der starken Produktion dabei aber über weite Strecken seltsam kraftlos, fast mutlos auf die Bedürfnisse großer Festivals zugeschnitten auftreten.
Nicht, dass dies das aufgefahrene Material per se zu schwachen Stücken machen würde. Doch nahezu allen Songs haftet ein redundantes Gefühl an. Ganz so, als würden Against Me! zumeist die einfachsten Wege zum Ziel gehen, nur leicht zu durchschauende Ideen auszuwalzen, die so eben kaum über die jeweiligen Distanzen zu fesseln wissen. Nahezu jeder Komposition scheint das gewisse Etwas, der zündende Geistesblitz, zu fehlen, der aus zielstrebiger Qualitätsarbeit mehr als ein musikalisch unnatürlich zahmes Schaulaufen macht. Sicherlich ist die Platte ohnedies deutlich leichter und unterhaltsamer zu konsumieren als Transgender Dysphoria Blues, vertritt seine Agenden dadurch auch weniger schwer verdaulich und smarter, verliert sich damit aber auch zu oft in die beliebigkeit.
Der abgeschmackt schunkelnde Voarabtrack Crash bleibt zwar eine der Schwachstellen des Albums, hat die relativ glatte Ausrichtung von Shape Shift With Me dann aber doch bereits ein Stück weit vorweggenommen. Delicate, Petite & Other Things I’ll Never Be stampft und twistet etwa durchaus annehmlich, hat allerdings hinter seinen Rhythmuswechseln keinerlei Überraschungen parat; das schmissige 333 wiederum geht seinen banalen Chorus überraschend ideenlos an, während Suicide Bomber mit psychedelischem Anstrich und Béatrice Martin im Background in Summe zu unexplosiv dahindümpelt, All This And More gar langweilend gemütlich lamentiert.
Ein Boyfriend steht exemplarisch für die absolute Single-Tauglichkeit beinahejeder einzelnen Nummer hier, geht sicherlich gut nach vorne, doch nicht einmal Cody Votolato kann dem zu harmonisch die Einigkeit zwischen Strophe und Refrain praktizierenden Ohrwurm die nötige Spannung verleihen, um aus der monotonen Gangart auszubrechen – da zündet Norse Truth, die andere Kooperation mit dem Blood Brother, durchaus erfrischender, wenn Grace mit einem flammenden Spoken Word-Versatzstück eingefahrene Muster auflockert, stimmlich plötzlich wie ein singen könnender Dexter Holland klingt, und das Geschehen so energisch am qualitativ doch merklich abfallenden Ende der Platte antreibt.
Dann und wann gelingt es Against Me! eben doch das Potential der unspannenden Mit-Singalongs über die Funktionalität und ohne allgegenwärtigen Sicherheitsgedanken hinauszutreiben, mit einer angenehm hungrigen Rohheit zu Werke zu gehen, die das Songwriting aus der allgemeinen Komfortzone peitscht: ProVision L-3 knüpft als brachial rumpelnder Opener mit dauerrepetierten Refrain (generell ein Problem von Shape Shift With Me ) ruppig an den archaischen Simplizismus von Transgender Dysphoria Blues an und lässt Dampf in Sachen Fulhafen-Security-Scanner ab, destilliert dabei mit voller Wucht das Gewicht von Against Me! als Bewusstsein schärfendes Sprachrohr für Transgender-Rechte.
Das dumpf röhrende, mit Hardrock-Versatzstücken hämmernde Dead Rats löst hinten raus dagegen plötzlich alle Sicherheitsgurte und brettert mitreißend gen Hardcore, wohingegen das ziestrebige Rebecca und vor allem Haunting, Haunted, Haunts mit seiner galoppierenden Rhythmussektion, den schnittigen Gitarren, Solo-Ausflug und Oldschool Feeling hinter klugen Zeilen schlichtweg so verdammt viel Spaß machen, wie es das dynamische Shape Shift With Me wohl generell geplant hätte. Es sind eben auch genau jene Momente, in denen Shape Shift With Me so unbedingt und ohne Energieverlust zündet, die es nur umso frustrierender machen, dass die Ausnahmeband Against Me! über einen Gutteil der knapp 40 Minuten Spielzeit den Eindruck hinterlässt, schlichtweg mit angezogener Handbremse unterwegs zu sein.
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