An Isolated Mind – A Place We Cannot Go

Ein unerwarteter (und unerwartet konsequenter!) stilistischer Paradigmenwechsel, eine ähnliche Katharsis: Auf A Place We Cannot Go artikuliert Kameron Boggs seine Seelenqualen nicht mehr wie am starken An Isolated Mind-Debüt I’m Losing Myself (2019) im atmosphärischen Black Metal, sondern versucht sich am impressionistischen Post Rock.
Die Geburt von A Place We Cannot Go passiert freilich wieder im Schmerz, wie der den Plural verwendende, aber nur die Einsamkeit versprechende Albumtitel vorwegnimmt. Boggs: „A Place We Cannot Go is the point of no return in a relationship, where we realize that we are caught in a cycle of abuse and it is impossible for us to go any further. A difficult choice must be made between stagnating in a state of self-deception or growing towards greater self-worth. This album is born out of our tendency to choose an abusive relationship in the face of abandonment; a fear of isolation which grips us greater than death, and which lurks at the foundation of being human. Our highest attainments, both individually and culturally, are predicated on our willingness to become aware of these self-compromising habits, and embody an identity with the conscious self which lies dormant under obfuscating fear, and which always already knows the path towards our own salvation.“
Um dieses (inhaltlich auch an SINNER GET READY denken lassende) Konzept umzusetzen, erfindet der ja sein emotionales Innenleben musikalisch stets schonungslos artikulierende Boggs seine Plattform An Isolated Mind nach Self Titled nochmals neu. Das ist ein mutiger, spannender und für kreative Reibung sorgender Schritt, der als funktionierende Justierung auch für einigen Funkenflug sorgt.
Doch um es vorwegzunehmen: A Place We Cannot Go zeigt eine Inkarnation des einstigen Black Metal Projektes, das aktuell noch besser in der letztendlich anvisierten Vision, als dem momentanen tatsächlichen Wesenszustand funktioniert. Soll heißen: Der Postrock als Äther steht An Isolated Mind ästhetisch wirklich sehr gut – doch schöpft Boggs die sich dabei auftuenden Möglichkeiten kompositorisch noch nicht restlos schlüssig ab, wirkt meist nicht restlos effektiv, sondern ein wenig desorientiert mit den Möglichkeiten jonglierend. Ein rundes Ganzes bleibt im überhastet wirkenden Songwriting so vorerst verwehrt – viel tolles wird aber angerissen.
Nach dem leise erwachender Drone-Intro Leaving ist das folgende Cold Day schließlich exemplarisch ambienter Postrock mit postpunkig-ungemütlicher Attitüde, Klavier, schwelgendem Klargesang und retrofuturistischen 80er-Synthies. Die Nummer wird im Verlauf immer harscher, bremst sich minimalistisch reduziert aus und klingt plötlich, als wären Horse The Band auf Flenser in der Nähe von Have a Nice Life und Wreck & Refrence oder Kayo Dot gelandet: diffus-atonal, oboen-schwofend; alles torkelt in Schieflage und die Avantgarde geht aus dem Leim.
Like a Hurricane, She Wept orgelt in apokalyptischer Dissonanz an den Nervensträngen, ebenso elegisch wie hysterisch. Das Titelstück wiederum pflegt eine Akustikgitarre Acoustic verletzlich und intim, addiert ein Fagott (?) zum Duett mit sich selbst und entwickelt eine verträumte Schönheit, die entspannt, ruhig und langsam zu sich findet – obwohl die zweite Hälfte nachdenklich und melancholisch am Synthie sequenziert, lässt dieses Herzstück an Talk Talk denken, wenngleich mit einer enervierenden Unschlüssigkeit operierend.
Es fehlt einfach der finale Schritt, der gute Songs zu herausragenden schnürt. Platitudes verschwimmt zwischen Tendenzen des Singer- Songwriter-Synth-Shoegaze-Dreampop-Alternative-Rock und könnte etwas hymnisches haben, will sich jedoch einfach keinen Wohlklang gönnen, provoziert sich immer wieder aus der Verträglichkeit um etwas bedrohliches, ungemütliches, gefährliches zu bewahren – und platzt dann kurzerhand in einen Noise-Monsun, der seine Distortion als schreiende Wall of Sound ausbreitet, ohne den DIY-Sound an die Spitze zu treiben.
Truth is Not Enough positioniert sich als Amalgam aus Slint und Ought, schlingert im modulierten Kraut-Groove, doch entwickelt sich der Song einfach nicht und wird kurzerhand beendet, um dem knapp neunminütigen Mourning zu weichen: eine aus derDrone-choralen-Collage geborene Skizze, deren Klangschalen-Tempel-Musik mystisch brütet und grummelt, sich jedoch jenseits der Master Musicians of Bukkake relativ eindruckslos verwässert verläuft.
Ein representativer Abschied, dessen imaginative Leistungskraft gleichzeitig unbefriedigend und doch nach mehr verlangend entlässt: Boggs hat mit A Place We Cannot Go einen Wesenszug seiner Spielwiese freigelegt, der derzeit aufgrund seiner Perspektiven noch einen latent frustrierenden Beigeschmack trägt, aber auch als Versprechen verstanden werden kann, dass dieser Weg An Isolated Mind mit mehr Feinschliff zu neuen Höhen führen könnte.
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